Projektunterricht erobert die Stundentafel

(c) DKJS / D. Ibovnik
DKJS/D. Ibovnik

Bei der Suche nach einer neuen Lernkultur geht es vor allem um zwei Fragen: „Was sollen unsere Schüler lernen?“ und „Wie gelingt das?“ Das Team der Willy-Brandt-Gesamtschule Magdeburg entwickelt eine neue Lernkultur. In Balance zum vermittelnden Lernen soll Projektunterricht dafür sorgen, dass die Schüler überfachliche Kompetenzen entfalten.

Die Gesamtschule in Magdeburg strukturiert ihren Ganztag über Blockunterricht. Im Rahmen dessen wird mit Beginn des Schuljahres 2011/2012 erstmalig Projektunterricht (PU) die Stundentafel ergänzen. Neben Mathematik, Deutsch, Englisch sowie anderen bekannten Fächern wird Projektunterricht an drei Tagen einen Block belegen und mit 6 Wochenstunden als „Hauptfach“ in den Kanon aufgenommen werden.

Die bisherige Unterrichtspraxis, die in starkem Maße auf der Methode des vermittelnden Lernens basiert, reicht für Fachlehrerin Kathrin Flügel nicht aus, um überfachliche Kompetenzen zu entwickeln. Ein im Mai 2010 erlebtes „Pilot-Arrangement“ wurde von ihr federführend vorbereitet und umgesetzt und gilt als Pionierleistung für das nun eingeführte Projektunterrichts-Modell. „Die Erfahrungen waren überzeugend, die Motivation der Schüler immens“, resümieren auch Jens Hönel und Birgit Umland das achtmonatige Projekt. Unter dem Titel „Kinder leben hier und anderswo“ laborierten die Kollegen mit Projektunterricht und sammelten Erfahrungen zu schülerbezogener Selbstverantwortung und förderorientierter Begleitung und Bewertung. Die Erträge überzeugten weitere Kollegen, aber vor allem die Eltern der neuen Fünftklässler. Die Stunden für den PU werden aus Kontingenten der Hauptfächer und Nebenfächer entnommen. Schulleitung und Steuerteam sind dabei unkonventionelle Wege gegangen. „Mut war wichtig!“.

 

Fächerkanon mit neuer Disziplin

Mit der Rezeption der Analyse wurde eine bis dato ungewohnte „Disziplin“ in den Fächerkanon eingefügt und in dem im Mai 2011 erschienen Elternbrief stellte die Schule den neuen Stundenplan vor:

 

In den nächsten Jahren wird sich die Neukonfiguration fortsetzen. Schüler der 5. Klasse können zum einen an die in der Grundschule erlebten Lernerfahrungen anknüpfen oder gänzlich neue Schritte in ein selbstverantwortliches Lernen wagen. Der Wunsch nach der Entwicklung des selbstgesteuerten Lernens folgt der Einsicht, dass die Lernanforderungen an den Heranwachsenden in der heutigen Gesellschaft so umfassend sind, dass es notwendig ist, auch in der Schule eine darauf bezogene Lernarbeit zu ermöglichen.

Kompetenzen lernen – Lernen lernen

 

Das Konzept des Magdeburger Projektunterrichts verbirgt ein Patentrezept für „Kompetenzlernen“. Projektunterricht in Permanenz  ein ganzes Schuljahr lang gelingt nur über eine Themenreise. Deshalb gliedert die Schule den Projektunterricht in Epochen. Die Segmente strukturieren das Schuljahr und den darin eingebetteten Projektunterricht in sechs Zeitphasen. In jeder Epoche wird das Projekt vorbereitet, geplant, durchgeführt, präsentiert und ausgewertet. Ohne diese Gliederung laufen Lernende wie Begleitende Gefahr, sich zu „verzetteln“ oder „festzufahren“. Es würde an Reflexionsraum fehlen. Der Blick aus der Vogelperspektive wäre zu selten. Nun wiederholt sich der in jeder Epoche. Wesentlicher ist die Auswirkung auf das Kompetenzlernen. Die Reflexion von Lernerfahrungen entwickelt Kompetenzbewusstsein und kann dann in nächster Epoche und mit anderen Lernfragen auf nächst höherer Ebene zur Anwendung kommen. „Das ist eine Aufwärtsbewegung in Bezug auf Kompetenzen des selbstständigen Lernens, die wir wollen!“, meint Schulleiterin Eschrich.
Das Steuerteam entwickelte einen schulinternen Epochenplan, der sich auf sechs Themenfelder bezieht.

