Das selbstgesteuerte Lernen

 

 

 

 

Mit der Aufforderung zum lebenslangen Lernen wird als grundlegendes Prinzip zur Gestaltung der Lernprozesse die Eigenverantwortung des Lernens neu bestimmt. Damit sind umfassende organisatorische, curriculare und didaktisch-methodische Veränderungen auf allen Ebenen des Bildungssystems verbunden. Die Stärkung der Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Lernen ist eine der wesentlichen Aufgaben zukünftiger Bildungspolitik und Bildungspraxis.

Lernen kann unter Nutzung elektronischer Medien und Kommunikationstechniken oftmals zeit- und ortsungebunden in vernetzten Strukturen stattfinden. Neue Formen der Lernberatung, Instrumente der Selbstreflexion und der Selbststeuerung sind zu entwickeln und zur Nutzung für Lernende bereitzustellen. Da alle Menschen bereits in ihrem Alltag lebenslang „lernen“, wenn sie nämlich neue Informationen, Eindrücke, Erfahrungen verarbeiten und sich auf neue Anforderungen einstellen, kann dieses „natürliche“ anlassbedingt-informelle Selbstlernen im Lebensvollzug als Grundlage und Ansatzpunkt für ein breiteres situatives lebenslanges Lernen aller aufgenommen, behutsam gefördert und zu einem zusammenhängenderen Wissens- und Kompetenzaufbau weiterentwickelt werden.

Der Begriff „Selbstgesteuertes Lernen“ bezeichnet ein konstruktives Verarbeiten von Informationen, Eindrücken und Erfahrungen, über dessen Ziele, inhaltliche Schwerpunkte, Wege und äußere Umstände die Lernenden im Wesentlichen selbst entscheiden und  bei dem sie die von anderen entwickelten Lernmöglichkeiten und fremdorganisierten Lernveranstaltungen jeweils nach den eigenen Bedürfnissen und Voraussetzungen gezielt ansteuern und nutzen. Selbstgesteuertes Lernen ist daher immer auch im Zusammenhang von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zu sehen. In Abgrenzung zum „selbstorganisierten Lernen“ kommt es beim selbstgesteuerten Lernen nicht darauf an, dass das Individuum die Lernabläufe organisiert, sondern dass das Individuum darüber entscheidet, welche selbst- oder fremdorganisierten Lernmöglichkeiten jeweils in seinen Lernprozess einbezogen werden. In diesem Sinne muss das Lernen in den Bildungseinrichtungen auch die persönliche Entwicklung des Einzelnen fördern, das Lernen des Lernen ermöglichen und dazu beitragen, dass jeder Einzelne mehr Verantwortung für den Erwerb neuer Kenntnisse und Fähigkeiten übernehmen kann, von Anfang an und ein Leben lang. (Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland)

Wissenserwerb als selbstgesteuerter Prozeß

Als allererstes stellt sich einmal die Frage, welche Fähigkeiten erforderlich sind, um selbständig zu lernen und, ob es überhaupt einen Unterschied gibt zwischen der Fähigkeit selbständig lernen zu können und der allgemeinen Lernfähigkeit. Mit diesen und ähnlichen Fragen befaßt sich dieser Gliederungspunkt. Wissenserwerb läßt sich kurz so definieren, „daß der Lernende selbstbestimmt eine oder mehrere Steuerungsmaßnahmen ergreift und den Lernprozeß eigenständig überwacht“, ohne Hilfe anderer Instanzen.

Jedes Lernen und Verstehen fordert ein Minimum an Selbststeuerung, es handelt sich hierbei um ein Kontinuum, das sich zwischen zwei Extremen bewegt. Zum einen zwischen dem völligen Unvermögen, das eigene Lernen zu kontrollieren und zu steuern, und zum anderen zwischen der Fähigkeit, dieses ohne fremde Hilfe zu tun. Diese Extreme gibt es jedoch in der Realität nicht in dieser reinen Form. Jeder Lernende ist auf irgendeine Art und Weise auf eine andere Instanz (zum Beispiel ein Buch, einen Lehrer) angewiesen, einen rein selbstgesteuerten Prozeß gibt es also nicht, jeder braucht aber eine gewisse Fähigkeit sein Lernen kontrollieren und steuern zu können. Jedes Lernen ist gleichermaßen selbständig und unselbständig, also erscheint es unsinnig beide Arten strikt voneinander zu trennen. Der Lernende interagiert immer mit einer anderen Instanz, weil er seine Informationen ja irgendwo beziehen muß, sei es von einem Lehrer, von Büchern, von einem Computer oder von einer anderen Instanz. Unterschiedlich ist jedoch der jeweilige Beteiligungsgrad des Lernenden und eines anderen Objekts, er entscheidet dann auch, ob man von mehr fremdgesteuertem oder mehr selbstgesteuertem Lernen spricht.

