Im Folgenden werden die wesentlichen Forschungserkenntnisse zusammen gefasst, wobei neben den wenigen spezifischen Ganztagsschulstudien auch relevante Befunde aus der Schulqualitäts- und Innovationsforschung Bedeutung für die Einschätzung von Ganztagsschulen haben.
Aus den Auswertungen der Ganztagsschulversuche der 70er Jahre durch die BUND-LÄNDER-KOMMISSION für Bildungsplanung (IPFLING 1981, S. 6 f.) ergeben sich keine Hinweise auf leistungssteigernde Effekte durch ganztägige Beschulung und auch nicht auf höheren Schulerfolg. Zudem schien die Hausaufgabenfrage nur suboptimal gelöst. Wohl aber haben Lernorganisation, individuelle Förderung und außerunterrichtliche Aktivitäten teilweise positive Rückwirkungen auf Unterricht, Leistungsbereitschaft und Lernerfolg sowie die Verbesserung des Sozialklimas und des Sozialverhaltens.
Studien zu besonderen Organisationskonzepten
Neuere Studien widmen sich zum einen den additiven Modellen von Schulen mit Betreuungsangebot als offene Formen eines schulischen Ganztagsbetriebs, zum anderen gebundene Konzepten erweiterter Schulzeit.
Schulen mit Ganztags- oder Betreuungsangebot
Die Studie von GLUMPLER/LUIG-ARLT (1995) an schleswig-holsteinischen Schulen verdeutlicht pädagogische Probleme in Konzeptionen ohne festes Ganztagspersonal. Personalausfälle und organisatorische Belastungen beeinträchtigen die Kontinuität der Arbeit der pädagogischen Fachkräfte. Die auf der Basis von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Honorarkräften organisierte Betreuung zwängt die Grundschule in das Spannungsfeld von elterlicher Betreuungsnachfrage und Diskontinuität der personellen Absicherung.
Die Auswertung der landesweiten Erhebung in Nordrhein-Westfalen (vgl. MSW 1997) an Schulen Betreuungsgruppen (57 % der Grundschulen als „Schule von acht bis eins“) zeigte, dass nur 21 % der Betreuungskräfte über Angestelltenverträge (davon 9 % über ABM), aber 57 % auf Honorarbasis und 22 % in sonstigen Arbeitsverhältnissen beschäftigt waren; 29 % waren zudem ohne pädagogische Qualifikation. Die pädagogische Gestaltung der Betreuung hatte vornehmlich freizeitpädagogische und kompensatorische Schwerpunkte: 84 % der Betreuungsformen wiesen Freizeit- und Sportangebote und 43 % Hausaufgabenhilfe auf, jedoch nur 11 % erweiterte Lernmöglichkeiten in AGs und nur 17 % Fördermaßnahmen.
Eine aktuelle Untersuchung über schulische Ganztagsangebote in NRW (vgl. HAENISCH 2003) zeigt für Nachmittagsangebote in Primar- und Sekundarstufe (Programm „Dreizehn plus“) folgende Ergebnisse: Zwar handelt es sich überwiegend um eine schulische Maßnahme, jedoch nur in 9 % der Fälle in der Primarstufe und in 35 % in der SI ist die Schule Träger; zumeist sind Förder- oder Betreuungsvereine und Jugendhilfe die Träger. Im Schulkonzept schien bei zahlreichen Schulen das Ganztagsangebot nicht zentral verankert, denn nur bei etwa einem Drittel der ganztägigen Formen gab es in der Schule Kooperationsbeauftragte und nur in der Hälfte der Fälle ein festes Gremium für das Ganztagsangebot. 41 % der Stundenanteile in der Primarstufe und 31 % in der SI wurden von Personal auf Honorarbasis oder mit geringfügigen Beschäftigungsverträgen bestritten, Lehrkräfte haben nur Anteile von 3 % bzw. 20 % (SI).
Lediglich gut ein Fünftel der Schüler/innen nahm im Durchschnitt am erweiterten Angebot teil, somit ist bei etwa ein Drittel der Schulen die soziale Zusammensetzung disproportional. Die seitens der Schulen benannten Ziele liegen deutlich überwiegend im sozial- und freizeitpädagogischen Bereich (Betreuung, Verbesserung des Sozialverhaltens, Freizeit, interkulturelle Verständigung, gesunde Ernährung); die Verbesserung der Hausaufgaben wird nur von Minderheiten als sehr wichtiges Ziel genannt. Gleichwohl gehören Hausaufgabenbetreuung, künstlerisch-musische und sportliche Angebote bei den weitaus meisten Ganztagsangeboten zum Programm, weitere Medien- und Freizeitangebote und interkulturelle Aktivitäten kommen bei einem Drittel bis zur Hälfte der Schulen hinzu. Die seitens der Schulen berichteten Wirkungen erreichen nur durchschnittliche Werte, besonders im Hinblick auf das Lernverhalten, das Lerngruppenklima und die Sprachkompetenz von Migranten; leicht höher werden Wirkungen im sozialen Bereich angegeben (ebenda 2003).
