Schüler werden Kursleiter

(c) DKJS / D. Ibovnik
DKJS/D. Ibovnik

An der Kieler Theodor-Storm-Schule können die Schüler aus 50 Kursangeboten auswählen. Neben außerschulischen Partnern leiten auch Schüler selbst Kurse und übernehmen so Verantwortung für ihre Schule. Durch das offene Ganztagsangebot hat die Schule ihre Türen weit für den Stadtteil geöffnet und versteht sich als Zentrum einer Bildungslandschaft.

Wir nehmen auf, was an uns herangetragen wird. Finden sich dafür keine professionellen Partner, überlegen wir, wie Schüler dieses Angebot leiten.“ Marlies Sick ist als Koordinatorin der offenen Ganztagsschule stolz, dass ihre Jugendlichen eine weitere Chance zur Selbstverwirklichung erhalten. Die zahlreichen Angebote werden nicht nur von außerschulischen „Professionellen“ angeboten, sondern auch von Schülerinnen und Schülern der eigenen Schule. Dafür können sich diese qualifizieren. Durch deren Beteiligung kann auf fast jede Idee eingegangen werden und das ist auch der Grund für die Vielfalt der Möglichkeiten am Nachmittag.

Baderkhan aus der 10. Klasse hat durch sein Engagement als Aktions- und Angebotsleiter ein Stadtteilprojekt ins Leben gerufen. Im Projekt „Tonstudio“ produzieren er und seine elf Mitschüler einen Film über ihren Stadtteil. Er engagiert sich mit dem „musiculum“, einer Lern- und Experimentierwerkstadt, in der Jugendliche Instrumente und Akustik mit allen Sinnen begreifen können. Baderkhan wurde für seine Erfolge von der Hertie-Stiftung mit einem Stipendium ausgezeichnet. „Für diese Wege baut der von uns gestaltete Ganztag Brücken!“, so Marlies Sick. Das „Aktionsleiterprogramm“ begründet nicht nur das vielfältige Angebot an der Theodor-Storm-Schule, sondern ermöglicht Verantwortungslernen. „Damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe“, sagt Schulleiter Haack. „Um allen interessierten Jugendlichen die Chance zu geben, unterstützen wir die Aktionsleiterausbildung finanziell.“

Zweimal Ganztag unter einem Dach

Mit dem Jahrgang 5 und 6 erprobt die Schule neue Wege. Die Kinder verpflichten sich zur Teilnahme an einem von sechs Angebotskursen und müssen nach der Wahl diesem „treu bleiben“. „Verbindlicher Ganztag“ ist die Überschrift auf dem Auswahlzettel. Die knappen Rahmenbedingungen ermöglichen das verbindliche Kursangebot, das zum Teil an die staatlich gesetzten Lern- und Lehrziele anschließt. Damit bewegt sich die Storm-Schule auf „leisen Sohlen“ in Richtung „gebundene Ganztagsschule“. Die Entwicklung über den offenen Status, der davon lebt, außerschulische Partner zu pflegen, Verantwortung an die Jugendlichen abzugeben und der auf erfolgreicher Verzahnung von Vor- und Nachmittag  basiert, scheint von Vorteil zu sein. So bezieht die Kieler Schule die „verbindlichen“ Angebote aus der Expertise der umliegenden Einrichtungen, was im Blick auf die sonstigen Lehrer-Angebote von den Schülerinnen und Schülern als Bereicherung erlebt und gleichzeitig als Verbindung in das Stadtumfeld verstanden wird.

Lernen mit Lernatelier

„Es ist hier wie zu Hause!“, beschreibt Silvia das Lernatelier, das seit kurzem für die Sekundarstufe I eingerichtet wurde. Sie und ihre Mitschüler breiten sich begeistert in dem Atelier aus. Transparente Zwischenwände sorgen für abgetrennte Räume und Nischen. „Ich kann hier arbeiten wie ich will, entweder im Liegen, mit Computer, auf einem Sitzkissen, am Tisch oder im Stehen“, beschreibt Sarah die Möglichkeiten ihrer neuen Lernumgebung.  Dass sich trotz unterschiedlichster Lernpositionen einzelner Schüler dennoch eine Ordnung einstellt, liegt an den mitgebrachten Lernaufgaben. In denen steht, ob in Gruppen, allein, mit welchem Material oder mit dem Computer gearbeitet werden soll. Wie schnell und an welchem Punkt des Lernateliers Silvia und ihre Mitschüler arbeiten möchten, entscheiden diese jedoch selbst. Ihre Lehrerin streift durch die Ecken und „Inseln“, fragt nach, hilft und ist entspannt. Diese Idee hat sich das Schulleitungsteam bei der Grundschule abgeschaut. Seitdem fördert das Atelier auf strukturelle Weise ein abwechslungsreiches und individuelles Lernen und ist für die Ganztagsschule eine zusätzliche Raumstruktur, neben Fachräumen und Klassenräumen.