  • Projektepoche 1 „Wir lernen uns kennen!“
  • Projektepoche 2 „Tiere und Pflanzen in der Umgebung des Menschen
  • Projektepoche 3 „Wir lesen und schreiben ein Buch!“
  • Projektepoche 4 „Orientierung auf der Erde: Ein Land meiner Wahl!“
  • Projektepoche 5 „Ägypten“
  • Projektepoche 6 „Rund um die Rolle“

Diese Gliederung gibt zwar eine thematische Orientierung, ermöglicht aber eine relativ freie und kreative Erschließung von Lernfragen. Die Projektmethode unterstützt das gemeinschaftliche Lernen und verschafft den Schülern einen zusätzlichen sozialen Erfahrungsraum. Das Denken vom traditionellen Fachinhalt her wird aufgegeben zugunsten eines Lernens, bei dem die Schüler kooperativ Probleme aufgreifen.

Entwicklung des Selbstkonzepts

Die Startepoche „Wir lernen uns kennen!“ versteht sich als „Basisepoche“. In dieser sollen Kompetenzen des selbständigen Lernens entfaltet werden, allerdings auf der Grundlage eines dem Schüler bekannten Selbstkonzepts.
„Wer bin ich?“
„Was kann ich?“
 „Welche Möglichkeiten habe ich?“
„Was steckt in mir?“
„Welche Platz finde ich im Team?“
Mit diesen Fragen analysieren die Schüler ihre Ausgangsposition und legen den Grundstein für kooperatives Arbeiten. Das „Ich“, das „Wir“ und was damit zu machen ist, thematisiert sich, um die dann folgenden Epochen reibungslos zu starten.

Pädagogische Fragen

Die begleitenden Lehrer stehen nun vor etlichen Herausforderungen. Sie müssen ihre Rolle in offenen nicht planbaren Situationen einnehmen und vielfältigen Tätigkeiten der Lernbegleitung gerecht werden. Lernen beobachten, Lernen beschreiben, Lernen bewerten … Selbststeuerung und Selbstverantwortung der Schüler fördern. Die Lehrer werden schrittweise Erfahrungen sammeln und Instrumente entwickeln, um die Lernbegleitung professionell auszufüllen und im Kollegium zu verbreiten. Zusammengefasst geht es um pädagogische Fragestellungen wie:

  • Welche individuellen Voraussetzungen bringen die Schüler mit?
  • Wie bewältigen wir die systematische Beobachtung des Lernens der Schüler?
  • Wie gelingt uns die regelmäßige Rückmeldung?
  • Mit welchen Strategien bewerten wir die individuellen Lernprozesse?
  • Welche Instrumente unterstützen die Selbsteuerung?
     

Rolle der Schulleitung

 

Schulleiterin Eschrich bezieht sich in ihrer Leitungsposition auf folgende Aspekte, die Erfolg versprechen sollen:

  • Transparenz
    Die Einbeziehung des gesamten Kollegium und der Eltern unterstützt die Akzeptanz und schürt Motivation. In Bezug auf die Fortsetzung der Konfiguration in Klasse 6 und den folgenden Klassen müssen immer mehr Lehrerinnen und Lehrer gewonnen werden.
  • Kleine Schritte
    Auf der Basis einer konzeptionell beschriebenen Themenstruktur werden im laufenden Verfahren und je nach Ressourcenlage Instrumente der Lernbegleitung entwickelt. Die Konzepte für folgende Klassenstufen entstehen jeweils folgend.
  • Anerkennung
    Engagement und Ideenreichtum werden honoriert.
  • Konzeptbezogene Auswahl des pädagogischen Personals
    Motivierte und begeisterte Kollegen werden zuerst einbezogen. Eine ausreichende Akzeptanz und der Wille zur Mitgestaltung bzw. „Mitreise“ ist Entscheidungskriterium für die Auswahl des pädagogischen Teams.

Fazit

In der gegenwärtigen Schulpraxis der Willy-Brandt-Schule gehört Projektunterricht zum Alltag. Rahmenbedingungen wurden verändert. Insgesamt resümiert Corinna Eschrich einen enormen Fortschritt bei der Entwicklung einer ganztägigen Lernkultur. Für sie ist Projektunterricht schon keine „Ausnahmesituation“ mehr, sondern tägliches Geschäft. Das Selbstvertrauen für diese Einstellung brachte sie bereits vor einem Jahr an die Schule mit. Dabei geht es ihr nicht um die Polarisierung von lehrgangsförmigem Unterricht und Projektunterricht, sondern vielmehr um die Verzahnung von Lern- und Lehrauffassungen, so dass die eine Lernkultur die andere ergänzt. Sie und ihr Pionierteam verstehen den Projektunterricht als eine Grundform des Lernens und als einen Bestandteil moderner Lernkonfiguration. In diesem Sinne geht es an der Willy-Brandt-Schule um die Balance von Lern- und Lehrweisen.

Im Rahmen des Netzwerks thematisierte die Schule ihren Weg und fand Rat bei der Erich-Kästner-Gesamtschule in Hamburg.

Datum: 03.07.2011
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