Lernwerkstätten an Ganztagsschulen

Eine Lernwerkstatt an einer Ganztagsschule kann auf ganz verschiedene Weise entstehen. Der Weg einiger Schulen wird im Folgenden dargestellt: Es begann mit der Unzufriedenheit der PädagogInnen in Bezug auf die Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen. Jede plante und arbeitete für sich allein. Nicht zuletzt war an den Kindern zu merken, dass das anders werden müsse. Eine Projektgruppe aus LehrerInnen und SozialpädagogInnen hat daraufhin in einer bestehenden Lernwerkstatt hospitiert. Dort konnten sie bei der Werkstattarbeit zuschauen, sehen und fotografieren, was es alles für Materialien gibt und im Gespräch mit den PädagogInnen erfahren, wie die Schule zu ihrer Lernwerkstatt gekommen ist und wie dort gearbeitet wird. Die Projektgruppe vermittelt ihre Eindrücke in die Schulkonferenz und hat dazu auch eine Vertreterin der Lernwerkstattschule eingeladen. Auf diese Weise ist es leichter, auf Vorbehalte und Bedenken angemessen einzugehen, so dass die Konferenz schließlich den Beschluss fasst, im Laufe des nächsten Jahres eine Lernwerkstatt einzurichten. Einige PädagogInnen nehmen im Rahmen einer Fortbildung selbst an einer Lernwerkstatt teil und erfahren, was „Entdeckendes Lernen“ ist. Schließlich wird ein Raum für die Lernwerkstatt gefunden – er ist ein bisschen klein, aber ein Anfang.

Wo kommen die Lernwerkstätten her – wodurch werden sie begründet?

Die Geschichte der Lernwerkstätten reicht in die Reformpädagogik der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück. Freies, selbständiges und an den eigenen Interessen ausgerichtetes Lernen spielt in vielen reformpädagogischen Ansätzen eine große Rolle, wie z.B. bei Peter Petersen, in der Montessori-Pädagogik und auch in der Kindergartenpädagogik in Reggio. Celestin Freinet hat vermutlich den stärksten Einfluss auf die Entwicklung der Lernwerkstätten in Deutschland ausgeübt. Seine pädagogische Praxis wurde in den 70er und 80er Jahren von jungen LehrerInnen in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen und weiterentwickelt. Impulse aus der „Open Education“ Bewegung in Großbritannien und aus dem Ansatz „Entdeckendes Lernen“ in den USA kamen hinzu. Aus all dem bildeten sich Netzwerken engagierter PädagogInnen an verschiedenen Orten. Lernwerkstätten wurden in die Ausbildung und Weiterbildung von LehrerInnen und ErzieherInnen integriert. In der Zeit sind in Berlin an den Westberliner Hochschulen sowie bei mehreren bezirklichen Kitaberatungsstellen Lernwerkstätten entstanden. Seither gibt es ein lockeres Netzwerk von PädagogInnen, die sich mit Lernwerkstätten befassen.

Die Wende hat insbesondere in Berlin und Brandenburg der Lernwerkstättenbewegung neue Impulse gegeben. Unter der Leitung von Dr. Hartmut Wedekind wurde die Lernwerkstatt im Bereich Grundschuldidaktik der HU aufgebaut, die heute eine wichtige Säule der Weiterentwicklung der Lernwerkstätten in Berlin ist. Im Bereich der Kindertagesstätten wurde Arbeit mit Lernwerkstätten ein wichtiger Baustein vieler ESF-Weiterbildungskurse für Erzieherinnen im Ostteil der Stadt. Wichtig bis heute ist die Kitalernwerkstatt in Hohenschönhausen, die heute im Kita-Eigenbetrieb Nord-Ost verankert ist.
Wesentlich an Lernwerkstätten ist also, dass sowohl im schulisch orientierten Lernen als auch im sozialpädagogisch orientierten Lernen dazu Erfahrungen vorhanden sind. Lernwerkstätten waren zunächst weitgehend Einrichtungen der Ausbildung und Weiterbildung. ErzieherInnen und LehrerInnen sollten hier wieder lernen, wie Kinder an Aufgaben heranzugehen, um diese Prinzipien dann in der eigenen pädagogischen Praxis anzuwenden. Das ist jedoch in Berlin in den letzten Jahren grundsätzlich anders geworden. Unterstützt durch verschiedene Förderprogramme gibt es immer mehr Ansätze, Lernwerkstätten direkt in Schulen, Kindertagesstätten und Horten zu verankern und sie für entdeckendes und soziales Lernen und vor allem auch zur Sprachförderung zu nutzen.

