Umgang mit dem ganzen Tag

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DKJS/D. Ibovnik

Ein ganzer Tag in der Schule beginnt für viele um 8.00 Uhr und endet um 16.30 Uhr. Wie kann man den Tag sinnvoll gliedern, um Konzentration für ruhige Lernphasen zu haben, Kräfte wieder aufzutanken, sich allein oder mit anderen auszuprobieren, Lernschwächen auszugleichen, in Ruhe Nahrung aufzunehmen, dabei auch an der frischen Luft zu sein und sich bewegen zu können?

Im Gegensatz zur Halbtagsschule ist Zeit an der Ganztagsschule eine nicht gefährdete, sondern vorhandene Ressource, die mit guten Konzepten genutzt werden muss. Durch die Veränderung der bisherigen Zeitstrukturen ergeben sich nicht nur neue Perspektiven für den Fachunterricht, sondern auch für soziales, kulturelles und bewegungsorientiertes Lernen. Neue Formen der Ritualisierung müssen gefunden werden, die die unterschiedlichen Aktivitäten von Gruppen und Individuen verklammern. Diese dürfen nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern müssen in einen Zusammenhang gebracht werden.

Unterricht in einer Ganztagsschule nach Maß

 

Petra Schröter (Albert-Schweitzer-Schule Langen)

Schule ist ein Ort des Lernens und ein Ort, an dem gemeinsame Erfahrungen gemacht werden können. Lernen wird heute als umfassender Vorgang gesehen, an dem alle Sinne beteiligt sind. Fragen, Probieren, Verwerfen, Forschen und Entdecken sind Grundlagen für Lernerfahrungen, wenn sie nachhaltigen Erfolg haben sollen. Dabei sollen die Kinder zu selbstbestimmtem, selbstgesteuertem und eigenverantwortlichem Arbeiten hingeführt werden. Aller Unterricht ist auch daran zu messen, ob er Selbsttätigkeit und Selbstständigkeit fördert und den Schülerinnen und Schülern die Erfahrung ermöglicht, selbst etwas erreichen und bewirken zu können, ob er Neugier weckt und Selbstvertrauen stärkt.
 

Die Kinder müssen selbst Verantwortung für das Zusammenleben untereinander und mit Erwachsenen haben. Sie müssen an Entscheidungen, von denen sie betroffen sind, beteiligt werden. Neben Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen und Eigenschaften sollen auch Verhaltensweisen gelernt werden: Kinder müssen z. B. erfahren, dass es etwas bringt, sich konzentriert um ein Thema zu bemühen, oder dass Regeln nicht Selbstzweck, sondern Voraussetzung für sinnvolle Arbeit sind. Unterricht muss auf den individuellen Lernvoraussetzungen sowie auf dem Lernrhythmus der Kinder aufbauen. Entdeckendes Lernen soll ermöglicht werden. Fächer übergreifendes Arbeiten, innere Differenzierung und Freie Arbeit werden als Unterrichtsprinzipien angestrebt.
 

Ein Mustertag an der Schule in Langen öffnen

Verzahnung von Vor- und Nachmittag

Anregungen von Dieter Wunder

Die Tagesgestaltung einer Ganztagsschule hängt wesentlich von den Elementen ab, die das Mehr einer Ganztagsschule gegenüber der reinen Vormittagsschule ausmachen. Als Beispiel wähle ich Rheinland-Pfalz, dessen Ministerium ich in Ganztagsschulfragen berate. Den Schulen sind für das Mehr vier Angebotselemente vorgegeben: die unterrichtliche Ergänzung einschließlich Hausaufgaben, Vorhaben und Projekte, Fördern sowie Freizeit. Die Schulen verfügen über eine große Freiheit, wie sie diese Vorgabe umsetzen. Sie können ihre Angebote additiv (Vormittagsschule wie bisher, dazu der neue Nachmittag), aber auch rhythmisiert (Einfügung der neuen Elemente in einen ganztagsspezifischen Tagesablauf) verwirklichen. In der Praxis zeigt sich, dass die so genannten Hausaufgaben eine wichtige Rolle spielen, auch zeitlich. Hausaufgaben müssen in der Ganztagsschule weitgehend zu Schul-Aufgaben werden. Sind dafür besondere Zeiten angesetzt, beispielsweise 45 Minuten pro Tag, so geht es zum einen darum, alle Fachlehrer zur Einhaltung dieser Aufgabenzeit anzuhalten, andererseits den Schülerinnen und Schülern eigenständiges Arbeiten zu ermöglichen. Ziel sollte es sein, mit der Zeit zu Aufgaben zu kommen, die individuell auf die Lernbedürfnisse jeder Schülerin, jedes Schülers zugeschnitten sind. Aufgaben können aber auch in den Unterricht der sog. Hauptfächer integriert werden, die dann mehr Zeit erhalten. Je mehr Zeit die Aufgaben beanspruchen, desto geringer sind die Möglichkeiten für andere Angebote. Die genannten fünf Elemente in einen rhythmisierten Tageslauf einzubringen bedarf sorgfältiger Überlegungen. Es gibt sicherlich kein Rezept, das für alle Schulen gelten könnte. Ich gebe folgende Anregungen:

  • Die erste Stunde des Tages wird keine Unterrichtsstunde, sondern dient entweder der Aufgabenbearbeitung oder einer Freizeitbeschäftigung. Untersuchungen zeigen, dass Kinder und Jugendliche erst im Laufe des Vormittags ihre Leistungshöhe erreichen, die Anfangszeit stellt ein Leistungstief dar.
  • Die sechste Unterrichtsstunde (oft 12.30 Uhr bis 13.15 Uhr) überfordert Schülerinnen und Schüler wie Lehrpersonen. In dieser Zeit sollte stattdessen die Mittagspause beginnen. Das hat zur Folge, dass am Nachmittag die Zeit von drei Unterrichtsstunden zur Verfügung steht.
  • Die Verteilung der unterschiedlichen Aufgaben auf Vor- und Nachmittag darf nicht schematisch erfolgen. Man muss Erfahrungen sammeln, wie ein Tag unter den Vorgaben der verschiedenen Elemente des Schultages am besten zu gestalten ist. Die Bedürfnisse und Möglichkeiten jüngerer und älterer Schüler können dabei durchaus unterschiedlich sein. Jugendlichen kann am Nachmittag ernsthafte Lernanstrengung abgefordert werden, Kinder werden eher Spiel und Sport brauchen.
  • Eine Rhythmisierung des Tages sollte sowohl unterschiedliche fachliche Anforderungen berücksichtigen – Wechsel von kognitiven und handlungsbezogenen Elementen – wie auch die Bedürfnisse der jungen Menschen nach Selbstständigkeit oder Anleitung, Aktivität oder Ruhe, Alleinarbeiten oder Zusammenwirken mit anderen. Jede Schule wird ihre spezifischen Erfahrungen sammeln und immer wieder überprüfen.

Dieter Wunder, Dr. phil., ist seit 2001 Berater des rheinland-pfälzischen Bildungsministeriums für Ganztagsschulen. Er war 1965 bis 1971 Gymnasiallehrer für Deutsch, Geschichte und politische Bildung in Hamburg; von 1972 bis 1981 leitete er die Ganztagsgesamtschule Hamburg-Mümmelmannsberg. 1981 bis 1997 war er Vorsitzender der GEW. Seit 1997 war er in verschiedenen Bildungskommissionen tätig.

Empfehlung der Redaktion

Ganztagsschule und demokratisches Lernen
Beiträge zur Demokratiepädagogik
Eine Schriftenreihe des BLK-Programms »Demokratie lernen & leben«

Herausgegeben von Wolfgang Edelstein und Peter Fauser

Die Untersuchungsfrage des Beitrags von Dieter Wunder lautet, „ob Ganztagsschule, welcher Form auch immer, Möglichkeiten demokratischen Lernens bietet, die eine Halbtagsschule nicht hat“.  Dabei erläutert der Autor die Problematik „Ganztagsschule und demokratisches Handeln“, stellt die verschiedenen Handlungsfelder und –möglichkeiten der Ganztagsschule ausführlich dar und geht auch auf die Veränderung der Struktur im Kollegium ein

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Quellen
Bildungsreform Band 15
Ganztagsschule neu gestalten

Herausgeber
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Referat Publikationen; Internetredaktion 11055 Berlin

Graphik/Bilder: Albert-Schweitzer-Schule Langen
Datum: 18.07.2008
© www.ganztaegig-lernen.de