Kongress 2011: Begrüßungsrede von Dr. Bernd Althusmann

 

Dr. Bernd Althusmann, Präsident der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder und Kultusminister Niedersachsens auf dem 8. Berliner Ganztagsschulkongress am 04. November 2011

Da sage noch mal einer in Deutschland, dass unsere Schüler nicht ausreichend interessiert wären an ihrer eigenen Zukunft. Wie man mir zu Beginn des Tages gleich gesagt hat, sind etwa 160 Schülerinnen und Schüler hier, die eines wollen: Schule verändern. Und zwar Schule zum Guten verändern. Den Lernort, den Lebensort Schule zum Guten verändern. Und das kann natürlich nur mit vielen Partnern an Schule gelingen. Im Übrigen, lassen Sie mich vielleicht gleich zu Beginn mal sagen: Das war schon cool, die Hip Hop Battle Gruppe zu Beginn dieser Veranstaltung. (Applaus) Auch das kann mal ein wenig hervorgehoben werden. So cool vielleicht wie Ganztagsschule.

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Es ist viel gesagt worden zu den Zielen, den Erfolgen, zu der Bilanz, die wir heute ziehen. Ich will mich dann vielleicht ein wenig auf etwas anderes konzentrieren: Vor welchen bildungspolitischen Herausforderungen stehen eigentlich Bund und Länder in den nächsten Jahren? Und was hat das unter Umständen mit Ganztagsschule zu tun? Sie wissen vielleicht, dass sich aufgrund des demografischen Wandels, des Rückgangs der Geburtenquoten in Deutschland, die Schülerzahlen in den nächsten zehn Jahren vermutlich um etwa 1,8 Millionen Schülerinnen und Schüler reduzieren werden. Das hat weitreichende Folgen für das Schulsystem und, ich betone ausdrücklich, auch für die Schulstrukturen. Aber in dem Zusammenhang versuche ich immer wieder dafür zu werben, dass wir uns in Deutschland weniger über Schulstrukturen, sondern mehr über die Inhalte guter Schule unterhalten sollten. Und manche Kämpfe, die uns Jahrzehnte lang bewegt haben, haben uns ja in der Frage der Bildungsqualität nicht immer ganz wesentlich vorangebracht.

Wir haben im Moment etwa sieben Prozent der Schülerinnen und Schüler in Deutschland, die keinen Abschluss bekommen, wenn sie die Schule verlassen. Wir haben circa 18 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die, wenn sie eine Berufsausbildung beginnen, ohne Bildungsabschluss, ohne Berufsabschluss nach Hause gehen. Das ist für eine Volkswirtschaft wie Deutschland eine Zahl, die viel zu hoch ist. Wir werden in den Ländern in den nächsten Jahren die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung  – Stichwort Inklusion – umzusetzen haben. Wir werden uns in den nächsten Jahren – und das Zeitfenster für die Bildungspolitik beträgt etwa fünf bis sieben Jahre – intensiv mit Antworten auseinanderzusetzen haben, wie wir  auf den steigenden Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in unserem deutschen Schulsystem mit Sprachförderprogrammen und anderen begleitenden Maßnahmen reagieren . Der Anteil beträgt schon heute rund 30 Prozent. Die Steigerungszahlen gehen von einem Anteil von 40 bis 50 Prozent in Deutschland aus. Wir streiten uns mit Bund und Ländern oft über die Finanzen. Deutschland hat im Jahr 2010 rund 102 Milliarden Euro an öffentlichen Bildungsausgaben ausgegeben. Wir haben ein 10-Prozent-Ziel beschlossen, was wir erreichen wollen. Heute liegen wir bei etwa 5 bis 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, was wir in Bildung investieren wollen.

Was hat das alles mit Ganztagsschule zu tun? Meine Damen und Herren, gute Schule gelingt unabhängig von Strukturen.  Der Anteil der Kinder, die kein ausreichendes Kompetenzniveau erreichen, liegt etwa bei 18-20 Prozent, sagen uns die zurückliegenden Studien. Die Frage der Ganztagsschule wird der entscheidende Faktor sein, ob es uns in den nächsten zehn Jahren gelingen wird, dass wir genau auch für diese Kinder, für alle Kinder in Deutschland, die Chancen und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie eine echte Bildungszukunft erhalten, dass sie ihr Leben selbstständig in die Hand nehmen können. Dafür bietet meines Erachtens die Ganztagsschule in Deutschland, in den Ländern, die wesentlichste Voraussetzung. Für mich persönlich ist das, was wir heute Halbtagsschule nennen, ein Übergangsmodell. Ich hoffe sehr, dass es Bund und Ländern in den nächsten Jahren gelingen kann, im Kern das schulische Bildungssystem zu einem Ganztagsschulsystem auszubauen.

(Applaus)

Meine Damen und Herren, die Einführung von Ganztagsschulen war so etwas wie ein Paradigmenwechsel im deutschen Schulsystem. Der Aufbau, der  Ausbau  – damit sind zahlreiche Erwartungen an die Bildungspolitik in unserem Land verknüpft.  Die Ganztagsschule soll Lernmotivation steigern, sie soll Schulfreude erhöhen, den Erwerb von sozialen Fähigkeiten fördern. Sie soll soziale Benachteiligung kompensieren, sie soll eine Balance zwischen Familie und Arbeitswelt schaffen und außerdem natürlich für eine bessere Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund sorgen. Das sind die Erwartungen. Die Länder haben gemeinsam mit dem Bund auch die entsprechenden Rahmenbedingungen, die baulichen Voraussetzungen – Frau Staatssekretärin hat es genannt – in den letzten Jahren auf den Weg gebracht. Alles aber, und das betone ich ausdrücklich im Rahmen von Ganztagsschule, kann nur gelingen, wenn wir zwei, drei Faktoren, die im weitesten Sinne auch Schulkultur betreffen – und gerade dort wird die Ganztagsschule Maßstäbe setzen – nur dann gelingen, wenn wir uns auf ein paar wesentliche Fragen konzentrieren.