Schulen mit erweiterter Schulzeit im gebundenen Modell
Mit der Entwicklung von Ganztagsschulformen durchaus vergleichbar ist die Entwicklung zeitlich erweiterter Schulmodelle im Grundschulbereich. Die Entwicklung von Halbtagsgrundschulen, die den Schultag über den Stundenplan hinaus bis mittags gestalten, konnte in mehreren Bundesländern voran schreiten – in unterschiedlicher Konzeption jedoch: Während in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein additive Betreuungsangebote vorherrschen, wurden in Bremen, Hessen und Niedersachsen sowie in Hamburg und Rheinland-Pfalz integrierte Modelle mit einem Halbtag für alle Schüler/innen geschaffen, in den letzten beiden Ländern sind sie noch voll existent.
Die Wirkungen hinsichtlich Veränderungen in der Lernorganisation und Lernkultur sind in mehreren Ländern dokumentiert und ausgiebig erforscht. Forschungsergebnisse aus eigenen Studien in Niedersachsen, Hamburg und Bremen sind relevant für die Einschätzung von Wirkungen im Ganztagsbereich. So werden in Grundschulen mit erweitertem Zeitrahmen in Niedersachsen und Hamburg nach Einführung der neuen Zeitstruktur insgesamt spürbare Qualitätszuwächse in der Lernkultur, sowohl im Unterricht als auch im außerunterrichtlichen Schulleben, feststellbar (vgl. HOLTAP-PELS 1997 und 2002): Insbesondere vollzieht sich ein Innovationsschub hinsichtlich der Vielfalt, Variabilität und Differenziertheit der Lehr-Lern-Formen. Im Unterricht wird dies sichtbar in deutlich höheren Anteilen offener und anspruchsvoller Unterrichtsformen wie Wochenplan, Freiarbeit, Projektlernen und Erkundung. Verstärkt werden außerschulische Lernorte und Institutionen in Unterrichtsaktivitäten einbezogen. Über den Fachunterricht hinaus zeigen sich im Schulleben erweiterte Erfahrungsfelder durch Schulprojekte und Lernangebote nach Neigung sowie Spiel- und Freizeitformen.
In Ankopplung an die internationale PIRLS-Untersuchung und IGLU zeigen Ergebnisse einer vergleichenden Systemevaluation im Land Bremen (vgl. HOLTAPPELS/HEERDEGEN 2005), dass im Vergleich zu Schulen mit Betreuungsangebot die Halbtagsgrundschulen im gebundenen Modell mit rund 20 % mehr Lernzeit und Beschulung aller Kinder der Schule nicht nur Kollegien aufweisen, die innovationsbereiter sind und intensiver in Teams kooperieren, sondern dass auch die Lernkultur differenzierter und die Lernförderung intensiver betrieben wird. Zudem sind die Lernleistungen im Leseverständnis und im Sachunterricht in gebundenen Halbtagsschulen – bei allerdings nur geringem Leistungsvorsprung – signifikant besser und die Leistungsstreuungen geringer; außerdem vermögen sie eher als Betreuungsschulen Bedingungen der sozialen Herkunft und des Migrationshintergrundes auszugleichen.
Schulen mit Ansätzen der pädagogischen Öffnung
Jene Schulkonzeptionen, die in der Tradition von Community Education Ganztagsformen mit der Öffnung von Schule verbinden, könnten über die Kooperation der Schule mit Institutionen der Jugend- und Kulturarbeit eine pädagogische Alternative bilden.
Für Schulen, die den Ganztagsbetrieb mit Angebotselementen durch gemeinwesenorientierte Ansätze und Kooperationspartner der Jugend- und Kulturarbeit realisieren wollen, zeigen empirische Studien zu Ansätzen der Schulöffnung (vgl. für NRW: HAENISCH 1998 und 2001):
Schulische Projekte, die außerschulische Kooperationspartner und Lernorte einbeziehen und gemeinwesenorientierte Bildungsinhalte verfolgen, tragen spürbar bei zur Entwicklung der Lernkultur in der ganzen Schule und haben aus Schulsicht Auswirkungen auf den Unterricht; zudem initiieren Öffnungsprojekte teilweise längerfristige Schulentwicklung. Die Projekte waren aber stets in der Hand der Schule. In der Schülerbefragung (vgl. HAENISCH 2001) werden überwiegend positive Lernerfahrungen der Schüler/innen nachgewiesen:
Jeweils überaus deutliche Mehrheiten berichten, dass die Projektarbeit zu besseren Ergebnissen führt, die Überforderung niedriger ist, der Lernstoff besser verstanden wurde als sonst, das Lerninteresse gestärkt wird und sich die Lehrer-Schüler-Beziehung verbessert hat. Leistungen und Sozialstatus wurden dagegen bei den meisten nicht beeinflusst.
Auszug aus dem Vortrag zum 2. Ganztagsschulkongress in Berlin am 22. September 2005 „Ganztagsschule – ein Beitrag zur Förderung und Chancengleichheit“
Der Vortrag wurde für eine bessere Nutzung in einzelne Kapitel untergliedert und steht Ihnen in folgenden Themen auszugsweise zur Verfügung!
Mehr Zeit für Kinder – öffnen
Bildungsnotstand- öffnen
Erweiterte Lernzeit- öffnen
Bestandsaufnahme in Ganztagsschule- öffnen
Personaleinsatz in der Ganztagsschule- öffnen
Pädagogische Gestaltungsfelder- öffnen
Personal- und Zeitorganisation- öffnen
Perspektiven- öffnen
Zusammengestellt: Sabine Schweder
Datum: 11.12.2005
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