Das Hansa-Gymnasium in Stralsund

Am Hansa-Gymnasium in Stralsund soll stressfrei gelernt werden. Seit mehreren Jahren steht das Thema Gesundheit im Mittelpunkt. Die Bemühungen des Gymnasiums wurden sogar mit dem Zertifikat „Gesunde Schule“ belohnt.

Der Junge hebt den faustgroßen Softball hinter den Kopf. Sein Arm schnellt nach vorn, sinkt wie im Wurf. Der Schüler gegenüber springt. Nur der Ball ist nirgends zu sehen. Den hält der Junge noch in der Hand. Eine Finte, wieder und wieder. „Hey Mann“, ruft einer der fünf Schüler, die im Kreis auf dem Pausenhof stehen, schließlich halb lachend: „Du Egoist!“ Das sitzt: Der Junge wirft den Ball ab.

Diese Szene spielt zu Anfang der Mittagspause auf dem Hof des Hansa-Gymnasiums. Das Gymnasium ist eine gebundene Ganztagsschule in Stralsund und eine der ersten zwanzig Modellschulen „Selbständige Schule“ in Mecklenburg-Vorpommern. Lage und Unterbringung sind topp: Das Gymnasium logiert in einem großen, denkmalgeschützten Backsteingebäude am Strelasund, das sich um einen Innenhof gruppiert. Der Stolz der Schule ist eine schöne alte Aula. Auf der linken Seite steht ein Neubau mit Aufzug, in diesem Gebäude sind die Naturwissenschaften untergebracht.

Einen Nachteil jedoch hat die noble Behausung: Die Klassenräume sind klein, und auch der eingezäunte Pausenhof, der sich entlang der Neubauseite zieht, bietet nicht allzu viel Platz. Zwar können die Schüler vorne auf den Strelasund blicken und beobachten, wie Müßiggänger auf der Promenade Möwenschwärme füttern. Aber so richtig austoben können sie sich hier nicht – zumal ein guter Teil des Hofs mit Fahrrädern vollgestellt ist, mit denen Lehrer wie Schüler zur Schule kommen.

Besonders den jüngeren Schülerinnen und Schülern gefällt dies nicht. Sie müssen in der ersten großen Pause an die frische Luft gehen, dürfen das Schulgelände aber noch nicht verlassen. Daher drücken sich einige gerne mal. Das möchten die Lehrerinnen und Lehrer ändern: Die Kinder und Jugendlichen sollen sich auch draußen auf dem Hof wohlfühlen. Deshalb hat der Steuerkreis „Gesunde Schule“ – das Hansa-Gymnasium war 2008 die erste Schule in Mecklenburg-Vorpommern, die mit dem Zertifikat „Gesunde Schule“ ausgezeichnet wurde – im August 2011 entschieden, dass sein Fokus im Rahmen des Projekts „Mit psychischer Gesundheit Ganztagsschulen entwickeln“ auf der Gestaltung des Hofes liegen soll.

Seitdem die Gesundheit 2005 in den Vordergrund rückte, hat sich bereits viel verändert. Die Schule hat den Unterricht rhythmisiert und in 80-Minuten-Blöcke eingeteilt. So wurde Zeit frei, die die Klassen 7-10 für Wochenplanarbeit und Lernzeit nutzen, während die Oberstufe Studienzeit hat. Hannes und Jenny vom Schülerrat – das ist die gewählte Schülervertretung – freut daran, dass sie in dieser Zeit auch Stoff für die nächste Klassenarbeit wiederholen oder Hausaufgaben machen können. „Seitdem ist es stressfreier, in die Schule zu gehen“, meint Jenny.

Überhaupt sind die Hausaufgaben ein eigenes Thema in einer Ganztagsschule und eins, für das das Hansa-Gymnasium ein eigenes Konzept entwickelt hat. Die Schüler verpflichten sich dazu, sie ohne die Hilfe ihrer Eltern zu erledigen. Die Lehrer halten sich an folgende Regeln: Hausaufgaben werden nicht zum folgenden Tag, nicht übers Wochenende und nicht über die Ferien vergeben. Sie werden nur eingesammelt, wenn dies vorher angekündigt wird.

