N. ist 17 Jahre und Mutter einer einjährigen Tochter. Sie lebt in der Nähe der Schule in einer betreuten Wohngemeinschaft, in der sie eine eigene kleine Wohnung mit ihrer Tochter hat. Obwohl sie es gut findet, dass sie mit ihrem Kind zusammenleben und dennoch die Schule besuchen und hoffentlich einen Hauptschulabschluss erreichen kann, hat sie Heimweh nach Berlin, wo sie aufgewachsen und bis vor kurzer Zeit zur Schule gegangen ist.
„Produktives Lernen“
Das „Produktive Lernen“, kurz „PL“, ist eine „besondere Organisationsform, die von der der Sekundarschule abweicht und Allgemeinbildung mit individueller Berufsorientierung verbindet“. Die PL-Schüler/innen besuchen an zwei Tagen der Woche die Schule und an den drei anderen Tagen arbeiten sie an selbst gewählten Arbeitsplätzen, z.B. im Tierpark, Supermarkt oder bei der „Lebenshilfe“.
„Produktives Lernen“ ist bei weitem nicht das einzige Angebot, das die Sekundarschule Wanzleben ihren Schüler/innen macht, um sie „für ein eigenverantwortliches Leben stark zu machen“, indem sie ihnen Methodenkompetenz im Rahmen projektorientierten Lernens unter Einschluss des verantwortungsvollen Umgangs mit modernen Medien vermittelt. Diesem Ziel hat sich das Kollegium in seinem gemeinsam entwickelten Schulprogramm für den Besucher spürbar mit „Kopf, Herz und Hand“ verschrieben und belässt es nicht bei den wohlklingenden Formulierungen auf geduldigem Papier, sondern macht täglich in vielen kleinen Alltags- und durchdacht eingerichteten Lernsituationen Ernst mit der Realisierung der Leitidee „Gemeinsam für das Leben lernen“.
Kontinuität und Zielorientierung
Die jetzige Sekundarschule Wanzleben ist ein Zusammenschluss aus drei ehemaligen Oberschulen und hat 1990 begonnen, ihre jetzige Identität zu entwickeln. Wie „ein Fels in der Brandung“ sorgt die Schulleiterin, Frau Peter, für Kontinuität und Zielorientierung in diesem nun schon 20 Jahre währenden zeitweilig sehr turbulenten Veränderungsprozess und ist Vorbild für das durchgängig freundliche, zugewandte und von gegenseitigem Respekt getragene Schulklima. So ist es schlicht unmöglich, durch die Flure zu gehen, ohne von allen Entgegenkommenden und Vorbeihuschenden begrüßt zu werden. Schüler/innen helfen sich gegenseitig mit großer Selbstverständlichkeit, und es kommt nicht selten vor, dass der, dem geholfen wurde, sich bei seinem Helfer mit Handschlag für die Unterstützung bedankt: „Danke, dass Du mir geholfen hast“.
Mehr Zeit für’s Lernen im Ganztag
Eine besondere Herausforderung stellte 1999 die zunächst auf der Basis eines mit einer Zweidrittelmehrheit gefassten Kollegiumsbeschlusses begonnene Umwandlung der Schule in eine Ganztagsschule dar. Ausgangspunkt waren Überlegungen zur Einbindung von Hausaufgaben- und Übungszeiten in den innerschulischen Tagesablauf, u.a. um das von schulischer Seite Mögliche zum Ausgleich ungleicher häuslicher Bedingungen zu tun. Diese Arbeitszeiten, in denen jeder individuell an Aufgabenstellungen arbeiten kann, die er bislang noch nicht erfolgreich bewältigen konnte, werden von wechselnden Fachlehrer/innen begleitet, so dass auf die jeweils aufgabenspezifisch gebrauchte Expertise zurückgegriffen werden kann, natürlich erst, nachdem Mitschüler/innen um Rat gefragt wurden und diese mit einem „da kann ich jetzt auch nicht weiterhelfen“ aufgegeben haben. Die „FAÜ-Zeiten“ (Freiarbeit und Übung) sind in das neue Rhythmisierungsmodell des Ganztags integriert – also nicht dem Kern-Stundenplan vor- oder nachgeschaltet.
