„Wir haben 30 Räder im Stall. Aber Richtige, das sind Rennmaschinen!“ So schwärmt Bernd Martens, der Schulleiter der Gesamtschule Allermöhe, von der Ausstattung seiner Schule. Die ist nämlich nicht normal, sondern hervorragend, denn seine Schule ist eine der wenigen zertifizierten Sportschulen Hamburgs. Aber fürs Schwärmen gibt es auch andere Gründe. Seine Radfahrer sind bundesweit immer auf vorderen Plätzen zu finden. Eine Nachwuchsschmiede also! Und wenn sie nicht Rad fahren, dann klettern sie, fahren Kanu, spielen Basket- oder Fußball. Und seine Triathleten und Marathonläufer holen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Goldmedaille der Hamburger Meisterschaften. Eine Schule auf dem Siegerpodest also?
Markenzeichen einer Schule: Unser Rennstall, unsere Tanzschule, unsere Porschewerkstatt
Könnte man so sagen. Doch dass man im Sport als Sportschule etwas drauf hat, versteht sich ja fast von selbst. Gar nicht selbstverständlich ist, dass hier nicht nur Sport, Mathe und Sprachen unterrichtet werden, sondern auch Tanz. Zwölf Kurse bietet die eigene Tanzschule Move im Jahr an. An einem Abend kommen die Leute aus dem Stadtteil und es wird Standard geübt.
Und auch das mit der Porschewerkstatt ist kein Joke. In Allermöhe schraubt man tatsächlich an alten Traktoren der Firma Porsche herum. Um Hauptschülern eine Chance zu geben, später einen Ausbildungsplatz, etwa als KFZ-Mechatroniker zu finden, hat man eine Treckerwerkstatt aufgemacht. Werkmeister Klaus Westphal kauft schrottreife Porsche-Traktoren mit Oldtimer-Image und arbeitet sie mit seinen Schützlingen an zwei Nachmittagen in der Woche auf. 3000 Euro müssen sie für so einen Haufen Alteisen aufbringen. Aber die Investition lohnt sich in doppelter Hinsicht. Nachdem alles zerlegt, repariert, lackiert, geputzt und wieder zusammengesetzt wurde, gehen die neuen Alten für das Doppelte wieder weg. Den Verdienst nutzen die rund sechs jungen Landmaschinenschlosser für die Anschaffung neuer alter Eisen.
Zukünftige Ausbildungsbetriebe überzeugt das Konzept. Schon einige der Tüfftler konnten mit ihrem Know-how punkten und einen der begehrten Ausbildungsplätze ergattern.
Kleine Teams, große Schule – Jahrgangsteams
Doch das alles wäre nicht denkbar, wenn es im Inneren der Schule nicht bestens laufen würde. Bernd Martens hält sich bescheiden und führt vor allem sein Lehrerkollektiv für diesen Erfolg an. Doch das stimmt so nicht ganz. Denn immerhin war Martens es, der die Bildung der Jahrgangsteams wesentlich vorantrieb, den Gruppen immer mehr Verantwortung übertrug und damit Erfolgsgeschichte schrieb.
Jahrgangsteams? Das sind kleine Lehrerkollektive von 10 bis 12 Lehrern eines Jahrgangs.
Bei über 1100 Schülern und mehr als 100 Lehrkräften musste eine Lösung her. Alle waren unzufrieden. „Auf Lehrerkonferenzen mit 110 Lehrern noch Entscheidungen zu treffen, das war illusorisch.“ Martens sah, das Ganze musste anders organisiert werden. Man teilte sich also auf. Alle Lehrer eines Jahrgangs bildeten ab sofort ein Team. Dieses Team wählte einen Teamsprecher. Wenn nun eine Lehrerkonferenz bevorstand, traf sich zunächst der Schulleiter mit den Teamsprechern. Gemeinsam legte man die Agenda fest. Mit diesen Themen gingen die Teamleiter in ihre Teams zurück und man diskutierte in kleiner Runde. Von hier aus wurden die Ergebnisse wieder nach oben kommuniziert. „Eine äußerst effektive Form der Kommunikation“, stellt Martens fest. Seitdem hat sich vieles verändert, fast ausnahmslos zum Positiven. Das ist jetzt mehr als 4 Jahre her.
Eine Hand weiß plötzlich, was die andere tut – Lehrerarbeitsräume
Es gab zwei Gründe, diesen Jahrgangsteams endlich Raum zu verschaffen. Der eine Grund: Immer mehr Lehrer verlegten ihre Arbeit in die Schule. Ganztagsschule, Ganztagslehrer! Und Allermöhe kennt sich aus mit Vollzeit, immerhin kann man auf eine lange Ganztagsschultradition zurück blicken. Bereits acht Jahre nach der Gründung der Schule 1991 war die Gesamtschule Allermöhe eine offene Ganztagsschule; seit 2005 sie eine verpflichtende Ganztagsschule.
