Ausblick auf die zukünftige Forschung
Partizipation in Ganztagsschulen ist bisher kaum erforscht: Zwar liegt die Evaluation des BLK-Programms „Demokratie leben und lernen“ vor, jedoch ohne besondere Auswertung von Ganztagsschulen; zwar gibt es zahlreiche gute Anregungen und Ideen für die praktische Beteiligung an (Ganztags-)Schulen, jedoch keine Forschung dazu. Dabei hat sich insbesondere der frühere GEW-Vorsitzende Dieter Wunder (2006) in einer Expertise ausführlich mit den Möglichkeiten demokratischen Lernens in Ganztagsschulen beschäftigt.
Um diese Forschungslücke ansatzweise zu schließen, untersuchen Prof. Hans Brügelmann, die Doktorandin Anna Lena Wagener und ich (Universität Siegen) im Rahmen einer empirischen Expertise für die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) seit Juni 2008 die Gelegenheitsstrukturen und Gestaltungskulturen von Schülerpartizipation in Ganztagsschulen:
- Strukturen im Unterricht (verschiedene Formen des Unterrichts mit unterschiedlichen Selbstbestimmungsniveaus) im Vergleich zum außerunterrichtlichen Bereich (Mittagessen; Förderung, Betreuung, Freizeit)
- Kulturen im Unterricht im Vergleich zur Mittags-/Förder-/Betreuungs- oder Freizeit.
Als indirekt zu erhebende Kontrastfolien sehen wir die Mitbestimmungsmöglichkeiten in den Familien und in der außerschulischen Bildung im Hort, Verein/Verband, in den Medien und den Peergrous.
Untersuchungsgegenstand der Studie sind 10-12 Grundschulen in drei Bundesländern, davon jeweils 5-6 rhythmisierte und additiv strukturierte Ganztagseinheiten (d. h. einzelne Klassen, Jahrgangszüge oder ggf. ganze Schulen). Deren Arbeit und Erfahrungen werden mehrperspektivisch erschlossen; im Vordergrund steht dabei die Perspektive von Kindern (differenziert nach Geschlecht, Schicht und Migrationslage).
Hintergrund ist die Annahme, dass sich rhythmisierte und additive Ganztagsschulen (evtl. qua Trägerschaft) bzw. Halbtags- und Ganztagsschulen hinsichtlich ihrer Partizipationsstrukturen und -kulturen deutlich unterscheiden. Deren besondere Potenziale und jeweilige Schwierigkeiten werden dokumentiert.
In dem Forschungsprojekt arbeiten wir sowohl mit hypothesenprüfenden als auch mit rekonstruktiven Forschungsmethoden:
- explorative Interviews mit Schulleitern
- standardisierte Fragebögen für Schüler, Lehrer, Schulleiter, weiteres pädagogisch tätiges Personal und Ganztagskoordinatoren
- thematisch fokussierte Leitfadeninterviews mit Schülern und Ganztagskoordinatoren.
Alle Auswertungen werden im Sinne einer partizipativen Sozialforschung an die Befragten zurückgespiegelt.
Ziel des Projekts ist es, Möglichkeiten und auch Grenzen der Demokratiebildung in unterschiedlichen Ganztagsmodellen aufzuzeigen. Daraus könnten Empfehlungen ableitbar sein, die relevant sind für die Praxisentwicklung ganztägiger Einrichtungen sowie für kommunal-, landes- und bundespolitische Impulsprogramme.
Literatur
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- Arnoldt, Bettina (2007b): Kooperationsformen – Bedingungen für gelingende Zusammenarbeit?. In: Holtappels u. a., S. 123-136.
- Appel, Stefan (1998): Handbuch Ganztagsschule, Konzeption, Einrichtung und Organisation. (in Zusammenarbeit mit Georg Rutz). Schwalbach: Wochenschau.
- Bettmer, Franz (2008): Partizipation. In: Coelen/Otto, S. 213-221.
- BMBF 2003 = Bundesministerium für Bildung und Forschung (2003): Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern zum Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB). Berlin.
- Bracker, Rosa/Riekmann, Wibke (2008): Jugendvereins- und -verbandsarbeit. In: Coelen/Otto (Hg.): Grundbegriffe Ganztagsbildung. Das Handbuch. Wiesbaden: VS, S. 457-466.
- Coelen, Thomas (2002): Kommunale Jugendbildung. Raumbezogene Identitätsbildung zwischen Schule und Jugendarbeit, Frankfurt a. M. u. a.: Lang.
- Coelen, Thomas (2006): Ausbildung und Identitätsbildung. Theoretische Überlegungen zu ganztägigen Bildungseinrichtungen in konzeptioneller Absicht, in: Oelkers/Otto (Hg.): Zeitgemäße Bildung. Herausforderungen für Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik, München und Basel: Reinhardt, S. 131-148.
- Coelen/Otto (Hg.) (2008): Grundbegriffe Ganztagsbildung. Das Handbuch. Wiesbaden: VS.
- Dewey, John (1916/1966): Democracy and Education. An Introduction to the Philosophy of Education, New York: Free Press.
- Fatke, Reinhard/Schneider, Helmut (2005): Kinder- und Jugendpartizipation in Deutschland. Daten, Fakten, Perspektiven, Gütersloh.
- Hansen, Rüdiger/Knauer, Raingard/Friedrich, Bianca (2004): Die Kinderstube der Demokratie. Partizipation in Kindertageseinrichtungen, Kiel.
- Holtappels, Heinz Günter/Klieme, Eckhard/Rauschenbach, Thomas/Stecher, Ludwig (Hg.) (2007): Ganztagsschule in Deutschland. Ergebnisse der Ausgangserhebung der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG). Weinheim: Juventa.
- Klieme, Eckhard/Abs, Hermann Josef/Diedrich, Martina (2004): Evaluation des BLK-Modellprogramms. De-mokratie lernen und leben .Erster Bericht über die Ergebnisse der Eingangserhebung 2003. Frankfurt a. M.: Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung.
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- Richter, Helmut (2000): Vereinspädagogik. Zur Institutionalisierung der Pädagogik des Sozialen. In:
- Müller, Siegfried/Sünker, Heinz/Olk, Thomas/Böllert, Karin (Hg.): Soziale Arbeit. Gesellschaftliche Bedingungen und professionelle Perspektiven. Neuwied: Luchterhand, S. 154-164.
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- Wunder, Dieter (2006): Ganztagsschule und demokratisches Lernen. In: Beiträge zur Demokratiepädagogik. Eine Schriftenreihe des BLK-Programms „Demokratie lernen & leben“ (hrsg. v. Wolfgang Edelstein und Peter Fauser), Berlin.
Eine frühere Fassung dieses Beitrag ist erchienen in: Backhaus, Axel / Knorre, Sabine (in Zusammenarbeit mit Hans Brügelmann und Elena Schiemann) (Hg.): Demokratische Grundschule – Mitbestimmung von Kindern über ihr Leben und Lernen. Universität Siegen, 2008, S. 262-267.
Autor:
Coelen, Thomas, PD Dr. phil., Vertretung einer Professur für Sozialpädagogik an der Universität Siegen; Leiter des Kommunalpädagogischen Instituts in Hamburg (www.kopi.de)
E-Mail: coelen@erz-wiss.uni-siegen.de
Datum: 24.07.2008
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