Der Tag beginnt um 8 Uhr morgens und endet – außer an Freitagen – um 15.10 Uhr. Eineinhalbstündige Unterrichtsblöcke wechseln sich ab mit einer halbstündigen Frühstückspause, einer 20-minütigen Hofpause und einer einstündigen Mittagspause, in der die 5., 6. und 7. Klassen versetzt mit den 8., 9. und 10. Klassen einen mitgebrachten oder in der Schule gekauften Imbiss oder ein beim Caterer bestelltes Essen verzehren. In der langen Mittagspause gibt es vielfältige Angebote zu verschiedenen Interessensbereichen der Schüler/innen, u.a. Gelegenheiten zum kreativen künstlerischen Gestalten in Kunst und Musik, zur Nutzung der Bibliothek oder des Internetcafés. Neben einer planmäßigen Wochenstunde „Informatik“ können die Schüler/innen in zwei Computer-Kabinetten notwendige Recherchen zu Themen der Lernbereiche und Projekte durchführen.
Für einen möglichst reibungslosen und konfliktfreien Ablauf des gemeinsamen Tages von rund 300 Schüler/innen und 31 Lehrer/innen sorgt nicht nur der von den Fachkonferenzen sorgfältig an den Lernzielen orientierte Tagesplan mit wechselnden Organisationsformen und Gruppengrößen zur Anregung und Unterstützung selbsttätigen Lernens, sondern auch eine von den demokratisch gewählten Schülerräten, Lehrer/innen und Eltern gemeinsam erarbeitete Hausordnung, deren Regelungen nur in Ausnahmefällen in Verboten bestehen, sondern viel mehr Hinweise auf erwartetes Verhalten enthalten.
„Lust auf Neues“
In dieser Schule sind nicht nur die Schüler/innen die „Regisseure ihres eigenen Lernens“, sondern auch deren Lehrer/innen und viele weitere pädagogische Mitarbeiter, die sich der Herausforderung der hohen Komplexität des schulischen Alltags, des raschen Wandels im Umfeld der Schule, den teilweise widersprüchlichen Erwartungen aus der Öffentlichkeit – nicht alle Eltern sind begeisterte Anhänger eines ganztägig organisierten Lernens – und dem hohen Anspruch an die eigene Professionalität stellen. Wenn von den ursprünglichen Kollegien der Vorgängerschulen jetzt noch etwa ein Drittel an der jetzigen Schule ist, hat das auch damit zu tun, dass manch einer Lehrkraft der nötige Mut, das Interesse an neuen Erfahrungen und die Bereitschaft fehlt, sich „mit aller Kraft“ in den Erneuerungsprozess einzubringen. Dafür haben die, die geblieben oder neu hinzugekommen sind, davon so viel, dass sie ihre anspruchsvollen Innovationsprojekte in guter Kooperation miteinander und dicht an den Lernbedürfnissen der einzelnen Schülerinnen und Schüler bzw. Jugendlichen umsetzen wollen. Das schwierige Geschäft der Personalplanung und Personalentwicklung, das in erster Linie der Schulleitung obliegt, braucht die Unterstützung der Verwaltung, die nicht immer im gewünschten Maße gegeben ist.
Gemeinsam nicht einsam
Zu den „Räumen“ gelungener Unterstützung und Zusammenarbeit, die für Lehrkräfte, die traditionell eher einen „einsamen“ Arbeitsplatz haben, eine nicht nur als Erleichterung empfundene Neuerung sind, gehören außer den Lehrerteams auch andere pädagogische Mitarbeiter wie die Schulsozialarbeiterin, die nicht nur als Gesprächspartnerin für Schüler/innen zur Verfügung steht, die bereits morgens ab 7 Uhr aus den knapp 30 Zubringerorten per Bus zur Schule gebracht werden, sondern neben den gewählten Vertrauenslehrer/innen auch als Beraterin in schwierigen Lebenslagen und biografischen Krisen. Auf dem oft mit Stolpersteinen (Bewerbungen formulieren, Absagen verkraften etc.) gepflasterten Übergang von der Schule ins Berufsleben werden die Schüler/innen bei Bedarf von einer Kollegin begleitet, die sich auf diesen Bereich der Berufsorientierung besonders spezialisiert hat. Da ist auch der bereits pensionierte Kollege, der sich nicht trennen kann und weiter das Theater-Projekt leitet, das nicht nur ein traditionsreicher Höhepunkt im Jahreszeitenkarussell der Schule ist, sondern zum festen Kulturangebot in der Region gehört.