Klaus Weisenberg, Lehrer für Sport und Politik, ist einer der Vollzeit-Lehrer. Für ihn ist der eigene Schreibtisch in der Schule nicht mehr wegzudenken:
„Die kurzen Wege, die Aufgabenstellungen, die ein Kollege schon einmal entworfen hat, die ganze Materialsichtung … was ist das für eine Arbeitserleichterung! Jeder gibt etwas und jeder bekommt etwas.“
Korrekturen, Vorbereitungen, das alles können die Lehrer jetzt also in der Schule erledigen. Dafür nutzen sie Freistunden, lange Pausen oder die verbleibende Zeit nach Schulschluss. Nur wenige Arbeiten, wie etwa Klausurbewertungen oder Zeugnisse schreiben, verlegen die meisten der Jahrgangslehrer noch nach Hause an den heimischen Schreibtisch.
Der andere Grund für die Schaffung der Lehrerarbeitsräume: Die Jahrgangteams brauchten einen Treffpunkt. Zum ersten Mal fanden die Lehrer eines Jahrgangs Gelegenheit, sich auszutauschen und abzustimmen. Man erreichte sich neuerdings. Probleme mit einzelnen Kindern wurden viel eher besprochen. Man beriet sich untereinander, man informierte sich. Jede Hand wusste nun, was die andere tut.
Irmela Ritter unterrichtet die Jahrgangsstufe 5: „Das geht hier alles per Klönschnack. Dass das alles Arbeit ist und dazu gehört, fällt kaum noch jemandem auf.“
Es entstand so etwas wie eine Jahrgangsidentität!
Die Lehrer fühlten sich verantwortlicher für ihre Schützlinge, Ideen wurden geäußert und umgesetzt, ohne komplizierte und langfristige Organisationsstrukturen zu bemühen. In vielen Fällen erfuhr der Schulleiter erst viel später von diesen Aktionen. Ein Ausdruck der Selbstständigkeit, des Vertrauens – ein unbezahlbares Plus.
Für den Schulleiter Bernd Martens ist es wichtig, seine Mannschaft mit ins Boot zu holen. Bei jeder größeren Schulentwicklungsmaßnahme sind deshalb vor allem die Jahrgangsteams gefragt. Von ihnen kommen die Vorschläge und Ideen. „Ich bin der Meinung, dass sich Menschen nur dann engagieren, wenn sie Mitspracherecht haben und mit gestalten können. Und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern wirklich. Wenn man immer nur etwas vorgesetzt bekommt, ist man irgendwann nicht mehr kreativ. Das wollen wir hier anders machen.“
Gemütliches Chaos
Und das funktioniert bereits im Kleinen. Da genügt es, sich einen Teamraum anzuschauen. Meistens haben hier ein Dutzend Kollegen auf knapp 40 Quadratmetern ihr kleines Büro. Jedes Team konnte sich seinen Raum nach eigenen Vorstellungen einrichten. Zur Grundausstattung gehören Rechner und Drucker, natürlich mit Verbindung zum World Wide Web. Es gibt Schreibtische, Regale für Unterlagen und in manchen Räumen steht eine Couch oder eine kleine Sitzecke für den Kaffee zwischendurch. Keine Frage, hier fühlt man sich zu Hause, so anheimelnd wirkt das gemütliche Chaos.
Bei den Lehrern kommt das gut an, auch wenn sich Ilona Schöne, Sozialpädagogin in Allermöhe, noch mehr Rechner wünscht: „Oft komme ich rein und die zwei Computerarbeitsplätze sind schon besetzt.“ Ein Indiz dafür, dass das Angebot ankommt! Mehr als die Hälfte der Lehrkräfte nutzen diese Form des Arbeitens bereits, Tendenz steigend. Zurückhaltender äußern sich Lehrer, die nirgends so richtig dazu gehören. Wie zum Beispiel Ursula Mock. Sie hat einen Lehrauftrag an der Gesamtschule Allermöhe, macht meistens Vertretungen in unterschiedlichen Klassenstufen und ist in keinem Teamraum zuhause. Verständlich, dass sie sich noch das gute alte Lehrerzimmer wünscht, denn dort würde sie die Kollegen aus allen Jahrgängen treffen und könnte sich besser mit ihnen abstimmen.
Das Geld für die Einrichtung der Lehrerarbeitsräume kam aus dem schuleigenen Haushalt. Wer in Hamburg dieses Jahr damit loslegen will, hat es schon besser, denn neuerdings gibt es Zuschüsse. Bei Schulneubauten müssen diese Räume sogar mit auf den Flächenplan.
