Kooperation Schule – Wirtschaft

In Niedersachsen ist die AKADEMIE Schule & Wirtschaft Trägerin der Serviceagentur „Ganztägig lernen“. Die AKADEMIE gehört zum Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft (BNW). Ein Gespräch mit Thomas Nachtwey dem langjähriger Mitarbeiter der AKADEMIE und Leiter der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ in Niedersachsen.

 

Werkstatt Das Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft (BNW) feiert in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag. Seit wann und aus welchem Anlass beschäftigt sich das BNW mit dem Thema Schule?

 

Nachtwey Seit dem Jahr 1998 wurde das Thema Schule für das BNW sehr bedeutsam. Die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie, die u.a. zu den Gesellschaftern des BNW gehören, haben damals schon den Fachkräftemangel im Ingenieursbereich zu spüren bekommen und haben sich mit der demografischen Entwicklung auseinandergesetzt. Die Arbeitgeberverbände sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es nicht reicht, nur über fehlenden oder unzureichend ausgebildeten Nachwuchs zu klagen, sondern dass sie aktiv Ressourcen schaffen wollen. Seit dem haben sie viel Geld für die Nachwuchsförderung gerade für naturwissenschaftlich-technischen Themen in die Hand genommen: Zunächst mit dem Aufbau der Berufsorientierung und mit Kampagnen wie MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Im Jahr 2001 wurde der Bereich der IT-Qualifizierung im Rahmen zahlreicher Kampagnen für neue Technologien für das BNW bedeutsam. Es wurden tausende Lehrkräfte in Nutzung und Umgang mit dem PC qualifiziert. Mittlerweile hat sich das BNW eine Rolle als bedeutender Ansprechpartner für das Niedersächsische Kultusministerium erarbeitet, wenn es um Qualifizierungsprogramme an Schulen geht.

 

Werkstatt Bedeutet das, dass die Maßnahmen für Schülerinnen und Schüler erst in den oberen Klassenstufen ansetzen, oder gibt es auch etwas für jüngere Klassenstufen?

 

Nachtwey Es ist richtig, dass die Projekte der Berufsorientierung in der Regel in Klassenstufe acht ansetzen. Natürlich ist es wichtig, früh anzusetzen, vor allem für den Aufbau sozialer Kompetenzen. In der Grundschule verfolgen wir einen anderen Ansatz und versuchen in einem Modellvorhaben mit theater- und kulturpädagogischen Projekten bereits frühzeitig über einen kreativen Zugang soziale Kompetenzen zu fördern. Die Kompetenzen, die die Kinder sich dabei aneignen sind wiederum wichtig für spätere Berufsorientierungs- und  Technikkampagnen.
Seit 2008 führen wir auch Pilotprojekte mit familienorientierten Kursangeboten durch. Dabei geht es uns darum, Eltern bei Fragen der Erziehung zu unterstützten: Die gesamte Familie soll in ihrem Miteinander gestärkt werden. Im Zusammenhang mit Technik ist ein verantwortlicher Umgang mit Medien wichtig, was auch umfangreiche Kompetenzen der Eltern voraussetzt.

 

Werkstatt Werden die Projekte punktuell durchgeführt oder über einen längeren Zeitraum begleitet?

 

Nachtwey  Wir legen Wert darauf, keine zusammenhanglosen Einzelprojekte durchzuführen und setzen auf Nachhaltigkeit. Die Maßnahmen sollen dazu beitragen, dass Schulen sich selbst helfen können. Die Schulen müssen sich mit den Themen auseinandersetzen und sollten sie im Idealfall auch im Schulprogramm verankern.
Grundsätzlich ist es erwünscht, Schulen über längere Zeit zu begleiten. Manchmal stellt die Finanzierung ein erhebliches Problem dar, die aber gelingen kann, wenn wir weitere Partner dazu gewinnen können. Wir haben zwei Schulen, in denen wir über  vier Jahre arbeiten, gemeinsam mit Schule und Schulträger. Die Koordination übernehmen Sozialpädagogen, die beim BNW fest angestellt sind. Sie gestalten die Vorhaben, die immer in enger Rückkopplung mit der Schule und den Beteiligten initiiert werden. Die geplanten Vorhaben werden mit Zielvereinbarungen gemeinsam festgelegt und natürlich immer überprüft.

 

Werkstatt Gibt es auch Formen der Zusammenarbeit, bei denen Personal aus der Wirtschaft in der Schule tätig wird?

