Die Stundentafel gegen den Strich bürsten

Stunden werden verlängert und Pausen abgeschafft. Schüler übernehmen Verantwortung, haben einen individuellen Stundenplan und die Lehrkräfte achten auf ihre Gesundheit. An der Marienschule in Emsdetten wird Schule zum einen von den Schülern her gedacht, aber genauso auch von den Lehrkräften.

„Die Stimmung unter den Schülern wurde zunehmend schlechter – insbesondere aufgrund des Nachmittagsunterrichts!“, meint Konrektor Stefan Verlemann, als er die neugestaltete Stundentafel betrachtet. Mit dieser gilt: Keine Hauptfächer mehr am Nachmittag. An der Hauptschule ist das aus Sicht von Stefan Verlemann ein richtiger Schritt, denn die Konzentration lässt bei seinen Schülern am Nachmittag nach. „Wir haben unsere Beobachtungen resümiert und entschieden.“ Neben dieser Umstellung haben sich noch andere Veränderungen in der Stundentafel ergeben.

Im Vormittag gibt es seit Neuestem nur noch „60 Minuten-Stunden“. Die üblichen Schulstunden (45 min) wurden zu Zeitstunden (60 min) aufgerundet. Der neue Erlass für gebundene Ganztagsschulen ermöglicht die immensen Veränderungen bei der Ausgestaltung des Tages. Den Stellenzuschlag von 30 Prozent, den die Marienschule als erweiterte gebundene Ganztagsstunden bekommt, investiert sie in zahlreiche AG-Angebote und vor allem in eine neue Konfiguration der Ganztags- und Förderstunden am Nachmittag.

Ungewöhnliche Schritte. Seit dem Schuljahr 2011/2012 starten die Schüler in einen Vormittag mit 4 x 60 Minuten-Paketen. Die Mittagsfreizeit unterbricht diesen Takt und der Nachmittag setzt sich mit 45-Minuten-Paketen fort. „Damit richten wir uns nach dem Biorhythmus und nicht nur das, wir platzieren aktive, kreative und als angenehmer empfundene Fächer in den Nachmittag“, so Verlemann. Sport, Hauswirtschaft, Technik, AG, Musik und Kunst stehen am Ende des Tages auf dem Programm.

Jeder Schüler hat seinen eigenen Stundenplan

Den Abschluss des Tages bildet ein Förderband. In diesem sammeln sich Schüler unterschiedlicher Klassen und mit unterschiedlichen Bedarfen. „Die Ausgestaltung des Förderbandes ist unsere Antwort auf die individuellen Förderbedürfnisse unserer Kinder,“ begründet Verlemann. Das Format der Förderung basiert ebenfalls auf dem erweiterten Zeitbudget des Erlasses. Die Förderstunden setzen Schwerpunkte und werden auf drei unterschiedliche Weisen erteilt. Förderunterricht I findet für die ganze Klasse statt, jedoch in Teilgruppen in unterschiedlichen Fächern. Förderunterricht II findet mit unterschiedlichen Schwerpunkten an zwei Nachmittagen statt und wird in Kleingruppen erteilt. Die Schüler nehmen ihrem individuellen und aktuellen Förderbedarf entsprechend an einem der beiden Förderangebote teil, um den Anforderungen gerecht zu werden. In Förderunterricht III findet individuelle Förderung für diejenigen Schüler statt, die besondere Förderbedarfe haben und / oder versetzungsgefährdet sind. Sie erhalten hier in Kleinstgruppen gezielte Unterstützung. An der Marienschule unterscheiden sich die Schülerstundenpläne daher bezüglich ihrer Zuordnung zu den Förderstunden. Gefördert wird nicht mit der „Gießkanne“, sondern jeder Schüler erhält „nur“ oder besser: genau den Förderunterricht, den er benötigt. Verlemann spricht von einem „individuellen Stundenplan“.

Bei der Entwicklung dieser Stundentafel haben der Konrektor und seine Kollegen „gegen den Strich gebürstet“. Das Konzept steckt noch in den Kinderschuhen, was bis jetzt beobachtet wird, stimmt das Kollegium aber optimistisch. „Das Management dieser komplex eingefädelten Stundentafel war im ersten Durchlauf eine unglaubliche Anstrengung!“, jetzt ist er stolz auf diese Meisterleistung und ergänzt: „Durch die neue Stundenstruktur haben die Schüler weniger unterschiedlichen Unterricht und weniger – dafür aber längere – Lernphasen an einem Tag. Gleichzeitig bleiben am Nachmittag größere Zeitfenster von 90 Minuten für Fächer wie Sport, Kunst und Arbeitsgemeinschaften. Das entlastet unsere Schüler und Lehrer nicht nur praktisch, weil sie weniger Materialien mit sich herumtragen müssen, sondern auch im Kopf, da sie sich nicht so häufig neu ein- und umstellen müssen.“

Dass die Förderstunden am Ende des Schultages platziert werden, hat seinen Grund. Einige Schüler können sich freuen, denn wenn sie den Anforderungen gerecht werden und gute Leistungen bringen, werden sie diesem Förderunterricht nicht zugeordnet und können ihren Schultag 45 Minuten früher beenden. „Das spornt an“, Stefan Verlemann sieht die Teilnahme an den Förderkursen sportlich. Gleichzeitig entstehen auf diese Weise kleinere Gruppen, in denen effektiver und gezielter gefördert werden kann. Die Zuordnung erfolgt aufgrund des aktuellen Leistungsstandes durch den Klassen- und die Fachlehrer.

