Die Gesamtschule Bremen-Ost an der Walliser Straße im Bremer Stadtteil Osterholt ist eine im wahren Wortsinn ausgezeichnete Schule. Der Preis, den sie in der Kategorie „Beste Soziale Innovation“ zusammen mit der Bremer Kammerphilharmonie gerade erst gewonnen hat, ist nicht der erste und nicht der einzige in ihrer langen Schulgeschichte. Aber er steht kennzeichnend für einen bemerkenswerten Weg, den die Schule in den letzten Jahren eingeschlagen hat. Und allem Anschein nach behauptet sie sich damit in vorbildlicher Weise in einem Stadtteil, der gekennzeichnet ist durch Arbeitslosigkeit und einen hohen Anteil von Bewohnern mit Migrationshintergrund.
Merle und Sophie (Klasse 5), Asija und Yvonne (Klasse 8) und Duy und Florian (Klasse 10) sind Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule – Ost im Bremer Stadtteil Osterholz. Auf einem Rundgang zeigen sie, dass sich nicht nur durch das Musikprofil ihrer Schule das Lernen verändert hat.
Wir ermutigen die Schülerinnen und Schüler zu kritischem und differenziertem Denken und eigenverantworlichem Lernen. Schwerpunkte unserer Arbeit sind:
Zusammen mit dem Bremer Liedermacher Mark Scheibe und Musikerinnen und Musikern der Bremer Kammerphilharmonie haben Schülerinnen und Schüler der GSO das Konzert „Melodie des Lebens“ entwickelt. Im Juli 2007 haben sie es erstmals und mit spektakulärem Erfolg aufgeführt haben. Duy, Schüler der 10. Klasse, hat in diesem Projekt seine Liebe zur Musik entdeckt und ist seither infiziert – mit Musik und mit neuen Zielen.
Du kannst alles schaffen! ist Teil des Refrains aus einem Lied in diesem Konzert.
Du kannst alles schaffen! ist aber offensichtlich mehr als nur ein Liedtext.
Du kannst alles schaffen! ist in der GSO atmosphärisch zu spüren.
Annette Rüggeberg ist Schulleiterin der GSO. An diesem Donnerstag am späten Vormittag kommt sie gerade aus einem Gespräch mit einem ehemaligen Schüler. Er macht als Lehramtsanwärter zurzeit ein Praktikum an der Schule. „Es ist eine große Freude, hier über die Schulzeit hinaus mitzuerleben, was aus unseren Schülerinnen und Schülern wird.“ sagt sie.
… das gilt offensichtlich auch für sie. Und diese Einstellung findet Ausdruck in dem Vertrauen, dass sie in die Leistungsfähigkeit der Jugendlichen setzt, die ihre Schule besuchen.
Gerade ist es gelungen, ein lange verfolgtes Ziel zu erreichen, nämlich der Gesamtschule Ost die Sekundarstufe II anzugliedern. „Durch die Integration der Sekundarstufe II können wir noch mehr gezielte Impulse setzen, unsere Schülerinnen und Schüler zu ermutigen, den Gymnasialabschluss zu machen.“
Als es an ihrer Zimmertür klopft sagt sie: „Ich habe den Kindern noch gar nicht gesagt, was genau Sie sehen wollen. Sie wissen nur dass sie Sie durch die Schule führen sollen.“ Auch das zeugt von ihrem Vertrauen in die Schülerinnen und Schüler. Duy und Florian – zwei Jungs aus der 10. Klasse – stehen überaus pünktlich in der Tür. Zwei Minuten später erscheinen Asija und Yvonne aus der 8. „Dann machen wir am besten erst einmal einen Plan“, ist der Vorschlag und das klappt hervorragend. Gerade als Frau Rüggeberg Getränke und Kekse zur Stärkung in Raum 108 bringt, in dem die Vorbesprechung stattfinden soll, treffen noch Merle und Sophie aus der 5. ein.
Auch sie gehören zu der Gruppe, die heute Besuch durch die Schule führen wird. Ein bisschen mulmig ist ihnen schon, dass sie das zusammen mit den Großen aus der 8. und 10. machen sollen. Aber sie trauen sich. Schließlich gehören sie zu den Sängerinnen in der „Melodie des Lebens“. Da haben sie schon schwierigere Situationen gemeistert. Schnell steht fest, dass für den Rundgang nur ungefähr 45 Minuten zur Verfügung stehen werden, denn ab 13:10 Uhr möchten die Großen Essen gehen. Merle und Sophie sind einverstanden. „Am besten zeigen wir dann erst einmal die Mensa und die Aula. Aber dafür brauchen wir den Zentralschlüssel“, überlegen Asija und Yvonne. Duy besorgt ihn von Frau Rüggeberg. Auf dem Rundgang zeigt sich, dass sich die Schule durch ihre gerade abgeschlossene Sanierung räumlich so verändert hat, dass sie vielfältige Möglichkeiten für das Lernen und Leben eröffnet, die für Jugendliche spannend und anregend sind.