 

Nachtwey  Das ist bei den Wirtschaftsplanspielen der Fall: Für die Oberstufe ab Klasse 11 gibt es das „Management Information Game“. Die Schülerinnen und Schüler gehen für eine Woche in ein Unternehmen und werden von Experten aus dem Unternehmen und einem Planspielleiter des BNW betreut. In Gruppen werden konkurrierende Unternehmen simuliert, die u.a. ein fiktives Produkt entwickeln und ein Marketingkonzept dafür erstellen. Natürlich steht im Zentrum auch der umfangreiche Erwerb von betriebswirtschaftlichen Kenntnissen, wie auch Fragen der Arbeitsorganisation, Teamentwicklung und Arbeitsteilung. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich im Team organisieren und hart arbeiten, normalerweise über 40 Stunden in der Woche. Am Donnerstag Abend müssen sie ihre Ergebnisse präsentieren und am Freitag einem Kreis aus Experten im Rahmen einer fiktiven Aktionärshauptversammlung dafür Rede und Antwort stehen.

Die gastgebenden Unternehmen stellen ihre Räumlichkeiten, Essen und Getränke und teilweise hochrangiges Personal zur Verfügung.  Für Haupt- und Realschulen gibt es das Planspiel „Investor“. Das findet in der Schule statt, wird aber auch von Experten aus Unternehmen unterstützt.

Wir haben auch in mittelständischen Unternehmen, bei Krankenkassen und in der Elektroindustrie Projekte durchgeführt, bei denen Schülergruppen mitten im Unternehmen lernen und die Abläufe kennen lernen. Für einen mittelständischen Betrieb ist es schon eine Herausforderung, für bis zu 25 Schülerinnen und Schüler im laufenden Betrieb Räumlichkeiten oder Produktionsinseln frei zu machen.
Die Planspiele werden auch mit Ingenieursstudiengängen der Fachhochschule Osnabrück durchgeführt, um betriebswirtschaftliches Wissen aufzubauen und Präsentationstechnik zu schulen.

 

Werkstatt  Was Sie beschreiben macht den Eindruck, dass eher die Wirtschaft auf Schule zugeht als umgekehrt.

 

Nachtwey  Schulen wenden sich gern an die Wirtschaft, um Spenden und Sponsoring zu werben. Die Wirtschaft versucht über dies Konzepte und Projektideen in die Schule zu tragen.
Die Wirtschaft muss schneller auf veränderte Anforderungen auf dem Ausbildungsmarkt reagieren, daher gibt es zurzeit gerade seitens der Wirtschaft so zahlreiche Vorhaben. Ideenexpo, Ausbildungsplatzmessen, Berufsorientierende Projekt, Tierische Technik etc. sind Beispiele, die zeigen was getan wird, um den Nachwuchs von Morgen zu finden. Das gilt auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten. Angesichts der demografischen Entwicklung versucht die Wirtschaft, die Potenziale anderer Zielgruppen zu erschließen, gerade auch bei Migranten, und Vielfalt als Chance zu nutzen.

 

Werkstatt  Was erwartet Unternehmen, wenn sie mit Schule zusammen arbeiten?

 

Nachtwey  Es gibt ja gewisse Klischees, dass Schulen Vorbehalte haben, weil sie sich als Bildungseinrichtungen und nicht als Zulieferer der Wirtschaft sehen. Sicher hat das auch seine Berechtigung.
Schwierig für Unternehmen ist häufig, wenn sie mit der Behäbigkeit des Schulsystems oder mit fehlender Verbindlichkeit konfrontiert werden. Sie erwarten, dass ihre Angebote ernst genommen werden und dass die Schulen die vereinbarten notwendigen Vorbereitungen treffen und Rahmenbedingungen schaffen. Das ist leider nicht immer der Fall. Vereinzelte Schulen behandeln Projekte mit der Wirtschaft wie eine Art „Pausenfüller“, die noch mal in der letzten Woche vor den Ferien durchgeführt werden können, wenn die Schüler/innen sowieso nicht mehr konzentriert für den Unterricht sind.

 

Werkstatt  Was ist Ihre Vision für die Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft?

 

Nachtwey  Ich wünsche mir eine vorbehaltlose Begegnung. Dafür sind die regionalen Arbeitskreise Schule-Wirtschaft eine wichtige Einrichtung. Es muss eine engere Verzahnung geben: Schulen müssen mehr darüber wissen, was „draußen“ im Wirtschaftsleben vorgeht, Unternehmen müssen akzeptieren lernen, wie Schulen ausgestattet sind. Man sollte Schule gemeinsam neu denken, auch einen deutlich praxisorientierteren Unterricht gestalten. Deswegen finde ich den Aufbau von Bildungslandschaften so spannend, da entstehen viele Möglichkeiten.

Thomas Nachtwey

Datum: 11.11.2009
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