„Ganztägiges Leben und Lernen in der Schule zu gestalten zwingt zu einem abgestimmten gemeinsamen Vorgehen. LehrerInnen, VorklassenleiterInnen, ErzieherInnen mit Hort- und Kindergartenhintergrund, der Hausmeister, möglicherweise noch PädagogInnen aus Schülerclubs und Schulstationen, die Eltern und nicht zu vergessen die Kinder sollten dabei an einem Strang ziehen. Neue Lern- und Lebensräume innerhalb der Schule zu definieren und gemeinsam einzurichten, kann ein sehr Erfolg versprechender Anfang sein. Denn nicht nur das Umräumen eines Raumes, sondern vielmehr das Umräumen in den Köpfen der daran Beteiligten stellt eine wesentliche Voraussetzung für ein gleichberechtigtes Miteinander unterschiedlicher Professionen dar. Darüber hinaus bietet ein solches Umräumen auch die Möglichkeit gemeinsame lerntheoretische und sozialpädagogische Essentials abzustimmen und dabei die unterschiedlichen Sichten abzugleichen.“ (Aus Wedekind/Tennstedt „Das Berliner Modell – neue Lern- und Lebensräume in der Ganztagsschule“

Eine Werkstatt entsteht

Die Projektgruppe trifft sich regelmäßig und beschließt, mit Unterstützung eines Moderators eine Zukunftswerkstatt mit Kindern zu machen, um deren Ideen einzufangen. Die Ergebnisse der Zukunftswerkstatt, Zeichnungen und Modelle jeweils mit Erklärungen, werden den KollegInnen, den Eltern und den anderen Kindern vorgestellt. Es kommen Ergänzungen und Konkretisierungen zustande. Es ist deutlich, die Kinder wollen einen anregenden Raum haben, in dem sie sich wohl fühlen können und der durch seine Vielgestaltigkeit zum Verweilen einlädt.

Bei der Arbeit entsteht eine Anschaffungsliste. Sie wird verbreitet mit der Bitte, dass alle mithelfen bei der Suche nach Materialien. Die Erfahrungen aus der anderen Schule können dabei genutzt werden, und nach und nach kommt alles zusammen. Erstaunlich ist, wie viel Material gar nichts oder nur sehr wenig kostet, weil irgendwer aus der Schulgemeinschaft die richtigen Kontakte hat. Die Projektgruppe diskutiert und beschließt, nach welchem System in der Lernwerkstatt gearbeitet werden soll. Es ist klar, dass sie für Unterricht und Hort, für Vormittag und Nachmittag gleichermaßen wichtig werden soll. Man einigt sich darauf, dass es eine Probephase geben wird, in der vor allem die Mitglieder der Projektgruppe mit dem Arrangieren des Werkstattlernens die ersten eigenen Erfahrungen machen.

