Auszüge aus der Schriftenreihe des BLK-Programms (Laufzeit 2002-2007) »Demokratie lernen & leben« Birger Hartnuß und Stephan Maykus: „Mitbestimmen, mitmachen, mitgestalten“
Die Partizipation von Kindern und Jugendlichen hat in den vergangenen zehn bis 15 Jahren an erheblicher Bedeutung gewonnen. Der Begriff der Partizipation wird dabei in der Fachdiskussion mit unterschiedlichen Konnotationen verwendet. In der gesellschaftlichen Debatte um die Partizipation von Kindern und Jugendlichen – und auf dieser Gruppe von Bürgern soll hier der Fokus liegen – fungiert er in erster Linie als Sammelbegriff für verschiedene Formen der Beteiligung, Teilhabe, Teilnahme, Mitwirkung, Mitbestimmung und Mitgestaltung von Kindern und Jugendlichen an sie betreffenden Angelegenheiten. Die politische Legitimation einer stärkeren Partizipation von Kindern und Jugendlichen resultiert aus der grundlegenden Einsicht, dass sie von Geburt an Mitglieder des demokratischen Gemeinwesens und von daher mit angemessenen Rechten und Pflichten an dessen Gestaltung zu beteiligen sind (zum Begriff und den politischen Funktionen von Partizipation vgl. die Beiträge in Alemann 1978). In diesem Sinne ist Debatte in starkem Maße politisch motiviert.
Verschiedene Partizipationsformen unterscheiden sich grundlegend dadurch, ob sie Kinder und Jugendliche selbst und unmittelbar in Entscheidungen einbeziehen (direkte Formen) oder sie stellvertretend durch Erwachsene beteiligt sind (indirekte Formen).
Zu den indirekten Formen zählen insbesondere (innerhalb oder außerhalb von Verwaltungsstrukturen angesiedelte) Interessenvertretungen wie Kinderbeauftragte oder Kinderanwälte, die mit ihrer Tätigkeit darauf abzielen, Kinderinteressen querschnittig in politische Entscheidungen einzubringen. Darüber hinaus haben sie für Planungsvorhaben und direkte Beteiligungsprojekte anregende und initiierende Funktionen.
Bei den direkten Formen der Beteiligung lassen sich repräsentative/parlamentarische, offene sowie projektorientierte Partizipationsansätze unterscheiden. Dazu gehören insbesondere:
Der Anspruch, Kinder und Jugendliche in angemessener Form an sämtlichen sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen, beschränkt sich nicht auf einzelne gesellschaftliche Lebensbereiche, sondern gilt generell. Daraus ergeben sich besondere Anforderungen in den Kommunen, in den Schulen, in Kindertagesstätten und Horten, in Freizeiteinrichtungen, in den Jugendverbänden, in erzieherischen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie nicht zuletzt in den Familien. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen wird nur dann dauerhaft und erfolgreich sein, wenn sich sämtliche Lern- und Lebensbereiche dem Partizipationsanspruch stellen, kreative Formen seiner praktischen Umsetzung entwickeln und diese Bemühungen eingebettet sind in eine allgemeine Beteiligungskultur für alle Bürger, in ein starkes, demokratisches Gemeinwesen.
Für Partizipation, die sowohl den Interessen von Kindern und Jugendlichen gerecht wird als auch zu einer spürbaren Verbesserung von Entscheidungsergebnissen und ihrer Akzeptanz seitens der Betroffenen führt, lassen sich anhand vorliegender Praxiserfahrungen einige zentrale Prinzipien bzw. Erfolgsfaktoren formulieren. Dazu zählen insbesondere:
Freiwilligkeit: Kinder und Jugendliche dürfen nicht zu Beteiligungsprojekten verpflichtet werden;
Ernsthaftigkeit: der Transfer von Ergebnissen der Beteiligungsprojekte und die Behandlung der Anliegen der betroffenen Kinder und Jugendlichen muss gewährleistet sein;
Wirksamkeit: ein entscheidendes Hemmnis für die erfolgreiche Umsetzung von Partizipationsvorhaben vor Ort ist die anhaltend desolate Lage der öffentlichen Haushalte angesichts kaum noch bestehender politischer Handlungsspielräume sind Bemühungen um eine Demokratisierung kommunaler Entscheidungen erheblichen Legitimationsanforderungen ausgesetzt. Es besteht die latente Gefahr, dass Partizipation ohne praktische Auswirkungen auf tatsächliche Entscheidungen verbleibt und von den Beteiligten damit als folgenlose Spielwiese wahrgenommen wird;
Nachhaltigkeit: Partizipation sollte kein einmaliges, isoliertes Angebot sein, sondern als Prinzip den gesamten Prozess des Aufwachsens und der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen bestimmen;
Lebensweltorientierung: Partizipation sollte an die konkreten lebens- und alltagsweltlichen Bedingungen von Kindern und Jugendlichen anknüpfen, an Themen, die sie persönlich und unmittelbar für bedeutsam halten;
Altersorientierung: es müssen altersgerechte Formen der Beteiligung gefunden werden, um Über- und Unterforderungen zu vermeiden;
Differenzierungen: Partizipationsangebote müssen allen Kindern und Jugendlichen offen stehen, dabei bedarf es jedoch differenzierter Angebote nicht nur entsprechend ihres Alters, sondern auch für Jungen und Mädchen, für deutsche und ausländische, für gesunde und behinderte oder kranke, für privilegierte und sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche;
Qualifizierung: Partizipation darf nicht nur als formales Angebot gelten, es kommt darauf an, Kinder und Jugendliche durch gezielte Aktivitäten für die Inanspruchnahme von Beteiligungschancen zu qualifizieren und Partizipation dadurch überhaupt erst zu ermöglichen;
Pädagogische Begleitung durch Erwachsene: Hauptaufgabe der Erwachsenen ist die Schaffung von politischen und organisatorischen Rahmenbedingungen für Partizipation. Bevormundung und Manipulation müssen dabei vermieden werden, Erwachsene haben die Rolle von Moderatoren im Partizipationsprozess;
Sicherstellung finanzieller Ressourcen: Partizipationsmodelle brauchen eine angemessene finanzielle und personelle Ausstattung;
Partizipation als Querschnittsaufgabe: Beteiligung ist nicht auf einzelne Lebensbereiche begrenzt, sie gelingt besser, wenn die verschiedenen kommunalen Entscheidungsträger, Verwaltungen, Jugendhilfeträger, Schulen und Eltern zusammen arbeiten. Gefragt sind daher auch in Fragen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen effektive Formen und Instrumente der Vernetzung und Kooperation;
Schaffung einer politischen Lobby: Partizipationsanliegen von Kindern und Jugendlichen bedürfen einer möglichst wirkungsvollen politischen Vertretung im öffentlichen Raum;
(Weiter-) Entwicklung einer Kultur der Beteiligung: Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist dort besonders erfolgreich, wo Mitbestimmung und Teilhabe zentrale Bestandteile des gesellschaftlichen Lebens sind und diese Beteiligungskultur von Kindern und Jugendlichen im Alltag erlebt wird.
Datum: 5.05.2007
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