Das Mecklenburgische Förderzentrum Schwerin
Dass es an einem Förderzentrum besonders wichtig ist, Kinder individuell zu unterstützen, hat man in Schwerin längst erkannt. Aber was genau muss die Schule dafür bieten? Eine Umfrage unter Schülern und Eltern hat am Mecklenburgischen Förderzentrum Klarheit gebracht.
„Und das sind die Fotos von unserem Jubiläum!“ Julius zeigt auf ein liebevoll eingerahmtes Plakat mit Fotos, die Schülerinnen und Schüler in Aktion zeigen. Es hängt an der Wand zwischen Eingang und Mensa. Aus Richtung der Mensa erklingt plötzlich leiser Gesang. Ein Mädchen im Rollstuhl wirbelt an uns vorbei, das Gesicht heiter und die Arme wie zum Dirigieren erhoben.
Willkommen im Mecklenburgischen Förderzentrum Schwerin – Schule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung. Julius lächelt. Der Achtklässler ist Vorsitzender des Schülerrats, der von den Schülerinnen und Schülern gewählten Interessenvertretung, und sehr stolz auf seine Schule, die im letzten Jahr ihr 35-jähriges Jubiläum gefeiert hat. Das Mecklenburgische Förderzentrum hat den Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung. Aber auch Schüler mit Leserechtschreibschwäche, Dyskalkulie (Rechenschwäche) oder Verhaltensauffälligkeiten werden hier aufgenommen.
Die Schule steht in Lankow, einem Außenbezirk von Schwerin mit Hochhäusern und Wohnsiedlungen. Doch dieses Gebäude fällt aus dem Rahmen: Es ist lang und flach und gut in Schuss. Hier gibt es keinen ersten Stock, keine Treppen und keine Barrieren. Die Flure sind breit und offen, überall hängen Bilder und Objekte, welche die Kinder und Jugendlichen im Kunst- oder Werkunterricht hergestellt haben. Der große Haupteingang wird per Knopfdruck geöffnet.
Und was wünschen sich die Schüler?
Julius betritt den Raum, in der Hand zwei laminierte Bögen mit Balkendiagrammen, die die Schülerinnen und Schüler im Informatikunterricht entworfen haben. Er hat sie gerade vom Schwarzen Brett im Foyer geholt, wo sie normalerweise aushängen. Sie zeigen das Ergebnis einer Umfrage, welche die Schule im Herbst zum Thema Wohlfühlen gemacht hat. Denn das Förderzentrum nimmt seit März 2011 an dem Projekt „Mit psychischer Gesundheit Ganztagsschulen entwickeln“ teil. Zwei Fragebögen haben die Lehrerinnen und Lehrer in diesem Rahmen für Schülerinnen und Schüler und deren Eltern entworfen, in denen sie verschiedene Wohlfühlfaktoren abfragen. Auch durch die Hände des Schülerrats gingen die Fragen, bevor sie schließlich ausgegeben wurden. 137 Schülerinnen und Schüler und etwa 120 Eltern beantworteten Fragen wie: „Wie gefällt Ihnen das Aussehen unserer Schule?“ oder „Wie helfen dir deine Mitschüler?“ Das Ergebnis war so positiv wie die Rücklaufquote der Fragebögen und zeigt, wie sehr sich die Kinder und Jugendlichen mit ihrer Schule verbunden fühlen.
Das ist wichtig für die gebundene Ganztagsschule. Schließlich verbringen die Schülerinnen und Schüler unter der Woche den Großteil ihrer Zeit hier und besuchen nachmittags AGs und sportlichen Förderangebote. Julius beispielsweise, der an einer Hemiparese – einer halbseitigen Spastik – leidet, ist in der Schwimmmannschaft, die auch schon an „Jugend trainiert für Paralympics“ teilgenommen hat. Er und sein Schülerratskollege Domenique, der auch schwimmt und außerdem Rollstuhlbasketball spielt, reisen an so manchem Wochenende mit ihrer Sportsmannschaft zu Turnieren.
Sportlicher Schulalltag
Sport wird sehr gefördert, denn: „Über den Sport wird bei unseren körperbehinderten Schülerinnen und Schülern ganz viel motorische Entwicklung möglich“, sagt Birgit Kamke, die hier Chemie und Biologie unterrichtet. Nicht durch den Sport allein, natürlich: Die Heranwachsenden besuchen unterrichtsbegleitend motorische Förderangebote wie Ergo- oder Physiotherapie. „Therapieimmanenter Unterricht“ heißt das.
Das Förderzentrum hat sich ganz dem Motto der individuellen Förderung verschrieben. Schließlich sollen die Schülerinnen und Schüler an jeder anderen Schule und auch in der Berufswelt bestehen können. „Durchlässigkeit in alle Richtungen“ sei das Ziel, erklärt Birgit Kamke. Damit das klappt, gibt es für die Übergangsphase ein Helfer- und Unterstützersystem. Für Domenique wird es bald ernst: Der Zehntklässler verlässt das Förderzentrum nach diesem Schuljahr, um Fachabitur mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik zu machen. Erste Erfahrungen in diesem Bereich hat er bei seinen schulbegleitenden Praktika, bei der Redaktion einer Website und in einem Unternehmen der Tourismusindustrie schon gesammelt.
„Hallo“, ruft eine der drei Lehrerinnen, die an der Rückseite des großen, hellen Raumes zusammenstehen und sich unterhalten. „Das hier ist das Lehrerzimmer!“ „Genau“, antwortet Julius, „und das hier ist eine Schulführung.“ Die Lehrerin lacht. „Hier ist der Zutritt für Schüler verboten“, scherzt sie, „und du stehst mit deiner großen Zehe schon mittendrin!“
Ein weiter Weg
„Das ist ein familiärer Umgang, den wir hier miteinander haben“, erklärt Julius, „das Vertrauen untereinander ist sehr groß.“ Ein weiterer Faktor, der dafür sorgt, „dass die Schule Spaß macht und jeder sich wohl fühlt“, wie Domenique es ausdrückt. Manche, so wie Julius, nehmen dafür einen richtig langen Anfahrtsweg in Kauf: Er fährt jeden Morgen aus der Nähe von Lübeck hierher. Das sind etwa 50 Kilometer pro Strecke.
Ein paar Verbesserungsmöglichkeiten für das Wohlgefühl der Schülerinnen und Schüler hat die im Herbst durchgeführte Umfrage dennoch angedeutet. Es geht um die Verschönerung des Schulgeländes, die neuen Sitzbänke in den Fluren, die nicht so angenommen werden wie erhofft, und um die Kommunikation zwischen Lehrerinnen und Lehrern und Schülerinnen und Schülern. An diesen Themen möchte die Schule arbeiten.
Denn bis zu echter Inklusion, so sieht es Birgit Kamke, ist der Weg noch weit. Zwar steht sie der Inklusion behinderter Kinder an Regelschulen aufgeschlossen gegenüber und setzt sich gemeinsam mit dem Netzwerk der Förderzentren für die Umsetzung der betreffenden UN-Konvention ein. Momentan jedoch fehlten den Regelschulen noch die Ausstattung, das Know-how und die Kapazitäten zur besonderen Förderung, meint sie. Und wie wichtig diese ist, macht ein Ausspruch von Julius deutlich: „Wir sind doch alle sehr heterogen!“