Tradition ohne Stillstand

Schulleiter Carsten Haack setzt auf „Tradition ohne Stillstand“. Unter diesem Credo verändern sich allmählich und aufbauend nicht nur Lernräume und Zeitorganisation, sondern gleichzeitig auch die Arbeitsbedingungen für seine Kollegen. Seit neun Jahren ist er Schulleiter. Nachdem die grundsätzlichen Veränderungen bewältigt waren, fokussierte er die Arbeitsbedingungen des eigenen Personals. Er konzipierte mit seinem Team ein Lehrerzimmer, dass dazu einlädt, Schule gemeinsam zu gestalten. Optionen auf Rückzug und Behaglichkeit bietet es genauso wie Optionen zur gemeinsamen Arbeit und Unterrichtsvorbereitung. Haack hat sich auf eine ganzheitliche Lösung konzentriert. Lernkultur entwickelt sich nicht nur über innovative Lernräume, sondern vor allem über Kommunikation und Kooperation des pädagogischen Personals. Für ihn ist die produktive Zusammenarbeit die Basis auf dem Weg zu einer ganztägigen Lernkultur.

Lernatelier und Lehrerzimmer haben einiges gemeinsam. Je nachdem, welche Ziele es zu verfolgen gilt, können die Lehrer zusammentreffen, aber auch ganz individuell auftanken und eigene Vorbereitungen für den Unterricht treffen. Die Koordinatorin für den Ganztag Marlies Sick bringt es mit einer Frage auf den Punkt: „Wer möchte unter diesen Bedingungen noch zu Hause arbeiten?“ Gleich neben dem Lehrerzimmer liegt die Lehrerbibliothek. Diese ist mittlerweile eine Fundgrube für innovatives Unterrichtsmaterial und eine Innovation an dieser Schule. Neben einer zusätzlichen Möglichkeit des Rückzugs können Einzelne und Teams dort Anregungen finden, um ganztägige Lernkultur zu gestalten.

Übergang zwischen Grundschule und Sekundarstufe hat kurze Wege

Die Gemeinschaftsschule mit Grundschulteil „Theodor Storm“ in Kiel versteht sich mittlerweile als ein „einhäusiges“ Schulunternehmen. Seit der Schulreform leitet Schulleiter Christian Haack zwei Schularten und stimmt mit vier Koordinatoren die Arbeit ab. Sein Team teilt sich einen Raum. Absprachen und Verabredungen finden von „Tisch zu Tisch“ statt. Die Schule nimmt Kinder aus über 50 Nationen auf, insgesamt besitzen 40 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund. 

Für die Sekundarschüler wurde ein „Dialog-Heft“ entwickelt. Es ist nach Tradition des Hausaufgabenheftes Lernplaner und Notizbuch zugleich. Die wöchentliche Unterschrift garantiert die Anteilnahme und Aufmerksamkeit der Eltern. Eine weitere Strategie bezieht die Eltern mit ein und sorgt gleichzeitig für Ruhe im Schulalltag, sie lautet: „Wer schlägt der geht!“ Als die Schule diese Regel in Kraft setzte, klang das „hart, aber herzlich“. Die Regel bedeutet: Wenn eine Schülerin oder ein Schüler ausflippt, erhält er solange Hausverbot, bis die Eltern gemeinsam mit ihrem Kind bei der Klassenleiterin vorsprechen, um „die Sache zu klären“.  Erst dann kann der regelmäßige Schulbesuch fortgesetzt werden. Die Umsetzung gilt als einfach und wirksam.

Im Rahmen der Netzwerkarbeit konzipiert das Team um Schulleiter Haack neue Ansätze für die Ausgestaltung des Wahlpflichtunterrichts. Große Themenfelder wie Technik, Textil, Musik und Kunst sollen unter anderem durch die Einbindung von außerschulischen Partnern umgesetzt werden. Pflichtunterricht öffnet sich. Erfolgreiche Strategien der Zusammenarbeit werden auf das Kerngeschäft übertragen.

Datum: 18.09.2011
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