Ob Sport oder berufsvorbereitende Kurse – aus mehr als 50 Nachmittagskursen können die Schwarzenbeker Schüler wählen. Dafür hat der Koordinator des offenen Ganztagsbetriebs für seine Schule ein großes Netz mit außerschulischer Partnern gesponnen.
Von Britta Kuntoff
Samstagvormittag in Schwarzenbek. Wochenende, auch für Karsten Sinow. Er ist der Koordinator des offenen Ganztagsbetriebs an der Grund- und Regionalschule Schwarzenbek Nord-Ost. Gerade schiebt er seinen Einkaufswagen durch den Hagebaumarkt, um Glühlampen und Schrauben zu kaufen. Bevor er zur Kasse geht, schaut Sinow schnell noch im Büro des Marktleiters vorbei. Er will wissen, wie sich die drei Schüler bewähren, die er unter mehreren Bewerbern ausgewählt hat und die nun regelmäßig einmal pro Woche ihr Langzeitpraktikum im Heimwerkermarkt absolvieren.
Wochenende, auch für Karsten Sinow – und auch irgendwie nicht. Denn heute, außerhalb seiner offiziellen Dienstzeit, hat der Koordinator bereits mit einer Mutter am Käsestand auf dem Marktplatz über die Kurse ihrer Tochter gesprochen und beim Äpfelkaufen von einem Zwölfjährigen gehört, dass der sich gerne beim Tischtennis anmelden möchte. Beim Plausch mit einem Kfz-Meister hat er das Programm seiner Schule vorgestellt. Vielleicht könnte der ja mal Theoriekurse geben? Auf dem Fußballplatz wird Karsten Sinow am Nachmittag sein Netz weiterspinnen – zugunsten von Schule, Schülern und Kooperationspartnern.
Der erste hauptamtliche Koordinator
Die Grund- und Regionalschule Schwarzenbek Nord-Ost ist seit 2004 eine Schule mit offenem Ganztagsbetrieb. Das bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 1 bis 10 nach einem warmen Mittagessen in der Mensa neben der Hortbetreuung aus einem umfangreichen Angebot von Nachmittagskursen wählen können. Welcher Kurs wann und wo stattfindet, wer ihn leitet und welche Kinder und Jugendlichen daran teilnehmen – die Fäden dazu hält Sinow in der Hand. Behördlich genehmigt umfasst sein Arbeitspensum 25 Wochenstunden. „Tatsächlich reicht das aber längst nicht. Bei so einem Job kann man nicht Punkt vier Uhr den Stift aus der Hand fallen lassen“, sagt Sinow, der anfangs kurze Zeit ehrenamtlich arbeitete, bis er zusammen mit dem früheren Schulleiter Michael Rebling eine Stellenbeschreibung formulierte und sich an den Schulverband wandte, damit seine Stelle anerkannt und bezahlt wurde. Das hat geklappt: Im Kreis war Karsten Sinow 2004 der erste hauptamtliche Koordinator für den Ganztagsschulbetrieb. 15 Wochenstunden gestand man ihm damals zu. Eine Ausnahme. Das Land Schleswig-Holstein hatte für Aufgaben wie die von Sinow lediglich zwei Stunden vorgesehen, für diese Zeit können sich die Lehrer vom übrigen Unterricht freistellen lassen. „In der Praxis kann das nicht funktionieren“, glaubt Sinow und fügt hinzu: „Genau genommen führe ich hier einen kleinen Betrieb, nichts anderes.“
Von Hip-Hop bis Maschine schreiben
Im Schuljahr 2011/2012 sind in dem DIN-A5-Heft, das Sinow zusammengestellt, 900-mal kopiert, gefaltet und in den Klassenräumen verteilt hat, 57 Kurse mit etwa 40 Kursleitern aufgeführt, zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler besuchen diese Kurse. Ein Besuch der Kurse ist ab Klasse 5 Pflicht. Vier Tage die Woche, montags bis donnerstags, können die Kinder und Jugendlichen auswählen, ob sie lieber kochen oder die Schülerzeitung gestalten möchten, ob sie Rockmusik machen oder Fußball spielen wollen oder sich lieber für Hip-Hop-Dance oder Flöte spielen anmelden. Angeboten werden beispielsweise auch Hausaufgabenbetreuung, Legasthenie-Unterricht und, darauf legt die Schule besonderen Wert, berufsvorbereitende Doppelstunden im Maschine schreiben, in Kfz-Mechatronik, Elektrotechnik oder eben der kaufmännische Kurs im Hagebaumarkt. Möglich ist diese Vielzahl von Vorschlägen durch die Kooperation der Schule mit außerschulischen Partnern wie der Volkshochschule, der Kreismusikschule, der evangelischen Familienbildungsstätte, dem Deutschen Roten Kreuz, Sportvereinen, Handwerksbetrieben und örtlichen Wirtschaftsunternehmen.