Und dann ist es soweit: Die Lernwerkstatt wird feierlich eröffnet und alle Gäste werden gleich in das erste Thema mit einbezogen: „Unser Wetter“. Die aufgebaute Lernlandschaft lädt ein, alle Fragen zu stellen, die Erwachsene und Kinder dazu haben: angefangen von der Entstehung von Regen, Schnee und Hagel, über Farbphänomene am Himmel, Wetterfühligkeit und Pflanzenwachstum bis hin zur Erderwärmung. Alle Fragen werden aufgeschrieben und bieten weitere Anregungen für die Kinder der Klassen und AGs, die als erstes die Lernwerkstatt ausprobieren dürfen. Sie arbeiten während der Werkstattzeit jeweils allein, zu zweit oder in kleinen Gruppen an ihren eigenen Fragen und Themen. Sie dokumentieren selbständig ihre Fragen, ihre Bearbeitungswege und ihre Ergebnisse und stellen diese regelmäßig den anderen Kindern vor – Prozesse aus denen wieder neue Fragen entstehen. Neben der vertieften Ergründung des Themas „Wetter“ üben sich die Kinder im Sprechen und Aufschreiben eigener Texte, im Darstellen und Präsentieren von eigenen Fragestellungen, Lernwegen und Lernergebnissen. Die PädagogInnen begleiten die Kinder bei ihren Forschungen. Sie helfen zurückhaltend beim Präzisieren und Formulieren von Fragen, von Hypothesen und Lösungsschritten. Sie überlegen mit den Kindern gemeinsam, wer etwas zu einer bestimmten Frage wissen könnte und welche Hilfsmittel es geben könnte. Sie haben keineswegs auf alle Fragen Antworten parat, vielmehr lernen sie selbst ständig Neues in der Lernwerkstatt.

Die PädagogInnen sprechen miteinander ab, woran die Kinder im Unterricht arbeiten und was Vorhaben sind, die besser in die Lernzeit der VHG, in den Nachmittag oder in die Ferienzeit passen. Dazu bieten sich neben längeren eigenständigen Vorhaben der Kinder, wie Beobachtungen und größere Experimente, vor allem Exkursionen und Besuche von „Fachleuten“ an, die ausgefragt werden können. Die Ergebnisse der Probephase werden natürlich wieder den entsprechenden Gremien an der Schule vorgestellt, Weiterentwicklungsmöglichkeiten werden abgesprochen, so dass die Lernwerkstatt mehr und mehr in den Schulalltag integriert wird. Nebenher hat die Schule einen neuen Raum gewonnen, der sich ganz generell für eigenständige Vorhaben eignet, weil er anregend und wohnlich ist. Hier können kleine Gruppen zum Arbeiten und zum Gespräch zusammenkommen, eigenständige Arbeiten können erledigt werden ebenso wie Schachturniere hier ausgerichtet werden.

Befragt, was das Wesentliche sei, das zu diesem Erfolg verholfen hat, meint eine der InitatorInnen der Lernwerkstatt: „Wir haben unsere Lernwerkstatt geschaffen, dadurch dass wir ein Klassenzimmer völlig umgeräumt haben. Dabei haben wir begriffen, dass auch wir uns ändern müssen. Damit haben wir begonnen und üben es jetzt täglich in der Praxis: den Kindern und den von ihnen gefundenen Lernwegen zu vertrauen und sie beim Lernen zu begleiten.“

Die Autorin, Barbara Tennstedt, ist Beraterin und Fortbildnerin beim Fortbildungsinstitut für die pädagogische Praxis (FiPP) e.V. Im Zusammenhang mit Ganztagsschulen setzt der Träger sich für Lernwerkstätten ein und unterstützt entsprechende Initiativen vor allem im Rahmen des Lernzentrums appolonius.de.

Website zum forschenden Lernen

Was ist forschendes Lernen? Wie kann ich diesen Ansatz im Kita- oder Schulalltag umsetzen? Und wie baue ich eine Lernwerkstatt auf, in der Kinder forschend die Welt entdecken können? Antworten und Materialien finden Sie auf der neuen Website der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS): www.forschendes-lernen.net

Autorin: Barbara Tennstedt

Datum: 11.04.2007
© www.ganztaegig-lernen.de