Schüler/innen mit besonderen Schwierigkeiten im sozialen und aufgabenzentrierten Verhalten, im Erlernen von Lesen und Rechtschreiben und mathematischem Denken haben die Möglichkeit, an entsprechenden Unterstützungsangeboten teilzunehmen.
Zu den außerschulischen Kooperationspartnern gehören Krankenkassen (BARMER, DAK), das regionale Arbeitsamt und im Rahmen der Berufsberatung auch Betriebe mit Ausbildungsplätzen, die Bibliothek in Wanzleben, der Jugendclub „Tenne“, das DRK, das einen Schulsanitätsdienst anbietet und den Schüler/innen die Möglichkeit eröffnet, einen Erste-Hilfe-Kurs zu machen, und Projekte (BRAFO* und Praxistag) in Zusammenarbeit mit dem Ländlichen Bildungszentrum Wanzleben, das u.a. ein Ausbildungsangebot im Hotelgewerbe zur Verfügung stellt. Ein qualifiziertes Angebot in Fragen der Erziehungshilfe für Eltern und typischen Krisen des Jugendalters steht beratende Hilfe einer Schulpsychologin, der Caritas und der AWO an der Seite der betroffenen Jugendlichen und ihrer Bezugspersonen.
Labor Lernkultur
Im September 2009 bewarb sich die Sekundarschule Wanzleben um die Teilnahme am Lernvorhaben „Labor Lernkultur“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierten Programms „Ideen für mehr! Ganztägig lernen.“ und wurde als einzige Schule im Land Sachsen-Anhalt auserwählt.
Eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe steuert in Zusammenarbeit mit der Schulprogrammgruppe, deren Besetzung in weiten Teilen identisch ist, die Weiterentwicklung des Ganztagsbereichs sowie das Vorhaben im Rahmen des „Labor Lernkultur“. Kernstück des Vorhabens ist die in der 9. Jahrgangsstufe eingeführte Projektwoche „Weimar“. Sie verbindet die Fächer Deutsch, Geschichte, Musik und Kunst und bezieht außerschulische Lernorte in Weimar und Buchenwald mit ein. Um das in der Schule am Computer oder an Originalschauplätzen Erforschte schriftlich festzuhalten und der Schulgemeinschaft vorzustellen, werden neue Formen der Dokumentation und Präsentation von Lernprozessen und Lernergebnissen erprobt. Dabei werden auch der Umgang mit strukturiertem Feedback geübt und Erfahrungen mit seiner Wirkung auf die Qualität der „Werkstücke“ gemacht.
Die Arbeit im überregionalen Netzwerk der „Labor-Schulen“ stellt das „Voneinander lernen“ der Schulen, die an vergleichbaren Schwerpunkten arbeiten, in den Mittelpunkt und organisiert mit planerischer und finanzieller Unterstützung der Stiftung gegenseitige Hospitationen und Netzwerktreffen. Der Tandempartner der Sekundarschule Wanzleben ist die 128. Mittelschule Dresden, die sich mit auf den Weg zu einer Schule macht, in der das eigenverantwortliche Arbeiten der Schüler/innen betont wird. So wird das Peer-learning nicht nur für die Schüler/innen der beteiligten Schulen organisiert, sondern auch für die Lehrkräfte. Diese werden von der regionalen Service-Agentur begleitet und nutzen die in regelmäßigen Zeitabständen angebotenen Fortbildungen zur eigenen Kompetenzerweiterung und Schulentwicklungsplanung.
„Gute Schule muss sich schließlich messen lassen an der Leistungsbereitschaft und dem Lernwillen ihrer Schüler/innen, daran, wie das vermittelte Wissen zu einer dauerhaften Basis für das weitere Leben wird“ (Zitat aus dem Leitbild der Schule).
Stellvertretend sei eine Schülerin zitiert, die angesichts ihrer nicht auf Anhieb geglückten Lösung einer Mathematikaufgabe, einem sie auf den Fehler aufmerksam machenden Mitschüler antwortet: „Ich habe mich aber angestrengt, und das ist doch erst Mal das, was zählt!“
*BRAFO – Berufsauswahl Richtig Angehen Frühzeitig Orientieren
Mit BRAFO wurde an allen Sekundar- und Gesamtschulen des Landes Sachsen-Anhalt ein zusätzliches Angebot zur frühzeitigen Berufswahlvorbereitung geschaffen.
SAG Sachsen-Anhalt Sekundarschule Wanzleben
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