Der selbst ernannte „King of Rap“ Kool Savas, steht inmitten einer kleinen Traube von anhimmelnden Teenagern, die sich schnell in das Aufenthaltszimmer zurückziehen. Es ist nieselig, kalt und grau. Traktoren tuckern gemütlich die Gutsstraße entlang, während Jugendfußballmannschaften am Rande eifrig die Bälle austauschen. Im äußersten Norden von Berlin verbirgt sich der kleine Ort Gnewikow – unscheinbar, fände da nicht zurzeit der Media College Workshop statt.
Vom 8. bis zum 24. Oktober 2010 treffen sich im „Jugenddorf am Ruppinersee“ Jugendliche aus dem gesamten Bundesgebiet. Coole Teenager im Alter von 16 bis 21 steppen auf der Straße nach dem Beat von Kool Savas. Das idyllische Örtchen wird zur Talentschmiede für engagierte Kids, die Spaß an Musik und Medien haben. Zum Lied „Sky is the Limit“, welches Savas exklusiv für das Programm komponierte, konnte jeder, der mitmachen wollte bis zum 14. August sein eigens kreiertes Musikvideo im Internet hochladen.
Das Sprungbrett: Media College.
Auf der Web-Plattform „Media College Online“ wurden die Beiträge präsentiert und achtzig für den Workshop ausgewählt. In jeweils zwei einwöchigen Herbstcamps setzen die Teenager mit Medienpädagogen und Medienprofis ihre Ideen zu einem professionellen Musikvideo um.
„Think Big – Media College“ mit dem Motto: „We believe in young people“ ist ein gemeinsames Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) und Telefónica o2 Germany, welches sozial und bildungsbenachteiligte Jugendliche systematisch fördert und unterstützt. Ziel ist es, jungen Menschen Perspektiven aufzuzeigen und ihre Stärken auszubauen.
Ömer, 18, aus Lauenburg bei Hamburg ist ein begeisterter Breakdancer und hat mit seinen Freunden ein Breakdance-Video erstellt: „Es ist so toll hier zu sein. Es sind so viele gute Tänzer hier, mit denen man sich austauschen kann.“
Im Camp angekommen, wurden die ersten vierzig Jugendlichen in vier Gruppen aufgeteilt. Die Gruppen A-C entwickeln ein eigenes Drehbuch. Die vierte „Making Of Gruppe“ wirft einen Blick hinter die Kulissen der Produktion. Über Brainstorming wird bereits nach dem ersten Tag ein Konzept entwickelt. „Unsere Bande konnte sich ziemlich schnell einigen. In unserer Story steht das schwierige Leben eines jungen Mädchen im Mittelpunkt. Sie versucht sich und ihren kleinen zehnjährigen Bruder mit Putzjobs über Wasser zu halten, weil die Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind“, so Ömer.
Am Ende steht ein Musikvideo zu „Sky is the Limit“ mit Szenen, die die Jugendlichen visualisiert haben. Sie bringen ihre Ideen beim Storyboard ein, filmen und schneiden mit.
Achtung vor dem Netz
Die Veranstaltung zum Thema „Respekt im Netz“ am 14. Oktober gibt den Jugendlichen Anregungen zu Werten in Bezug auf Daten im Netz. Respekt bedeutet: zurückschauen, berücksichtigen und wertschätzen. In der Diskussion geht es nicht vordergründig um den respektvollen Umgang mit Erwachsenen, sondern um Achtung vor sich selbst. Die Jugendlichen nutzen ihre Chance im Media College nicht nur zur kreativen Entfaltung, sondern beteiligen sich auch am interaktiven Programm, das ihr Verantwortungsbewusstsein schärft.
Der Moderator Vincent Steinl läutet eine kurze Vorstellungsrunde ein. Außer den ständigen Campteamern, Enrico Damme und Marike Schlattmann, nehmen der o2-Pressesprecher, Carsten Nillies, Rapper Kool Savas und der Regisseur Mikis Fontagnier im Sesselkreis Platz. Drei provokante Fragen dienen den Teilnehmern als Impuls für Gespräche in Kleingruppen.
Ist es okay, Musik oder Filme illegal aus dem Netz zu ziehen? Ist es fair, einen Streit im Netz auszutragen? Ist es sinnvoll, viel von sich im Netz preiszugeben? In den Arbeitsgruppen stehen diese Aspekte im Vordergrund. Es geht nicht darum, die Jugendlichen mit moralischen Appellen zu belehren. Sie können Erfahrungen austauschen und darüber diskutieren, was fair ist und was nicht.