Weg vom Staccato – Ein Rhythmisierungskonzept
Ein Wohlfühlprogramm gibt es an der Gesamtschule Allermöhe aber nicht nur für Lehrer, sondern auch für die 1150 Schüler. Das hat nichts mit Esoterik zu tun, sondern mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, und zwar denen über den Biorhythmus eines Menschen. Lernt ein Schüler konventionell, also im 45-Minuten-Takt mit kurzen Pausen und das über den ganzen Tag bzw. 38 Wochenstunden, dann ist das mehr als ein Vollzeitangestellter leisten muss. Denn zu den Zeiten kommen ständig wechselnde Themen mit unterschiedlichen Anforderungen. Das Ergebnis: die Schüler kommen nicht mehr mit, schalten ab und Lernerfolge bleiben aus.
Neuer Rhythmus
In Allermöhe wollte man darauf Rücksicht nehmen. Gesucht wurde also ein neuer Rhythmus. Einer, der es schafft, die Schüler bei der Stange zu halten, der gesund ist, der den Spagat zwischen Anspannung und Entspannung meistert. Das war vor zwei Jahren.
Die Zauberformel, die keine ist, heißt: Doppelstunden und lange Mittagspause. Und eine gesunde Verteilung aller Aufgaben mit mehr oder weniger großem Anspruch über den ganzen Tag. Das bedeutet? Zunächst zwei bis drei Doppelstunden bis zur Mittagspause. Die Mittagspause sollte lang sein, in Allermöhe sind es 50 Minuten. Die größte Herausforderung war die Gestaltung dieser knappen Stunde. Was können die Schüler in der verbleibenden Zeit nach dem Essen unternehmen? Welche Möglichkeiten bietet das Schulgelände? Gibt es genügend Rückzugsmöglichkeiten, wie sehen diese aus? Es muss also gelingen, die Mittagspause so zu gestalten, dass die Schüler sich wirklich erholen und Kraft für den Nachmittag tanken können.
Wertvolle Pausenzeiten
Das, so weiß Jens Rosenberger, Lehrer für Deutsch und Englisch, ist auch in Allermöhe noch eine Baustelle. Zwar hat man einen Freizeitpavillon mit Billard, Kicker und Spielen, aber „bislang haben wir viel zu wenig Personal, um die Pausen sinnvoll zu füllen und das Ganze auch noch entsprechend zu betreuen. Selbst wenn es so etwas wie Ruheräume gäbe, wer soll darauf achten, dass dort tatsächlich Ruhe ist? Unsere Schule wurde vor vier Jahren geteilt, der andere Teil liegt relativ weit weg. Viele Kollegen verbringen also schon wertvolle Pausenzeiten mit dem Wechsel von dort nach hier. Diese Lehrer stehen auch nicht für Pausenaufsichten zur Verfügung …“
Jana, Nila, Lars und Mahima aus der 5d gehen der Sache weniger auf den Grund. Für sie kann die Pause gar nicht lang genug sein. Neben dem Essen spielen sie Ticken in der großen Pausenhalle oder sie unterhalten sich. Nur wenige ihrer Mitschüler vermissen eine Ruheoase. Mahima geht dann in die Bibliothek: „Da kann man lesen und dort ist es leise.“ Vor allem aber die älteren Schüler wünschen sich Orte zum Chillen. Wo sie unter sich sind und nicht „mit den Kleinen“ zusammen in der lauten Pausehalle sein müssen. Eine Siebenklässlerin schlägt vor, die Klassen dafür zu öffnen. Ein Gedanke, den auch Rosenberger gut findet.
Demnächst: Präsenzarbeitszeit
Gut, die Mittagspause muss noch mehr Pause werden. Aber der Rest? Ist doch alles bestens oder Herr Schulleiter? Martens grinst: „Nein, nein. Schule ist nie fertig. Da steht noch Einiges auf meinem Wunschzettel: Der nächste Schritt auf dem Weg zu Ganztagsschule sollte eine Präsenzarbeitszeit der Lehrer sein. Lehrerarbeitsräume schaffen dafür schon einmal gute Voraussetzungen. Insgesamt haben Lehrer einen Stundenanteil von 1776 Stunden im Jahr zu leisten. Lässt man die Ferien außer Acht und wertet sie als Freizeiten, käme man auf 44 Stunden in der Woche. 40 Stunden davon sollten in der Schule verbracht werden. Die restlichen Vier kann man pauschal vergüten. Diese Zeit könnte dann für so etwas wie das Telefonat am Abend mit den Eltern genutzt werden. Das wäre noch einmal ein kräftiger Kommunikationsschub und außerdem würde endlich das absurde Minutenabrechnungsmodell abgelöst werden, das bislang nur für Ärger gesorgt hat.“
Autorin: Dörte Brilling
Datum:
19.12.2009