Fünf Schülerinnen und Schüler sitzen im Lernzentrum um einen Doppeltisch, die Köpfe über die aufgeschlagenen Bücher gebeugt. Ein Schüler hat ein Notebook vor sich aufgeklappt und tippt eifrig. Eine andere Schülerin hat sich halb dem PC zugewandt, der neben dem Tisch steht. Auch an den Computer an der Stirnseite und um die Ecke im kleinen Computerraum – der mehr ein Schlauch ist als ein Raum und nur wenige PC-Plätze hat – sitzen mehrere Schülerinnen und Schüler. Einige recherchieren für den Geschichtsunterricht in der 11. Klasse. Der Lehrer steckt kurz den Kopf zur Tür herein: Gibt es Fragen? Nein? Und fort ist er, auf dem Weg zu dem nächsten Lernort seiner Schüler.

Dass die 30 Schülerinnen und Schüler einer Klasse sich auf verschiedene Räume verteilen, kommt häufiger vor. Möglich macht dies das durch Spenden finanzierte Lernzentrum. So haben die Kinder und Jugendliche mehr Raum, kommen ab und zu aus den recht kleinen Klassenzimmern heraus und können sich in Einzel- oder Gruppenarbeitsphasen selbständig in ihre Aufgaben vertiefen. „Wir wollen vermitteln, wie ich mir Wissen aneigne“, erklärt Kathrin Steffan, die Deutsch und Kunst unterrichtet, das Konzept dahinter, „wie ich also das Lernen lerne“. Selbständige Arbeit bedeutet da „learning by doing“. Hilfreich dabei sind auch die jährlichen Methodentage.

Gegen Ende der einstündigen Mittagspause stehen die Schülerinnen und Schüler immer noch mit ihrem Ball im Kreis. Einer ist hinzugekommen. Im Herbst 2011 hat der Steuerkreis „Gesunde Schule“ den Schülerrat damit beauftragt, die Wünsche der Schülerinnen und Schüler zur Hofgestaltung zu sammeln. Welche Sportgeräte vermissen sie, welche Objekte brauchen sie?

Der Schülerrat führt die Debatte darüber mittlerweile auch auf Facebook. Mobile Basketballkörbe sind ebenso Thema wie transportierbare Fußballtore. Dabei unterscheiden sich die Vorstellungen je nach Alter der Kinder und Jugendlichen deutlich. „Für uns Großen wär’s wichtig, neue Sitzgelegenheiten zu schaffen, damit man sich auch mal in die Sonne schmeißen kann“, sagt Jenny.

Derweil treffen sich viele Schülerinnen und Schüler in der Mittagspause unten bei der Kantine. Dort um die Ecke hat auch Schulsozialarbeiter Martin Pollmann sein Büro. Seine Stelle wird aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds finanziert. Mit welchen Themen kommen die hiesigen Schüler zu ihm? Leistungsdruck und Probleme im Elternhaus, zählt Pollmann auf, Probleme mit Lehrern oder Noten sowie Ansätze von Cyber-Mobbing. Die könnten zwar meist schnell wieder unterbunden werden, der psychische Schaden sei dann aber schon angerichtet. „Die Psyche der Schüler ist teilweise stark belastet“, sagt Kathrin Steffan und meint, dass die Nöte, die die Schüler von zuhause mitbrächten, in den letzten Jahren zugenommen hätten. Umso wichtiger der Anspruch dieser Schule: ein Wohlfühlort zu sein, an dem die Probleme von Schülerinnen und Schülern gehört werden.

Das Hansa-Gymnasium ist eine gebundene Ganztagsschule ab Klasse 7. Hier unterrichten 42 Lehrerinnen und Lehrer ca. 620 Schülerinnen und Schüler. Es gibt offene Ganstagsangebote wie z. B. Mediation, Open Source oder Robotik. Das Gymnasium ist Multimedia- und Modellschule, trägt den Titel „Umweltschule in Europa / Internationale Agenda 21-Schule“ und hat als Comenius-Projektschule Partnereinrichtungen in anderen EU-Ländern. Zur Vorbereitung auf Universität und Beruf kooperiert das Gymnasium mit Organisationen wie der Fachhochschule und mit Unternehmen. Zudem arbeitet es mit dem Theater Vorpommern, der Musikschule und Sportvereinen zusammen.