Die Heiligenwegschule Osnabrück

Bewegung ist keine lästige Notwendigkeit, sondern kann Spaß machen, wenn sie spielerisch Bestandteil des Alltags wird. Die Heiligenwegschule Osnabrück hat gemerkt: Wenn die Kinder in die Planung eingebunden werden, ist es nicht mehr weit zur ruhigen und entspannten Schule.

„Au ja!“, rufen die beiden achtjährigen Jungs und kommen über den Pausenhof gerannt. Der Hausmeister hat gerade die „Pferdekutsche“ aus dem Schulhaus gebracht. Die Pferdekutsche, das ist ein Holzgefährt auf zwei Rädern, mit einem langen Rahmen. Der eine Junge setzt sich sofort auf die Sitzbank über den Rädern. Der andere duckt sich unter dem Rahmen hindurch, sodass er die vordere Holzlatte etwa auf Brusthöhe hat. Er spielt das „Pferdchen“. Und los geht’s, den Weg entlang und durch das Tor in den hinteren Pausenhof zu den Spielkameraden.

Die Pferdekutsche ist eines der Spielgeräte, welche die Heiligenwegschule im letzten Jahr angeschafft hat. Die Schüler sollen in den Pausen auf dem Schulhof bewegungsintensiv und doch geregelt spielen können. Damit die Kinder die Spielgeräte annehmen, haben die Lehrrkräfte den Schülerrat – das ist die Schülervertretung, die sich aus den Klassensprechern der 3. und 4. Klassen zusammensetzt – in ihre Auswahl einbezogen.

Gesundheitsschwerpunkt im Brennpunktkiez

Die Heiligenwegschule ist eine Grundschule im Osnabrücker Bezirk Schinkel, einem so genannten „sozialen Brennpunkt“. Hier wohnen Menschen in sozial schwierigen Lebenslagen, Hartz-VI-Empfänger und Menschen mit Migrationshintergrund. Rund 90 Prozent der Schüler kommen aus Zuwandererfamilien, Sprachförderung steht hier ganz oben auf der Agenda. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler pro Klasse ist mit durchschnittlich 16 eher gering. Denn eine Schule, deren Schülerschaft überwiegend aus Kindern mit Migrationshintergrund besteht, hat in Niedersachsen Anspruch auf zusätzliche Lehrerstunden.

Die Heiligenwegschule hat sich das Thema Gesundheit auf die Fahnen geschrieben. Unter dem Programm „Schule 2000“ ist sie zur zuckerfreien Schule geworden. Einmal im Monat kommen Schulärzte und geben Unterricht in gesunder Ernährung, Zahnärzte klären über Mundhygiene auf und üben mit den Kindern das Zähneputzen. Seit März 2011 engagiert sich die offene Ganztagsschule zudem im Rahmen des Programms „Mit psychischer Gesundheit Ganztagsschulen entwickeln“ für die Gesundheit der Schülerschaft und Lehrer. Es geht zum Beispiel darum, den Lärm der Kinder zu reduzieren. Und zwar so, dass die Schülerinnen und Schüler dennoch genügend Raum für ihre Bewegung bekommen. Denn „Kinder kann man nicht zwangsweise ruhig halten, das geht nicht“, sagt Schulleiterin Jutta Hilker, die in der 4c Mathematik unterrichtet.

Kleine Schritte machen’s möglich

Zwei Viertklässlerinnen in orangenfarbenen Warnwesten stehen am Eingang zum linken Seitenflügel. Schnell reißen sie die Tür auf, um Hilker auf den Hof zu lassen. Sie sind heute die Pausenmanagerinnen, und sie sind stolz wie Oskar auf ihr Amt. Im Juni 2011 wurde es eingeführt, und seitdem sind die Flure in den Pausen leer, die Schüler bleiben auf dem Hof, wenn sie nicht gerade zur Toilette müssen. Sie hat also funktioniert, die Idee, die Kinder selbst in die Regulierung einzubeziehen.

„Was kann ich in kleinen Schritten und mit geringen Mitteln erreichen“ – das ist das Prinzip hinter den Veränderungen, die sich gerade an der Heiligenwegschule abspielen. Es ist auch das Prinzip der Innenarchitektin Sigrid Stjerneby, die sich im Rahmen des Gesundheitsprojekts im Sommer 2011 die Schule anschaute, berichtet Thomas Nachtwey, Leiter der Serviceagentur „Ganztägig Lernen“ in Niedersachsen und Begleiter des Projekts. Die frühere Waldorflehrerin habe einen am Kind orientierten Blick auf das Schulgebäude geworfen – und zahlreiche praktische Tipps geben können, wie der Alltag entschleunigt und der Wohlfühlfaktor erhöht werden kann.