„Wir müssen auch an uns Lehrer denken!“

Das Kollegium denkt nicht nur an seine Schüler, sondern auch an die eigenen Ressourcen. So wurde das „Lehrerraum-Prinzip“ eingeführt. Weil jetzt die Schüler den Raum wechseln und nicht der Lehrer, schont das sein Kräfte. Und seitdem liegt auch die Ausgestaltung der Räume in der Verantwortung des einzelnen Lehrers. Er empfängt die Schüler, anstatt dass sie ihn empfangen. Zwischen jeweils zwei Stunden gibt es keine Pausenzeit, aber unter Umständen einen Raumwechsel. Das bringt Bewegung und spornt die Schüler an, schnell zu wechseln. Der Vormittag findet damit letztlich in 120 Minuten-Blöcken statt, in denen je zwei Unterrichtsfächer absolviert werden. Eine ungewöhnliche Lösung, die sich offensichtlich bewährt.

Schüler übernehmen die Aufsicht

Die Mittagspause hat an der Emsdettener Schule etwas Besonderes zu bieten. „Den Pausenhelfern sei Dank!“, heißt es auf der Webseite der Schule. Im Wahlpflichtunterricht werden diese unter den 8. – 10. Klassen „rekrutiert“. Es ist eine Art „Verantwortungslernen“ und steht als Unterrichtsfach in der Stundentafel. Schüler, die sich für diese Option entscheiden, lernen, wie man Freizeitangebote gestaltet, wie man Schüler motiviert oder Probleme zwischen ihnen schlichtet. Das dahinter liegende Konzept haben Stefan Verlemann und sein ehemaliger Kollege Thorben Zilske ins Leben gerufen. Neben der Tatsache, dass die zwei zur Verfügung stehenden Schulhöfe unterschiedlich genutzt werden, nämlich der eine als „Spiele-Hof“, der andere eher als Ruheraum, ist das „Pausenhelfer-Konzept“ ein ganz besonderes Patent dieser Hauptschule. Die jeweils drei Lehrer, die in der Mittagspause als Aufsicht Verantwortung tragen, werden durch diese „Helfer“ sehr entlastet, da sie weniger Aufsicht, sondern viel mehr Begleiter und Unterstützer der „Pausenhelfer“ sind. Nachdem ab 12:05 Uhr das Mittagessen ausgegeben wurde, starten 15 min später die Angebote. So beginnt im Sockenraum der erste Teil einer Filmvorführung, die am nächsten Tag fortgesetzt wird. Dabei liegen die Schüler gemütlich und ohne Schuhe auf dem Teppich. Gerade bei den „Großen“ und bei schlechtem Wetter ist das eine entspannende Alternative zum Unterricht. Der Raum hat auf diese Weise seinen Namen erhalten, heißt „Sockenraum“. Ein Türknauf verhindert, dass immer wieder die Tür aufgerissen wird; beim Anklopfen die Tür zu öffnen, ist eine der zahlreichen Tätigkeiten der Pausenhelfer.

Fußball, Fußball, Fußball …

Das wohl beliebteste Angebot ist die „Pausenliga“. Eine Saison endet dann, wenn alle Mannschaften in den Ligen mehrfach gegeneinander angetreten sind, sie dauert jedoch nicht länger als ein Schulhalbjahr. In einer Spielzeit von 2 x 5 Minuten spielen auf einem Kleinfeld Teams mit 4 Feldspielern und einem Torwart. Neben den Jungen gehen auch Mädchen aufs Spielfeld. Einen Schiedsrichter gibt es nicht. Der Ablauf und die Organisation werden selbstständig durch die Pausenhelfer geregelt.

Ein verbindlicher Dienstplan sichert den Einsatz der Pausenhelfer. Seitdem es sie gibt, fühlen sich die Lehrer entlastet. „Ständige Gängeleien“ gibt es nicht mehr, stattdessen erleben sich die Schüler als Verantwortungsträger. Dennoch fehlt es manchmal an Autorität  und Verlässlichkeit. Die Lehrer wissen nach zahlreichen Erfahrungen, dass „erst einige Enttäuschungen ausgehalten werden müssen, bevor es besser wird und die Schüler ihre Potentiale entfalten.“

Wie an jeder anderen Ganztagsschule sind außerschulische Partner im Schulalltag nicht mehr wegzudenken. In und außerhalb der Schule bieten sie den Schülern Gelegenheit zum informellen Lernen und zum Ausleben individueller Interessen und Neigungen. Von Boxen bis zum „Nähcafe“ werden die Ressourcen nicht nur in Förderbänder und in einen verlängerten Fachunterricht gesteckt, sondern auch in die Arbeitsgemeinschaften. Dabei liegt der Schwerpunkt bei der Auswahl und Gestaltung insbesondere auf solchen Angeboten, die das soziale Umfeld der Schule widerspiegeln bzw. mit einbeziehen und so einen Anstoß zu einer sinnvollen außerschulischen Freizeitgestaltung geben. Aus diesem Grund finden möglichst viele Angebote auch dort statt, wo Schüler sie auch in ihrer Freizeit aufsuchen können – wie z.B. im Billard-Cafe oder beim Canu-Club. Die 400 Schüler entscheiden sich verbindlich für diese Angebote und können alle Schulhalbjahre wechseln.