Grundschule Andernacher Straße

DKJS/D. Ibovnik
DKJS/D. Ibovnik

Den Weg in die Andernacher Straße zu finden ist gar nicht so einfach. Mitten im Bremer Stadtteil Osterholz – Tenever gelegen zwischen Hochhausschluchten ist die ganze Straße zurzeit eine riesige Baustelle. Dass hier Mauern eingerissen werden, ist vielleicht symbolträchtig. Der Stadtteil ist als Brennpunktstadtteil bekannt. In der Grundschule an der Andernacher Straße spiegelt sich das wider: 90 % der Schülerinnen und Schüler haben einen Migrationshintergrund. Und trotzdem ist die Schule keine Brennpunktschule im klassischen Sinne, sondern eine, die immer wieder positive Schlagzeilen macht.

Arijana, Andre, Shkurte und Yasin sind Kinder der Tigerklasse 4 B in der Grundschule an der Andernacher Straße im Bremer Brennpunktstadtteil Osterholz – Tenever. Sie zeigen auf einem Rundgang, dass ihre Schule viele Erfolgsgeheimnisse hat.

Warum das so ist, fällt gleich beim Betreten der Schule auf: den Baustellenlärm noch in den Ohren, ist es hier geschäftig ruhig. „Friedlich, freundlich, fair – ist unser Motto.“ erläutert Herr Hehr, der Schulleiter, später im Gespräch. „Und wir alle geben uns Mühe, dieses Motto auch zu leben: Schülerinnen und Schüler, genau so wie Lehrerinnen und Lehrer.“ Zu Gast an der Schule, kann man das spüren.

Es ist 11:00 Uhr an diesem Mittwoch. Konzentriert und vorsichtig schieben zwei Kinder aus der 2. Klasse einen Wagen mit Geschirr durch die Einganghalle. Sie kommen aus der Küche und sind auf dem Weg in ihren Klassenraum. Dort wird das gemeinsame Mittagessen vorbereitet. Die Aufgaben dafür sind verteilt. Die Verantwortung für so viel Geschirr steht den beiden ins Gesicht geschrieben. Da aber zum „Geschirr holen“ auch das Privileg gehört, dass die Kinder den Fahrstuhl benutzen dürfen, sind sie gleichzeitig mächtig stolz. Und höflich sind sie auch: „Danke.“ sagen sie, als ihnen die Besucherin die Tür zum Zwischenflur aufhält.

Schule mit Atelierzeit

In der Eingangshalle zeigt der Blick auf die Informationen an den Stelltafeln, dass mittwochs um diese Zeit immer „Atelierzeit“ ist. Das bedeutet, dass die Mädchen und Jungen der 2. und 4. Klassen an einem der Wahlpflichtangebote arbeiten, das sie sich für die laufenden acht Wochen ausgesucht haben. Dass selbst gewählte Aufgaben mit besonderem Ehrgeiz erledigt werden, gehört vielleicht mit zum Geheimnis um das gute Lernklima an der Schule.

Arijana, Andre, Shkurte und Yasin sind pünktlich, um ihren Gast um 11:00 Uhr in Empfang zu nehmen. Herr Hehr, der Schulleiter, ist um diese Uhrzeit mit seiner Atelier-Gruppe im Stadtteil unterwegs. „Die Kinder erfahren dabei, wo ihre Mitschülerinnen und Mitschüler wohnen. Und sie lernen zum Teil erstmalig den Stadtteil, in dem sie miteinander leben, kennen.“ wird er später erläutern – eine von vielen wichtigen Aufgaben, die die Schule wahrnimmt und dabei Elternhäuser ergänzt und unterstützt.

Geheimnisvolle Fächer

Aber auch in seiner Abwesenheit haben die Kinder ganz selbstverständlich am Besprechungstisch im Zimmer des Schuleiters Platz genommen. Sie wollen gemeinsam überlegen, was sie heute zeigen wollen. So vieles fällt ihnen ein, was sie in ihrer Schule wichtig finden. Für Außenstehende klingt manches davon ganz geheimnisvoll: der Leseclub, der Dschungel, der Computerraum, der Orient, der Musikraum, die Turnhalle, Norddeutschland und Russland, der Schulhof, der Werkraum, der Atelierraum, die WIW-Zeit, der Ruheraum, die Aula, der Konferenzraum, das Wunderland u.v.m.. Schade, dass die Zeit nicht für alles reichen wird.