Ein paar davon wurden schon umgesetzt. So stehen jetzt im langgezogenen Gang neben den Lehrerzimmern die Grünpflanzen versetzt. Das verringert die Laufgeschwindigkeit der Kinder und schont so die Lehrer in ihren Erholungspausen. Demnächst wird eine Gärtnerei weitere große Grünpflanzen spenden. Stressreduzierend wirkt zudem die neue Ordnung am Schwarzen Brett. Früher gingen wichtige Informationen gerne in einer chaotischen Zettelflut unter. Nun ist das Infobrett in drei Farben gegliedert: rot für dringend, gelb für mittel, grün für alles andere.

Ein buntes Farbenspiel

Geändert hat sich auch die Farbmischung der Stühle in den Klassenzimmern. Bis kürzlich, so erzählt Hilker, waren die Stühle des einen Schultrakts rot, die des anderen blau. Jetzt haben sie die Farben überall gemischt – auch das trage zur Ruhe bei. Die nächsten Vorhaben: die Zwischenräume zwischen den Klassenzimmern zu angenehmen Aufenthaltsorten mit Sitzecken, dicken Kissen und neuen Computern umbauen. In den Fluren Sitzinseln schaffen, beispielsweise im ersten Stock, wo bisher nur ein alter Schultisch steht. Gerahmte Bilder im Treppenhaus aufhängen – die ersten sind schon an der Wand. Und um Ostern kommen die Maler und streichen das Treppengeländer regenbogenfarben.

Ein weiterer Stressfaktor, über den sich die Schule Gedanken macht, ist der Lärmpegel während des Unterrichts. Eine vierte Klasse experimentiert seit einiger Zeit mit einer Lärmampel. Wenn der Lärmpegel im Unterricht zu sehr steigt, fängt die Ampel an zu quietschen – ein unangenehmer Laut, der die Schüler zur Ruhe bringt. Für einige Zeit zumindest, denn: Wenn dies zu häufig geschehe, verliere sie ihre Wirkung, erklärt die Klassenlehrerin. Deshalb wird sie nur phasenweise eingesetzt.

Kinder brauchen Bewegung, das wissen hier alle. Also wird sie in Form von Spielen und Entspannungsübungen in den Unterricht eingebaut. Dies war auch der Ansatz der halbtägigen Lehrerfortbildung „Ruhige Schule“, die Anfang Februar 2012 stattfand. Die Lehrkräfte der Heiligenwegschule waren begeistert von den Übungen, die sie dort lernten. Jutta Hilker hat in ihrer nächsten Unterrichtsstunde gleich eine eingesetzt. Mit Erfolg: Es hat Spaß gemacht und die Schüler waren danach viel ruhiger.

Draußen lehnt derweil ein Mädchen auf Stelzen gegen den grünrosa Drachen an der Mauer, die den hinteren Pausenhof vom vorderen Schulgelände trennt. Den Drachen, die Heißluftballons daneben und die anderen Wandbilder haben sie im letzten Jahr selbst gemalt, die Schüler der ersten und zweiten Klassen. Das Ziel: Vandalismus und Sprüche wie „Türke hau ab“ übermalen und für die Zukunft vermeiden. Mit Erfolg, wie es scheint: Bisher jedenfalls hat keiner das fröhliche Gemeinschaftswerk überschrieben.
 

Die Heiligenwegschule, eine Grundschule in Osnabrück Schinkel, ist seit 2010 eine offene Ganztagsschule. Etwa 90 Prozent ihrer Schüler haben einen Migrationshintergrund. 16 hauptamtliche Lehrer, darunter ein Arabisch- und ein Türkischlehrer, sowie zwei Förderschullehrkräfte und drei pädagogische Mitarbeiter unterrichten die gut 200 Schüler. Nachmittags stehen zudem vier Hort-Pädagoginnen, sieben pädagogische Kräfte und eine Koordinatorin der Jugendhilfe zur Verfügung. Die Schule kooperiert mit dem VPAK (Verein zur pädagogischen Förderung von Kindern aus Zuwandererfamilien e.V.), der Universität Osnabrück, den Freizeiteinrichtungen des benachbarten Stadtteiltreffs und den umliegenden Sportvereinen.