In der Grund-, Haupt- und Werkrealschule Eigeltingen lernen Kinder von der ersten bis zur zehnten Klasse, einige wechseln nach der vierten Klasse aufs Gymnasium. Mit der 5. Klasse entsteht eine Schulgemeinschaft, die auf handlungsorientiertes Lernen setzt.
„Tote Fische sind das Problem. Zuviel Futter.“ Besucht man die Grund- und Werkrealschule Eigeltingen streift man zunächst die „Tintenkleckse“ und staunt dann über ein wunderschönes 1.000 Liter Aquarium. Der Aquariumsmanager Lukas möchte täglich dabei sein, wenn seine Mitschüler das „Füttern lernen“. Er ist „Jobleiter“ und versteht sich als Aquarianer. „Schülerjobs“ sind Pflichteinheiten für alle Schülerinnen und Schüler. So auch die „Tintenkleckse“, die in jeder großen Pause Schreibgeräte verkaufen oder die Lernhelfer, die den Kleinen unter die Arme greifen. Jede Jobverpflichtung beschert dem Einzelnen eine bestimmte Punktzahl. Wird die über die Jahre nicht erreicht, heißt es „Nacharbeiten“. „Das ist Verantwortung lernen oder besser nach Otto Herz: Im Leben lernen – am Leben lernen“, meint Konrektorin Susanne Meßmer. „Mit dem Jobsystem wird nicht nur der Schulbetrieb entlastet, sondern vielmehr Schule zu einem besonderen Ort, den es mit zu gestalten und mit zu bestimmen gilt.“
„Das wird unser Wissens- und Informationszentrum!“ Marius aus der 10. Klasse antwortet über die Schulter, denn er zieht gerade Schrauben fest. Tische werden von ihm und seinen Mitschülern so gezimmert, dass man sich mit einem Buch hinsetzen, recherchieren und gleich noch etwas aufschreiben kann. Ein Stockwerk über Marius arbeiten seine Mitschüler am Wochenplan. „Bei den Aufgaben finden wir nicht immer alles im Internet. Nur noch eine Woche und dann kann man in den vielen Büchern suchen, die hier dann bereit stehen!“ Er selbst müsste eigentlich auch an seinem Plan arbeiten, aber das Schrauben war ihm wichtiger. „Die Aufgaben werden später erledigt. Wenn ich das hier fertig habe, habe ich auch Lust drauf,“ sagt er und verschwindet unter der noch anzuschraubenden Tischplatte.
Selbständiges Lernen
Gleich nebenan sägen, kleben und hämmern Mädchen und Jungen an unterschiedlichsten Objekten. Sie sind in der 8. Klasse und den ganzen Vormittag im Licht durchfluteten Werkraum. An der einen Stelle entsteht eine Steinaxt, an anderer Stelle ein Schlitten, dann wieder ein Haus aus zahllosen Fenstern. „Wir bauen ein Fenster-Haus – aber mit viel Phantasie. So würden wir gerne leben!“, fasst Laura zusammen. Sie und die anderen arbeiten gerade an einem Steinzeitprojekt und Lauras und Ninas Haus ist der Gegenwurf zu einer steinzeitlichen Höhle. „Wir wollen den Unterschied zeigen. Steinzeit-Leben in Höhlen ohne Licht und heute: Leben in Licht! Wir können uns selbst Gedanken machen, was wir machen! Die Lehrer kommen nur, wenn wir Hilfe brauchen!“, meint Nina. Einer dieser begleitenden Lehrer ist Harald Troll: „Ich unterstütze die Schüler, ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen und das mit ganz unterschiedlichen Mitteln!“