  • Wir brauchen die Eltern. Wir brauchen die Eltern in Schulen. Wir brauchen die Einbeziehung von Eltern in den Lernort Schule.
  • Wir brauchen ein hohes Maß an Respekt im Umgang zwischen Lehrern und Schülern und zwischen Schülern und Lehrern. Das Thema respektvoller Umgang und Achtung vor Lehrern und deren herausragender Tätigkeiten tagtäglich an Tausenden Schulen in Deutschland ist meines Erachtens der wesentliche Erfolgsfaktor für gute Schule. Respektvoller Umgang an Schule aber auch die Anerkennung des Berufsstandes, der sich jeden Tag darum kümmert, dass diese kleinen Rohdiamanten von der Grundschule in den weiterführenden Schulen irgendwann mal zu glänzenden Diamanten werden, die dann in der Lage sind Ausbildungen anzustreben, Hochschulausbildungen anzustreben oder was auch immer.

(Applaus)

Meine Damen und Herren, wenn wir neben den finanziellen Rahmenbedingungen, neben den Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen für gute Schule, zu ein paar Grundprinzipien zurückkommen, auch des alltäglichen Umgangs von Menschen untereinander, dann bin ich mir sehr sicher, dass das deutsche Bildungssystem, von dem ich im Übrigen glaube, dass es zu den leistungsfähigen Bildungssystemen in der Welt gehört, weiter erfolgreich wirkt.

Seit Pisa sind wir immer ein wenig geschockt und laufen immer sehr tief gebeugt. Ich glaube dazu besteht überhaupt gar kein Anlass. Das deutsche Bildungssystem und die deutschen Schülerinnen und Schüler sind viel, viel leistungsfähiger, als so manche empirische Sozialforschungsstudie der vergangenen Jahre und Jahrzehnte es uns immer wieder sagen will. Ich glaube aber, dass ganztägige Bildungssysteme der geeignete Ort sind, um entsprechende Voraussetzungen schaffen zu können, weitere Professionen, auch über Schule hinaus, miteinander arbeiten zu lassen.

Dadurch können neue Bildungschancen entstehen und Ganztagsschule kann zu einer offenen und  lebendigen Einrichtung im Gemeinwesen werden. Dabei ist es wichtig die Familie, die Partner im Umfeld, die Unternehmen und die Vereine einzubinden.  Ich habe gestern eine zweite Bundesliga Volleyballmannschaft in Lüneburg – da lebe ich- dazu animieren können, dass  sie die Volleyball AG in vier Schulen im Landkreis Lüneburg mit unterstützt. Das heißt da kommen Bundesliga Volleyballspieler in den  Ganztagsschulalltag hinein und unsere Schülerinnen und Schüler können davon profitieren. Ich finde solche  Projekte hervorragend  und wünschte mir in Deutschland mehr davon.
Meine Damen und Herren zu den Zahlen der Ganztagsschule ist alles gesagt und zu der Frage wie kann es gelingen, Kooperationen und auch weitere Partner  für Ganztagsschule und gute Schule zu gewinnen. Deshalb will ich mich zum Schluss auf die  zukünftigen Herausforderungen konzentrieren, denn es gibt noch eine Menge zu tun.

Die Zahl der Ganztagsplätze ist zwar deutlich gestiegen, dennoch gilt es den Ausbau  weiter voranzutreiben und das wollen wir tun. Denn es geht im Kern darum, die Chancen auf eine ganztägige Betreuung unserer Kinder zu erhöhen. Wir wollen die  Zusammenarbeit mit Eltern stärken. Wir wollen lokale und regionale Netzwerke sowie  Bildungslandschaften  für den Nachmittagsbetrieb gründen. Wir müssen auch mal den Mut haben Best Practice Beispiele einzubinden, die es in Deutschland ja hervorzuheben gibt und zu sagen: so kann gute Ganztagsschule gelingen, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Das sind Aufgaben und Herausforderungen die alle nicht von heute auf morgen zu lösen sind -vor allem nicht alleine. 

Hier ist das Zusammenwirken aller Beteiligten nötig. Schulleitung , Eltern Lehrerinnen und Lehrer, Hortpersonal, Hausmeister und Haustechniker. Dass dies funktioniert und dass ein Austausch über Grenzen hinweg nötig ist, zeigt der Kongress und zeigt die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, die sich maßgeblich über die Fragen der Qualität von Ganztagsschule einbringt. Die Frage der Veränderung beginnt im Kopf. Ganztagsschule auf den Weg zu bringen und zu einem Erfolg zu machen, beginnt im Kopf. Und deshalb sage ich: Was nützt der schönste Sonnenaufgang, wenn man nicht aufsteht. Deshalb muss es das Ziel der Bildungslandschaft in Deutschland sein unabhängig von Begabung, unabhängig davon ob ein Kind mehr oder weniger  Beeinträchtigungen hat, dass jedes Kind eine echte Chance auf Bildungserfolg. Die Ganztagsschule ist der richtige Weg zu diesem Ziel.