Mobbing – nicht nur auf dem Pausenhof
Tatjana Goldring, 18, aus Dortmund wurde in Moldawien geboren und kam als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland. Derzeit macht sie ein Freiwilliges Soziales Jahr als Disponentin bei einem Behindertenfahrdienst. „Ich hatte es nicht immer leicht in Deutschland. In der Grundschule wurde ich von meinen Mitschülern gehänselt und geschlagen, weil ich kein Deutsch sprach.“ Tatjana weiß, was Mobbing bedeutet. Fast jeder dritte Schüler wird heutzutage Opfer von Schikanen. Eine Studie der Leuphana Universität Lüneburg hat ergeben, dass von rund 2000 befragten Schülern über 15 Prozent bereits einem Klassenkameraden Gewalt angetan haben.
Durch die Nutzung des Internets und unzähliger Communitys erreicht Mobbing eine neue Stufe. Hinter anonymen Namen verstecken sich Täter und demütigen ihre Opfer. „Ein Foto meiner Freundin wurde so bearbeitet, dass ihr Gesicht auf einem fremden, nackten Frauenkörper zu sehen war. Das war schrecklich peinlich und hat sie in aller Öffentlichkeit blamiert“, berichtet Tatjana, „Anbieter wie Facebook und StudiVZ sollten einem mehr Entscheidungsmöglichkeiten darüber geben, wer was von einem sehen und verwenden kann.“
Auf die Frage an Kool Savas, ob er dies als respektlos empfindet, antwortet er gewohnt lässig: „Es sind schon Leute zu meinen Konzerten gekommen und wollten mein Autogramm auf gebrannten CDs.“ Das Verhalten sei nicht verwerflich, „sondern nachvollziehbar“. „Ich sage immer, wenn ihr wirklich kein Geld habt, dann ist das ok.“
Savas – nicht nur ein Rapper
Savas‘ Engagement ist keineswegs eine Farce, auch wenn er offen gesteht, dass ihn Themen wie Politik und Integration nerven. Der Vegetarier setzt sich für die Tierschutzorganisation Peta ein und appelliert im Zuge der „CanNObis-Kampagne“ an die Jugend für ein drogenfreies Leben fernab des harten Images der Rapszene. Auf die Frage, ob und inwiefern er seine sexistischen Texte rechtfertigt, meint der einstige Kreuzberger, er sei „im Verhältnis zu anderen Rappern harmlos“. Außerdem mache er sich um die Teenager keine Sorgen, denn „die reden ja selbst so.“ Ein Moralapostel ist Savas nicht, das wäre auch kaum authentisch. Öffentliche Demütigung heißt dann eben Battle Rap und sei sein gutes künstlerisches Recht. Außerdem solle man seine Songs mit einer Prise Witz und Humor nehmen.
„Die Wörter müssen nun mal knallen.“ Und das tun sie im Namen von Entertainment. Savas dagegen bezeichnet sich selbst als häuslich und entflieht dem beruflichen Stress gerne. Zuhause und im Grünen. Als ihm die Idee vom Media College vorgestellt wurde, lag Savas Hauptaugenmerk auf der kreativen Umsetzung seines Songs „Sky is the Limit“. Mittlerweile, meint der gebürtige Türke, sei ihm das Projekt durch die motivierten Kids besonders ans Herz gewachsen.
Großer Applaus – kleine Wirkung
Die fünfzehn Jugendlichen des Workshops finden sich erneut im Sesselkreis ein und erwarten Ergebnisse der Kleingruppen.
„Es sollte bessere Überwachungen durch Programme und Administratoren geben“, wirft einer der Jugendlichen in die Runde. „Hilfreich wäre es auch, wenn gefährliche Seiten einfach generell gesperrt werden für unter 18-Jährige. Dann gelangt man gar nicht erst auf illegale und riskante Websites“, erläutert ein anderer Teen. Grundsätzlich ist die Aufklärung von Gefahren im Netz bereits Zuhause und in der Schule wichtig. Darüber sind sich alle Teilnehmer einig. Teilweise wissen allerdings die Erziehungsberechtigen weniger über den Umgang und das Verhalten im Netz als ihre Kinder. Telefonischer Support durch Ansprechpartner des Anbieters oder Providers sowie Kurse zum Thema sollten unwissende Eltern oder Lehrer hierbei unterstützen.
Alle Jugendlichen geben an, dass das Thema „Respekt im Netz“ bereits in der Schule besprochen wurde. Dennoch liefert die „Internetgeneration“ viele gute Ideen und Anregungen für mehr Schutz.
„Vielen Dank für diesen tollen Input. Ich werde eure Wünsche auf mehr Sicherheit im Netz weitergeben“, lobt der o2-Pressesprecher Nillies. Trotz allem ist und bleibt die effektivste Methode „keinen Scheiß zu machen“, den PC einfach mal auszuschalten, denn „Think Big“ geht anders.
Autoren: Marie Kamprath und Carolin Ruff
Datum: 10.12.2010
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