Ein Gespräch mit Gisela Gravelaar
Die Wartburg-Grundschule Münster entwickelt ihr Schulkonzept ständig weiter. Seit über 30 Jahren verfolgt das Kollegium das Ziel, jeden Schüler optimal zu fördern und zu fordern. Gisela Gravelaar ist die Schulleiterin und spricht über die konzeptionellen Überlegungen, die Grundschule in ihren wesentlichen Grundsätzen auch auf die Sekundarstufe I zu übertragen und weiterzuentwickeln. Im Zentrum steht eine Rhythmisierungsidee, die in die Zukunft weist.
Das Konzept beschreibt Unterricht, bei dem sich Fächergrenzen auflösen und selbständiges Lernen gefördert werden.
Möglicher Wochenstundenplan eines Doppeljahrgangs im Konzept der Wartburg Grundschule Münster (auf Seite 24).
Frau Gravelaar, welche Vorbilder hat Ihr Konzept?
Wir haben frühzeitig gemerkt, dass die Primarstufe sehr verkürzt ist und dass die Zeit für die Begleitung von Lernbiografien nicht ausreicht. Nach der Grundschule gibt es einen Bruch, den wir vermeiden möchten.
In den europäischen und außereuropäischen Ländern gibt es vielfältige Beispiele, eine Schule von Jahrgangsstufe eins bis zur Oberstufe zu konzipieren. Seit wir den Deutschen Schulpreis erhielten, war das die Idee: Wir entwickeln ein Konzept, das auch in der Sekundarstufe oder sogar der Oberstufe funktioniert. Wir sind in Schweden gewesen, um zu sehen wie Schulen von Jahrgangsstufe eins bis Jahrgangsstufe zwölf funktionieren. Uns war schnell klar: Das ist unser Weg!
Der Wochenstundenplan des Konzepts sieht radikal anders aus als ein klassischer Stundenplan. Warum?
Kinder denken nicht in Fächern, sondern Kinder haben Fragen an unsere Welt, und darauf brauchen sie Antworten. Vernetztes Lernen wird jedoch im Moment noch viel zu wenig beachtet. Zeitliche Flexibilität bietet Möglichkeiten und Chancen für vernetztes Lernen. Damit begründet sich unsere Idee der „Gesamtlernsituation“. Mit diesem Konzept soll die Vernetzung der Fächer möglich werden, aber ohne den Anspruch, die Fachgrenzen zu ignorieren. Darüber hinaus geht es um ein Wechselspiel zwischen Anspannung und Entspannung und zwischen individualisiertem Lernen und gemeinsamem Arbeiten.
Welche Auswirkungen hat das für die Zusammenarbeit der Lehrkräfte?
Das wird eine sehr positive Auswirkung haben. Wir denken in „Häusern“, in denen alle Fächer vertreten sind. Jedes Team ist für ein Haus verantwortlich und organisiert dessen Stundentafel. Diese Teams haben relativ viele Freiheiten, wobei es darum geht, vorgeschriebene Ziele auch zu erreichen. Die Zusammenarbeit zwischen den Lehrerinnen und Lehrern beruht auf ihrer gemeinsamen Verantwortung, deren Grundlage dichte Absprachen und Voneinander-Lernen sind.
Welche Auswirkungen auf das Raumkonzept einer Schule hat ein solcher Stundenplan?
Unsere Primarstufe hat ja ein wunderschönes Schulgebäude mit vielen Farben und Formen. Aber das, was dieser Schule fehlt und was ich mir für die Sekundarstufe vorstelle, das sind wirklich flexible Räume. Wir wollen Doppelstufen mit 56 Schülern und je zwei Pädagogen einrichten. Wir stellen uns das in den Gesamtlernsituationen so vor, dass die Kinder an ihren Fähigkeiten selbständig zu arbeiten anknüpfen. Das, was sie in der Primarstufe gelernt haben, wird aufgegriffen. Damit wäre es unproblematisch, – mit und als Schüler – in großen Gruppen zu arbeiten. So könnte es sein, dass ein Lehrer bei einer Gruppe von 40 Kindern das selbständige Lernen begleitet und der andere in einer kleineren Gruppe Fachunterricht erteilt, der zu einer Vertiefung von Wissen beiträgt. Für solche neuen Formen des Lernens braucht man flexible Räume, die man vergrößern und verkleinern kann. Eine flexible Raumgestaltung ist eines der wichtigsten Elemente unserer Idee. Starr eingerichtete Fachräume entsprechen diesen Vorstellungen nicht.
Was haben die Schülerinnen und Schüler davon?
Uns wäre es wichtig zu wissen, wie ein Schüler, der von der ersten bis zur zehnten Jahrgangsstufe gelernt hat selbständig zu lernen, die Schule verlässt. Wir gehen davon aus,dass er Selbstwirksamkeit erfahren hat, so dass er, wenn ein Problem ansteht, Wege finden wird, dieses zu lösen. Das ist überhaupt das Hauptziel unserer Schule.
Und wenn wir eine Schule haben, die in Bewegung ist, die wirklich kontinuierlich in einem Prozess der Unterrichts- und Schulentwicklung steht, dann wird es immer dem Kind zu Gute kommen. Wir müssen ja in die Zukunft hineindenken. Wir wissen nicht, was für Kompetenzen ein Kind im Jahre 2060 braucht, aber die Schule muss sich dahingehend wandeln, dass sie die Kinder so vorbereitet, dass sie sich, egal wie die Lebensumstände sein werden, gut aufstellen können. Das ist nicht vorrangig das Wissen von Zahlen und Fakten, sondern das sind Teamfähigkeit, hohe Motivation und Selbstständigkeit. Schülerinnen und Schüler müssen Ziele formulieren und verfolgen können und auch Erfolge feiern können. All diese Dinge machen die Wichtigkeit von lebenslangem Lernen letztendlich deutlich. Das ist das ganz große Ziel dieser Schule. Und wir wollen natürlich Leistungsschule sein. Das heißt, genau wie jetzt in der Primarstufe ist uns sehr daran gelegen, dass die Potenziale der Schüler auch genutzt werden. Und die Teamarbeit werden die Kinder auch später in ihrer Berufswelt nutzen und davon profitieren können.
Interview von Dr. Sabine Schweder, Universität Greifswald
23.01.2014
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