In diesem Kurs wandern die Schülerinnen und Schüler nach eigenen Interessen von der Steinzeit in die Neuzeit. Laura und Nina haben sich aus der Perspektive des Wohnens auf den Weg gemacht, um zu lernen, wie sich die menschliche Kultur entwickelt hat. Die Schule hat mit diesem Ansatz Neuland betreten. Ein paar Theorieblätter und eine Vorlage für eine Materialliste sind das Einzige, was die Schüler seit der ersten Stunde in die Hände bekamen, seitdem galt es, einen eigenen Lernweg zu planen und umzusetzen. Theorie und Praxis sind mit diesem Angebot in eine Verzahnung geraten. Die Kurse Mensch – Natur – Technik (MAG) und Wirtschaft – Arbeit – Gesellschaft (WAG) verschmelzen an der Grund- und Werkrealschule zu einer einzigartigen Gelegenheit für die Schülerinnen und Schüler, nämlich „Was selber machen!“ Konrektorin Susanne Meßmer bringt mit knappen Worten die Chancen ihrer Schülerinnen und Schüler auf den Punkt: „In größtmöglicher Freiheit und in größtmöglicher Verantwortung arbeiten und dabei lernen“. Schulleiter Werner Leber formuliert ebenso knapp: „Offenheit, die begleitet wird!“
Jedes Kind arbeitet nach seinen Möglichkeiten
Dass Marius, Laura und Nina mit Freiheit umgehen können, liegt daran, dass sie ihre Schule seit der 1. Klasse besuchen. Neben dem ABC lernen die Primaner zuerst „Selbstständigkeit“. „Lernjob“ nennt sich ein Zeitband, das sich durch jeden Vormittag zieht. Das Prinzip sind kompetenzorientierte Lernaufgaben. Jedes Kind erhält sein eigenes Pensum, arbeitet mit Selbstkontrolle und lässt sich von den Lehrerinnen und Lehrern „lediglich“ begleiten. Kinder der herkömmlichen 1. und 2. und 3. und 4. Klassen werden zusammen unterrichtet. Susanne Meßmer begründet diese Struktur mit „form follows function“ und meint, dass die unterschiedlichen Eingangsvoraussetzungen der Kinder nur über das jahrgangsübergreifende Lernen abzufedern sind.
Die Schule setzt ihre Schwerpunkte auf zwei Ebenen. Zum einen wird die Fähigkeit zum individuellen Lernen gefördert, was bereits in der Grundschule fest in die Strukturen der Schule eingebaut ist. Zum zweiten werden die Kinder in ihren Talenten und Interessen gefördert. Dafür steht den Heranwachsenden eine breite Platte von Wahlpflicht- und Wahlangeboten zur Verfügung. Nicht nur im Ganztagsbetrieb auch im Regelunterricht eröffnen sich bereits den Grundschulkindern vielfältigste Angebote, wie Buchbinder-Werkstatt, Puppenspiel, Wasserforscher und anderes.
Lernaufgaben statt Hausaufgaben
Das Wort „Hausaufgaben“ gehört an der Schule nicht mehr zum Vokabular, stattdessen spricht man von „Lernaufgaben“. Um diese zu bewältigen, können sich die Schülerinnen und Schüler auf „Profis“ verlassen. Ihre Lehrerinnen und Lehrer stehen bereit, um Fragen zu beantworten, zu loben oder das Pensum auch mal zu erweitern, eben herauszufordern. Das Zeitband schließt sich der Mittagspause an und wird in der Stundentafel unter „LU“ geführt, was soviel wie „Lernunterstützung“ heißt.
Das Lieblingswort des Schulleiters Leber ist „Salutogen“, er ist begeistert von dem Konzept, das nach Aaron Antonovsky besprochen wird und hofft, dass die Eigeltinger Schule gesund macht. „Schule ist Lebenszeit! Ist Schule nicht gesundheitsförderlich, dann lässt man es lieber bleiben!“ Dabei geht es ihm nicht um „Verbiegen und Zerbrechen“, sondern um „Fordern“. Mit dieser Einstellung wird die Schule für alle Beteiligten so organisiert, dass Entspannung und Anspannung in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Die Lehrerinnen und Lehrer können sich durch ein intelligentes Raumprinzip für „Arbeiten“ oder „Abschalten“ entscheiden. Genauso können die Kinder und Jugendlichen ihre Bedürfnisse entweder an frischer Luft oder in geschützten und offenen Räumen ausleben. Treffen oder Zurückziehen, gemeinsam oder individuell Lernen, für fast alle Bedürfnisse gibt es an der Schule ein Strukturangebot. Das Schulleitungsteam bringt die Sache auf den Punkt: „Das Ganze im Blick haben!“
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