Als der Rundgang nach dieser Vorplanung beginnen soll, klingelt das Handy auf dem Schreibtisch des Schuleiters. Jasin springt gleich auf „Du kannst doch da nicht dran gehen“, ermahnt ihn Arijana. „Aber er kann das Handy doch zu Frau Schulz ins Büro bringen.“ ruft Shkurte – es könnte ja etwas wichtiges sein, was Herr Hehr nicht verpassen darf. Da sind die Kinder aufmerksam. Schnell sagt noch die stellvertretende Schulleiterin, Frau Ilsen, herzlich Hallo und vergewissert sich, das alles in Ordnung ist, dann geht’s endlich los.

„Wir können mit dem Fahrstuhl fahren.“ sagt Jasin, als sich die Gruppe zu ihrem Rundgang in Bewegung setzt. Andrej hält als erster den Zentralschlüssel in Händen. Damit kann er nicht nur den Fahrstuhl aufschließen, sondern auch Materialräume, in die sonst nur die Lehrer Einlass gewähren können. Die Kinder wissen, dass das eine große Verantwortung ist, die sie abwechselnd übernehmen wollen.

Nach einer Stippvisite im Werkraum geht es vorbei am Dschungel, der auf dem Flur in Form einer Wandbemalung zu finden ist. Nächste Station ist der Raum mit den Geräten und Materialien, die auf dem Schulhof in der Freizeit benutzt werden können; Gokarts, Fahrräder, Fußbälle und mehr.

„Was Ihr wollt-Zeit“

„Die können wir uns ausleihen für die WIW – Zeit“, erklärt Andrej und schnapp sich sofort einen Ball zum Dribbeln, während Skurthe sich in einen Gokart setzt. WIW-Zeit heißt „Was Ihr wollt-Zeit“ und Bewegung zwischen den Lernphasen gehört dazu. Viele Klassenräume haben sogar einen direkten Zugang zum Schulhof.

Im Flur steht gedankenverloren ein Junge an einem Kicker. „Warum bist du denn nicht bei deinem Team?“ fragt Andrej. „Geh’ doch da wieder hin.“ sagt Arijana noch und ergänzt in Richtung Gast: „Schön blöd, wenn der jetzt nicht zu seinem Team geht, die machen gerade was Tolles.“ Aber der Junge hat sich offensichtlich gerade eine kleine Auszeit genommen.

Der Weg durch die Schule führt weiter, z.B. durch den Orient, durch Russland und durch Norddeutschland. Das sind Flure, die die Kinder zusammen mit einer Künstlerin gestaltet haben. Hier spiegelt sich die Vielfalt der Nationalitäten wider, die in der Schule zu finden sind. Die Kinder sind sichtlich stolz, dass auf diese Weise hier sichtbar ein Stück ihrer Herkunftsregionen zu finden ist. Im Orient gibt es gleich etwas zu bemängeln: „Gelbe Karte“, sagt Andrej, als er feststellt, dass die Fensterdekoration an einer Stelle eingerissen ist. „Das muss geklebt werden.“ Und er nimmt sich vor, nachher Herrn Hehr Bescheid zu sagen.

Auf vielen Stationen auf diesem Rundgang ist erlebbar, dass „Atelierzeit“ für die Schülerinnen und Schüler der Grundschule an der Andernacherstraße im Wochenplan einen wichtigen Stellenwert hat: Da werden Bücher gemacht, da wird für ein Puppenspiel geübt, da gibt es Zeit, miteinander Brettspiele zu spielen und vieles mehr. Das gehört hier zum Schulalltag genauso wie der Fachunterricht. Und in den selbst gewählten Angeboten erhalten die Kinder offensichtlich vielfältige Anregungen, um ihre Interessen und Vorlieben zu entdecken und sie mit anderen gemeinsam zu erproben.

Wir haben nette Lehrer!