Sich nach außen öffnen – das ist eines der Leitziele dieser Schule in Schleswig-Holstein. Karsten Sinow sorgt mit Herzblut dafür, dass das nicht nur ein Vorsatz bleibt. „Dass unser Angebot heute so umfang- und abwechslungsreich ist, ist das Ergebnis einer ständigen Weiterentwicklung“, sagt Sinow. Kaum einer, der den 44-Jährigen in der kleinen Stadt im Hamburger Umland nicht kennt. Weil Sinow lange als Zimmermann arbeitete, bevor ihn ein Rückenleiden zum Umdenken zwang, weiß er, wen er in welchem Betrieb oder in welcher Institution ansprechen muss und wo es Potenzial für eine Zusammenarbeit mit seiner Schule geben könnte. Klinkenputzen. Zum Beispiel beim Hagebaumarkt. Die 14-Jährigen, die hier jeden Montagnachmittag mit einer roten Weste und einem Namensschild Regale auffüllen oder kleine Verkaufsausstellungen dekorieren, lernen viel über den Berufsalltag eines Angestellten im Einzelhandel.
Gut fürs Image der Unternehmen
Auch für das Unternehmen hat die Zusammenarbeit mit der Schule Vorteile. „Unter den Praktikanten wählen wir unsere Azubis aus, das bringt viel mehr als nur ein Bewerbungsgespräch. Außerdem können wir als mittelständiges Unternehmen unser Image aufwerten, indem wir zeigen, dass wir uns sozial in den Ort einbringen“, sagt der Marktleiter Ralf Bobzin. Und das geht recht unbürokratisch. Außer über versicherungstechnische Belange existiert kein Schriftstück, das die Kooperation von Schule und Betrieb vertraglich regelt. „Das ist auch gar nicht nötig. Wenn was nicht läuft, dann wenden wir uns an Herrn Sinow und der kümmert sich. Ohne solch einen festen und verlässlichen Ansprechpartner wäre der Aufwand für diese Zusammenarbeit für uns sicher zu hoch“, so Bobzin.
Auch Mareike Busch, Geschäftsführerin des Turn- und Sportvereins Schwarzenbek, schätzt die unbürokratische Zusammenarbeit mit Karsten Sinow: „Wir regeln alles auf kurzem Wege, ohne große Anträge. Bei uns sind mit Schülern, Kursleitern, Lehrern und Eltern so viele Leute an Bord, das gäbe sonst nur unnötige Papierberge und Wartezeiten. Das klappt, weil wir ständig in Kontakt sind.“
Mit der Kooperation hat der Verein auf den Wandel in der Schullandschaft reagiert. Durch die Ausweitung der Schulzeiten in den Nachmittag fehlt den Schülern schlichtweg die Zeit für den Sport. Vielen Sportvereinen sind die Kinder abhandengekommen. „Das können wir als Gefahr sehen – oder aber als Chance, uns als Verein weiter zu entwickeln“, bringt es Basketballtrainer und Sportwart Henrique Reis auf den Punkt.
Von der Schule in den Verein
Der Verein muss sich fest in die Schule integrieren. Es geht ja nicht nur darum, Zeit und Ort eines Kurses zu organisieren, sondern es gilt auch, inhaltliche Aspekte zu beachten: Ab welchem Alter eignet sich eine Sportart? Welche Kurse bauen sinnvoll aufeinander auf? Mit einer Schule an einem Strang zu ziehen, hat für einen Verein Vorteile, weiß auch Florian Leibold, der während seines Freiwilligen Sozialen Jahres beim Verein Kurse an der Schule leitete: „Die Kinder schnuppern so in Angebote rein, und der eine oder andere wird sich sicher nach der Schule am Vereinsleben beteiligen.“ So wie Felix, Schüler der Klasse 9a, der den Kooperationskurs der Schule mit der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) besucht: „Ich habe mich schon zum zweiten Mal für den Kurs Rettungsschwimmen angemeldet. Wenn das vorbei ist, trete ich sicher in den DLRG ein.“
Wer Anlaufstelle für viele Menschen ist, muss ständig kommunizieren. Nicht zuletzt mit der Schulleitung. Karsten Sinow trifft Liane Maier täglich, entweder zu einem kurzen Gespräch in ihrem Büro oder zufällig auf den Fluren. Die Schulleiterin weiß, was sie an Sinow hat. Im vergangenen Jahr hat er während der Herbstferien die Teilnahme der Schule bei der Messe der Wirtschaftlichen Vereinigung Schwarzenbeks organisiert – für die Schule eine wichtige Gelegenheit, sich zu präsentieren und neue Kooperationspartner zu finden. „Wir waren die einzige Schule, unser Einsatz ist hoch anerkannt worden und wir haben anschließend sogar von einigen Wirtschaftsvertretern 500 Euro für unsere Internet-AG gespendet bekommen“, erzählt Maier stolz. „Karsten Sinow ist offen und identifiziert sich mit unserer Schule. Genau so jemanden brauchen wir!“