Übergang von KITA zu Schule

(c) DKJS / D. Ibovnik
DKJS/D. Ibovnik

Während woanders Hort und Schule konkurrieren, arbeiten in Cottbus-Sandow die Kindertagesstätte Pfiffikus mit der Carl-Blechen-Grundschule schon seit Jahren eng zusammen. Davon profitieren beide Einrichtungen und vor allem die Kinder.

Ein Bericht von Christine Plaß.

Besuch ist man hier gewöhnt. Aber beim letzten waren sie dann doch ein bisschen aufgeregt. „Wir hatten am Montag den Bildungsminister da. Das hat man ja auch nicht alle Tage“, erzählt Regina Bartsch, Leiterin der Kindertagesstätte Pfiffikus.

Der brandenburgische Bildungsminister kam nicht ohne Grund. Als der Hort für 225 Kinder von 0-12 Jahren 2002 in die Trägerschaft des Jugend- und Sozialwerks Oranienburg überging, gelang ein Qualitätssprung nach vorn. Regina Bartsch absolvierte eine Facharztausbildung, vier Kollegen wurden als Koordinatoren ausgebildet. Sie legen Qualitätsstandards fest und sorgen für die Überprüfung. Wie gehen wir mit Eltern um? Wie sorgen wir dafür, dass sich alle Kinder trotz des großen Altersunterschieds wohl fühlen? Anhand solcher Fragen entwickeln die Qualitätszirkel Standards und überprüfen, wie sie sich praktisch realisieren lassen.

Seit 2002 beteiligt sich Pfiffikus am Forschungsprojekt „10-Stufen-Bildung“. Auf Grundlage der Freinet-Pädagogik werden dabei Standards zu Raumkonzepten, teiloffener Arbeit, Beobachtungen, Dokumentationen, Werkstätten, Videoaufnahmen, Aufenthalt im Freien und zur Eingewöhnung entwickelt. Bei allem stehen die Grundprinzipien der Freinet-Pädagogik im Zentrum, die Kinder ermutigt, sich selbst zu probieren, zu bilden und gemeinsam mit anderen weiter zu entwickeln. Dabei sind die Erzieher dafür verantwortlich  die Kinder zu begleiten.

Seit 2003 kooperiert Pfiffikus mit der Carl-Blechen-Grundschule, die einen Kooperationspartner für den Ganztag suchte. „Man kann es heute nur zusammen schaffen“, ist Bartsch. überzeugt. Sie kennt die Angst, dass die Ganztagsschule dem Hort die Kinder nimmt, aber sie teilt sie nicht: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass uns keine Kinder weggebrochen sind.“ Statt dessen sprach sich die Qualität herum, inzwischen sprengen die Anmeldungen vorhandene Kapazitäten.

Vorbild für andere

In der Carl-Blechen-Grundschule hält man große Stücke auf den Kooperationspartner, „Es ist im Interesse der Kinder, sie schon im Kindergarten auf die Schule vorzubereiten“, weiß Silvia Hanschke, stellvertretende Schulleiterin, und lobt, was Pfiffikus in dieser Hinsicht leistet. Seit 2005 ist die Carl-Blechen-Grundschule offiziell Ganztagsschule. Damals war Ganztagsschule noch neu im Land, viele Schulen wussten nicht, wie sie funktionieren sollte. Deshalb probierte die Carl-Blechen-Grundschule den offenen Ganztag schon 2003 mit Erfolg aus. Inzwischen haben die Lehrerinnen, auch gemeinsam mit dem Hort, ein Konzept entwickelt. Kinder mit Sprachproblemen, Lernschwierigkeiten und geistigen Behinderungen sind integriert. „Durch die Kooperation mit Pfiffikus können wir ein richtig gutes großes Gesamtpaket anbieten“, freut sich Hanschke.

So gestaltet die Schule zusammen mit der Kita einmal wöchentlich den ABC-Treff für Vorschüler. Abwechselnd übernimmt eine Lehrerin und eine Erzieherin die Gestaltung der knapp zwei Stunden, abwechselnd findet der Treff in den Räumen der Schule und der Kita statt. Die Kinder lernen dabei die Gebäude, Materialien, Arbeitsweisen und Regeln kennen, was auch den Pädagog/innen die Arbeit erleichtert, weil Arbeitsgrundlagen nicht mehr eingeübt werden müssen, wenn die Schule beginnt. Trotzdem bleibt viel Raum für Spielerisches. „Wir wollen die Kinder nicht schon verschulen, sondern ihnen vielfältige Möglichkeiten geben, ihre Kompetenzen zu entdecken und ihren Horizont zu erweitern“, erklärt Bartsch das Konzept. So stand in diesem Schuljahr der Besuch einer Fleischerei, einer Ölmühle und der örtlichen Müllentsorgung auf dem Programm. Gemeinsame Feste, Schnupperstunden in den ersten Klassen sind weitere feste Bestandteile des ABC-Treffs.