Öffnung nach außen
Theoretisch erworbene Kenntnisse müssen vernetzt und umgesetzt werden. Deshalb ist der Kontakt nach außen zur Anwendung dieser Fähigkeiten ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Neben den stattfindenden Klassenfahrten innerhalb der Bundesrepublik lernen die Schülerinnen und Schüler im 10. Jahrgang auch das europäische Ausland kennen. Darüber hinaus bieten wir im 9. Jahrgang eine klassenübergreifende Englandfahrt an. Für die Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 8 – 10 gibt es außerdem die Möglichkeit an einer Skifahrt in die Alpen teilzunehmen. Austausch mit europäischen Partnern ist angestrebt, findet aber auch wegen der damit verbundenen finanziellen Belastung nur punktuell statt (z. B. 2006 mit Schweden)
Und es ist erfreulich zu sehen, dass die Jugendlichen damit umzugehen wissen. Sehr sorgfältig „hüten“ sie den Schlüssel, sehr bedacht sind sie darauf, ihr „Schlüsselprivileg“ nicht auszunutzen: sie beachten, das sie manche Räume, wie zum Beispiel den Materialraum für Chemie, einfach ohne Lehrer nicht betreten dürfen. Sehr bemüht sind sie darüber hinaus, dem Gast ehrlich zu zeigen, was ihnen an ihrer Schule besonders gefällt.
Florian und Duy, Yvonne und Asija, Sophie und Merle – sie zeigen eine Auswahl an Räumen, in denen alles möglich scheint:
Du kannst alles schaffen! Das gilt auch für den Technikunterricht, der gerade stattfindet, als die Gruppe den Trakt „Technik, Wirtschaft, Beruf“ besucht. „Ist dies Kästchen nicht toll geworden?“ fragt der Fachlehrer. „Der „Joker“ hat geholfen“ erklärt er geheimnisvoll und erläutert: Auch wenn jeder sein Werkstück allein fertigen und verantworten muss, so gibt es in der Liste der Arbeitsschritte immer einen, den – für den Fall, das sonst alles schief laufen würde – auch ein Mitschüler oder eine Mitschülerin übernehmen kann. Dann gibt’s zwar in der Summe in der Bewertung zwar einen Punkteabzug, aber das Werkstück kann trotzdem noch ein voller Erfolg werden.
Die Schule hält für ihre Schülerinnen und Schüler mehr bereit als Fachunterricht. Da gibt es Raum für Ruhe und Rückzug, wie den Japanischen Garten. Da gibt es Raum für Bewegung und gemeinsames Lernen wie den Schülertreff. Da gibt es Raum für die alltäglichen Dinge des Lebens wie die Küche in der Schülerinnen und Schüler lernen, Essen zuzubereiten.
„Es ist unsere pädagogische Herausforderung“, so die Schulleiterin, „dass wir das traditionelle Unterrichten noch mehr hinter uns lassen. Wir freuen uns, wenn mit den jungen Kolleginnen und Kollegen neue Unterrichtsmethoden ins Haus kommen.“
Das mit dem Ganztagsschulbetrieb hat die GSO an der Walliser Straße gut im Griff. „Die Rhythmisierung ist für uns nicht das Problem“, sagt Frau Rüggeberg. Die Sozialpädagoginnen und -pädagogen sind Teil des Kollegiums – sie sind verlässlich mit 3 Stunden pro Woche ihren festen Klassen zugeordnet. Das hat sich bewährt. Sie wünscht sich, dass das projektförmige Lernen noch mehr Eingang in den Fachunterricht findet und dass die Integration der Sek II klappt, für die sie so lange für gekämpft hat. Und auch, dass es gelingt, mit den Energien der Kolleginnen und Kollegen im richtigen Maße hauszuhalten.
Die gelungene Nachbarschaft mit der Bremer Kammerphilharmonie wird dabei sicherlich ein Aushängeschild bleiben. Duy ist glücklich, dass er zum Abschluss noch den Saal der Kammerphilharmonie zeigen kann. Am Donnerstag ist wieder ein Auftritt. „Da müssen Sie unbedingt kommen.“ sagt er, dessen Leben sich durch die Musik völlig verändert hat. Du kannst alles schaffen!
Datum: 30.04.2008
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