Alle Lehrkräfte und das sozialpädagogische Personal sind sehr freundlich, wenn die Kinder zusammen mit ihrem Gast fragen, ob sie kurz stören dürfen. „Wir haben nette Lehrer.“ sagt Andrej aus tiefem Herzen. Herrn Hehr, den Schulleiter, freut es sehr, das auch vom heutigen Gast bestätigt zu bekommen, als er später zu der Gruppe dazu stößt. „Wir wollen Wertschätzung und Respekt als Schulmotto mit Leben erfüllen.“ sagt er. „Friedlich, freundlich, fair ist eine Haltungsfrage und nicht etwas, das wir für die Kinder machen.“ Das ist bestimmt Teil des Erfolgsgeheimnisses. Während die Kinder eine Pause einlegen, gibt es Zeit, im Gespräch mit Herrn Hehr und Frau Ilsen einen Blick auf die organisatorischen Rahmenbedingungen zu werfen, für die sich die Schulleitung entschieden hat.

Klare Strukturen

„Klare Strukturen“, das gilt nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Lehrkräfte. So ist beispielsweise der Dienstagnachmittag verbindlich vorgesehen als „Zeit für Organisatorisches“. „Wir nehmen unsere Leitungsfunktion wahr, in dem wir für das Kollegium und uns solche Fixpunkte in der Zeitplanung vorsehen und nutzen. Wir bemühen uns um Effizienz in den Dienstbesprechungen.“ Regelmäßig dienstags geht es um Organisatorisches und alle Gesamtkonferenzen sind pädagogische Konferenzen. Von fünf Präsenztagen, die für Fortbildungen vorgesehen sind, wurden in der Schule zwei verteilt auf die Konferenzen und verpflichtend für das gesamte Kollegium eingeplant. „Ein schönes Lob haben wir bei der letzten Evaluation bekommen“, berichtet Herr Hehr. „Die Evaluatoren haben uns gesagt, einen Bericht bräuchten sie von uns eigentlich nicht zu machen, bei uns könnte jeder sehen, dass wir unser Schulprogramm leben“. Wichtig sei es dazu auch, sich von Überholtem zu verabschieden, und Zeit für Neues zu schaffen.

Und so wird mit den Stichworten „Leiten + Wertschätzen“ ein weiteres Geheimnis des Schulerfolges sichtbar. Dazu gehört auch, dass für alle ab Freitagmittag um 14:00 Wochenende ist. „Lehrerinnen und Lehrer, die oft den Sonntagnachmittag bereits wieder für ihre Unterrichtsvorbereitungen einbringen müssen, haben es sich verdient, dass es am Freitagnachmittag keine Konferenzen mehr gibt.“

Schule mit Wunderland

Die Pause ist vorbei und Andrej, Arijane, Jasin und Shkurte warten vor der Tür für eine letzte Runde. Zu sehen gibt es Räumlichkeiten, die für den Betrieb einer Ganztagsschule wichtig sind. Dazu gehören z.B. Räume, in denen Lehrkräfte im Team Unterricht planen, ein Ruheraum für die kleineren Kinder, das „Wunderland“, in dem gespielt und vorgeführt werden kann, die Mensa, in der gegessen werden kann oder der Raum, in dem Elterngespräche stattfinden. Die Schule wird dadurch auch räumlich zum Lebensraum.

Eine große Herausforderung für die Zukunft ist die weitere Verbesserung der Unterrichtsqualität. „Unsere Kinder brauchen viel Zeit, um mit unserer Unterstützung nachholen zu können, was sie in ihren Familien leider oft vermissen müssen.“ so Frau Ilsen und Herr Hehr – unisono. „Bindungen, die die Kinder hier in der Grundschule aufbauen fördern ihre Leistung. Der Übergang nach Klasse 4 stellt da noch zu häufig einen Bruch dar.“ Mehr Zeit mit den Kindern, vielleicht bis Klasse 6 wäre ein Wunsch.

Festzuhalten ist aber heute bereits, dass das Ganztagsschulmodell viel Zeit mit den Kindern möglich macht. Ein Qualitätsmerkmal in der Bildungslandschaft, dass jeder hautnah erleben kann, der die Grundschule an der Andernacher Straße besucht.

 

Autor: Annette Herrmans
Fotos: Ganztagsschule an der Andernacher Straße

Datum:
3.04.2008

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