Doch damit hört die Zusammenarbeit längst nicht auf. Erzieherinnen nehmen an Wandertagen der Schule teil, Elternveranstaltungen werden gemeinsam durchgeführt. AGs wie Handarbeit oder Foto werden im kommenden Schuljahr im Ort stattfinden. Lehrer/innen und Erzieher/innen besuchen zusammen Weiterbildungen, schreiben gemeinsame Ziele fest und pflegen eine Partnerschaft zu Schule und Kindergarten in Nowa-Sol in Polen. Anfangsschwierigkeiten gab es allerdings auch. „Kita sieht die Kinder noch mal anders als die Schule. Um auf einen Level zu kommen, bedarf es vieler Feinabsprachen“, räumt Hanschke ein.

Gemeinsam wurden Ganztagsschule und Hort zum Konsultationsstandort. Das sind von der Serviceagentur „Ganztägig Lernen“ und dem brandenburgischen Bildungsministerium ausgewählte Schulen und Kitas, die andere bei ihrer Entwicklung zur Ganztagsschule unterstützen. Seitdem kamen von überall her interessierte Pädagogen mit vielen Fragen angereist. In Workshops tauschen Lehrerinnen und Erzieherinnen Erfahrungen aus und arbeiten zu Themen des Ganztags. „Wir sind für alle da, die Fragen haben“, lädt Hanschke ein.

Von Anfang an gebildet

„Die Enten kommen, hüpf, hüpf. Aber Frau Roy, eine Ente watschelt.“ Lustiges aus dem Kita-Alltag kann man in der Hort-Zeitung nachlesen, die die Kinder selbst schreiben und zeichnen. Gespräche aus dem Alltag, Rätsel, Gedichte, Bilder und Termine werden darin veröffentlicht. Die Hort-Zeitung ist eines der vielen Produkte, die in der Schreibwerkstatt von Pfiffikus entstehen, wo Druckbuchstaben, Zahlen, Stempel, Stifte, Füller aus Bambus und Tinte gut sortiert auf kleine Schreibkünstler warten.

Bereits ab dem dritten Lebensjahr werden die Kita-Kinder in die ersten einfachen Lernprojekte eingebunden, die im Vorschulalter dann anspruchsvoller werden. Wenn sie dann zur Schule kommen, haben die Kita-Absolventen bereits das offene Arbeiten in Schreibwerkstatt, Holzwerkstatt und Fotolabor erprobt; sie haben gelernt mit einer Vielzahl von Materialien umzugehen und ihren Interessen nachgehen. „Es ist erstaunlich, was Kinder alles entwickeln, wenn man sie lässt“, hat Bartsch erfahren.

Im Naturexperimente-Raum krabbelt es in den Reagenzgläsern. Vormittags sind hier die Kleinsten am Werk, nachmittags wird der Raum von den Hortkindern genutzt. Hier findet sich alles, was das Forscherherz begehrt: Lupengläser, Mikroskope, Elektrokasten, Nester, Aquarium, Waben, Knochen und vieles mehr. Bartsch ist froh, einige Männer im Erzieherteam zu haben: „Die sind manchmal einfach praktischer als wir“, erklärt sie mit Blick auf den Elektrobaukasten. Letztens war ein Physiklehrer zu Besuch. Das ist ja Wahnsinn, was ihr hier macht, was sollen wir denn dann noch machen?, habe er ausgerufen, erzählt Bartsch und gibt auch gleich die Antwort: „Aufbauen“. Sie wünscht sich, dass in der Schule stärker dort angeknüpft wird, wo in der Kita schon Grundsteine gelegt wurden. Im Kindergarten kann häufig noch individueller gefördert werden. Bartsch findet es schade, wenn die besonderen Begabungen, die im Kindergarten entwickelt werden,in der Schule dann manchmal unter gehen. „Die Lehrer sollten mehr gucken, welche Kompetenzen die Kinder bei uns schon erwerben.“ Leider sieht das Stundendeputat der Lehrer/innen dafür keine Zeit vor, das hat sie auch dem Bildungsminister gesagt.

Nebenan betreut Dagmar Roy, Erzieherin für Sprachgeschädigte und Heilpädagogin, Kinder mit ADS und ADHS, Sprachentwicklungsstörungen und Lernbehinderung. Auch ein autistisches Kind ist dabei. Es sind Kinder, die in der Carl-Blechen-Schule besonders gefördert werden und nach der Schule von Dagmar Roy im Hort weiter betreut werden. Der Kontakt mit den normal entwickelten Kindern ist möglichst eng. „Wir arbeiten mit ganz strengen Regeln“, erklärt Roy, darunter auch solche, die sich die Kinder selbst gesetzt haben. Laura hat sich vorgenommen, zuzuhören, Vivien will aufräumen, Tom nicht hinterhältig sein. Weil die Sprachdefizite ihr Unterlegenheitsgefühl verstärken und die Lösung von Konflikten erschweren, lernen sie hier vor allem, wie man sich gewaltfrei durchsetzen und auch mal zurückstecken kann. Bei allem sind die Eltern miteinbezogen. „Die Elternarbeit ist das A und O“, hat Roy die Erfahrung gemacht.

Immer in Bewegung

Vor vier Jahren zog Pfiffikus in das Gebäude in der Willy-Janasch-Straße ein, seitdem hat sich viel geändert. „Wir haben unseren Horizont immer erweitert», sagt Bartsch, die nicht daran denkt, damit aufzuhören, neue Pläne auszuhecken. „Ich bin ja nun auch nicht mehr 30, es hängt nicht vom Alter ab, ob man bereit ist, sich für Neues zu öffnen“, ist ihre Überzeugung. Flexibilität erfordert schon die Art der Einrichtung, die zugleich Krippe und Hort ist. Gab es in den letzten Jahren gar keine Krippenkinder mehr, weil viele Eltern keine Arbeit hatten, werden zurzeit erstmals wieder zwei Kinder unter einem Jahr betreut. Die Kernbetreuungszeiten sind von 9 bis 15 Uhr, aber wenn eine Mutter ihr Kind eher bringen muss, stellt Pfiffikus sich darauf ein.

Kaum vorstellbar, dass sich hier eines Tages nichts mehr ändert. Wer bei Pfiffikus arbeitet, für den ist die positive Einstellung zu Veränderung ein Muss. So steht es sogar im Pädagogischen Konzept. In der Anfangsphase hat Bartsch ihre Mitarbeiter/innen in Kitas geschickt, „von denen ich wusste, dass sie gut sind“. Weiterentwicklung wird groß geschrieben, jeder Mitarbeiter verpflichtet sich, fünf Mal im Jahr eine Fortbildung zu besuchen. Im Rahmen der Väter-Initiative werden gerade zwei Männer zu Erziehern ausgebildet, damit die Kinder auch männliche Ansprechpartner haben.

Auch äußerlich wandelt sich Pfiffikus ständig. Im Hof hat die Väterinitiative für die Kinder ein Baumhaus gebaut und einen Steingarten angelegt. Im Keller ist gerade eine richtige Holzwerkstatt entstanden, demnächst können die Kinder dort Vogelhäuschen bauen. Nebenan sind eine Auseinandernehm-Werkstatt und eine Sauna geplant, hier wird jeder Zentimeter für die Kinder genutzt.

Mathe schon in der Kita

Im Mathematikkabinett der Vorschulkinder hängen Formen und Zahlen aus, nebenan machen sich die Kinder zum Mittagsschlaf fertig. Gabriele Richter zeigt das selbst  hergestellte Montessori-Material. Diagramme lesen, genaues Beobachten, den Umgang mit Mengen lernen die Kinder hier schon im Vorschulalter. „Die Lehrer unterschätzen manchmal was unsere Kinder schon alles können“, bedauert die Erzieherin. Hospitationen sollen das ändern. Der fünfjährige Jonas und der sechsjährige Andrew sind vom Mittagsschlaf noch weit entfernt, so quietschfidel, wie sie durchs Mathematikkabinett hüpfen. Sie mögen, was viele Jungs am liebsten tun: Rausgehen und Fußball spielen. Seit einem Jahr besuchen sie die Vorschulgruppe, kommen im nächsten und übernächsten Jahr zur Schule. Für Andrew heißt das Abschied nehmen, weil er dann einen anderen Hort gehen wird, aber er wird oft zu Besuch kommen, das hat er sich schon vorgenommen. „Schöön“ finden die Beiden ihre Kita. Andrew findet nur „doof“, dass es nur manchmal Grießbrei gibt.

Was die Beiden noch nicht wissen: Für November ist ein großes gemeinsames Projekt mit der Carl-Blechen-Grundschule geplant: Eine Woche lang werden die Schulkinder der ersten bis sechsten Klasse mit den Kita-Kindern Kunststücke und Clownereien proben und aufführen. Ein Zirkus bringt ein großes Zelt und Kostüme für jedes Kind mit. „Das wird der Höhepunkt im neuen Schuljahr“, kündigt Silvia Hanschke an. Und Regina Bartsch fügt hinzu: „Durch dieses gemeinsame Projekt, erhoffen wir uns nicht nur eine noch
bessere Zusammenarbeit zwischen den beiden Einrichtungen, sondern auch eine
Weiterentwicklung der Kompetenzen unserer Kinder. Wir wollen ihr Selbstvertrauen stärken und sie noch besser auf die Schule vorbereiten.“ Wenn es ums besser werden geht, dann ist hier nach oben hin alles offen.

 

Autorin Christine Plaß
Datum: 28.10.2007
© www.ganztaegig-lernen.de

Christine Plaß arbeitet als freie Journalistin mit den Schwerpunkten Bildung, Politik und Gesellschaft in Berlin.