Ziel und Methode des Unterrichts

Die Wissenschaft weiß noch relativ wenig, was beim Lernen genau passiert und trotzdem wird die große Bedeutung der Eigenaktivität des Lernenden für erfolgreiches Lernen durch die heutige Kognitionspsychologie besonders betont. Selbstgesteuertes Lernen kann prinzipiell als Voraussetzung, als Ziel oder auch als Methode von Unterricht betrachtet werden (Weinert, 1982). Der Aspekt der Selbststeuerung als Ziel ist deshalb sehr wichtig, weil nicht von vornherein selbstgesteuertes Lernen vorausgesetzt werden kann, sondern eventuell erst unterstützt und entwickelt werden muß. Somit kommt die Selbststeuerung als Methode ins Spiel. Ein Problem dabei ist, inwieweit ein Lernender mit geringer bis gar keiner Selbststeuerung mit derselben als methodischem Zugang zurechtkommt. Folglich ist also ein Mindestmaß an Fremdsteuerung notwendig, damit der Lernende Fähigkeiten zur Selbststeuerung erwerben beziehungsweise erlernen kann. Wie vorher schon erwähnt, sind also Fremd- und Selbststeuerung keineswegs Gegensätze, die sich gänzlich ausschließen, sondern sie können sich gegebenenfalls unterstützen und ergänzen.

Selbststeuerung als Wissenserwerb kann sich auf mehrere unterschiedliche Fähigkeiten beziehen:

  1. auf die Vorbereitung des Lernens,
  2. auf die Ausführung und Regulation der Lernhandlungen,
  3. auf die Bewertung der eigenen Leistungen,
  4. sowie auf die Aufrechterhaltung von Konzentration und Motivation.

Um nun diese Selbststeuerung zu fördern schlägt Simons (1992) das sogenannte prozeßorientierte Lehren vor. Wichtig bei dieser Art des Unterrichts ist, daß der Lehrende sich Gedanken darüber macht, welche Auswirkungen die eigenen unterrichtlichen Maßnahmen auf die Lernsteuerung der Lernenden haben.

Die erste Möglichkeit ist, daß der Lehrende durch entsprechende unterrichtliche Maßnahmen dem Lernenden die Selbststeuerung abnimmt, die zweite, daß er den Lernenden aktiviert, die Steuerung des Lerngeschehens selbst zu übernehmen und die dritte Möglichkeit ist, die Lernsteuerung dem Lernenden selbst zu überlassen.Der Lernende übernimmt also immer mehr die Rolle des sich selbst Lehrenden, für Weinert (1982) ein wichtiger Aspekt für die Verwendung des Begriffs des „selbstgesteuerten Lernens“. (Barbara Brutscher, Christian Harteis, Rudolf Hitzler, Universität Regensburg Institut für Pädagogik)

Lernverträge als Selbsteuerung 

Schüler definieren selbst ihre Entwicklungsziele mit Hilfe von Lernverträgen

Um Schüler nach und nach in die Lage zu versetzen, ihre Fähigkeiten und Interessen selbst einschätzen und entwickeln zu können, gibt es die Möglichkeit, sie selbst Entwicklungsziele definieren zu lassen, die sie erreichen möchten. Ein Instrumentarium dafür sind Lernverträge. Ein Lernvertrag ist ein Dokument, das dabei hilft, eigene Lernziele zu definieren und zu erreichen. Es ist ein schriftlicher „Vertrag“ zwischen Schüler und Lehrer, welche speziellen Aktivitäten der Lernende ausführen wird, um die beschriebenen Lernziele zu erreichen.

Das Konzept der Lernverträge basiert auf der Arbeit von Malcolm Knowles, der eine Reihe von Annahmen über die Beziehung von Lernenden und Lehrenden traf. Das Konzept, das zunächst für die Erwachsenenbildung erarbeitet wurde, ging davon aus, dass die Lernenden als autonome Wesen mehr Verantwortung für ihren eigenen Lernweg übernehmen sollten und ihre vorhandenen Fähigkeiten und ihr Wissen als Ausgangspunkt für diesen Weg nutzen sollten. Inzwischen werden Lernverträge – vor allem im angelsächsischen Raum – auch in Schulen als Instrumentarium eingesetzt.

Da der Lernvertrag beim Wissen, den Fähigkeiten und den Interessen des Lernenden ansetzt, ist er schülerorientiert und eignet sich besonders gut für Lernkontexte, in welchen die Lernenden selbst gesteuert lernen sollen und wollen, z. B. im Projektlernen. Durch die Möglichkeit zur individuellen Formulierung des Vertrages erlaubt das Konzept des Lernvertrags ein hohes Maß an Binnendifferenzierung in der Schule. Als schriftlicher Vertrag erzeugt er außerdem ein hohes Maß an Verbindlichkeit. Der Lernende ist dafür verantwortlich, die vereinbarten Aktivitäten auszuführen und der Lehrende ist verantwortlich, dem Lernenden dafür jegliche Unterstützung zu bieten, indem der Vertrag:

  • Lernziele
  • Aktivitäten
  • Art des Nachweises der Aktivität
  • Zeit und
  • Kriterien der Evaluation

festschreibt, dokumentiert er den Lernweg als Prozess, der zu einem bestimmten Ziel führen soll und macht ihn transparent und nachprüfbar. So kann der Lernweg zum Gegenstand der Kommunikation zwischen Lernendem und Lehrendem werden. Beide Seiten können in eine kooperative und respektvolle Beziehung treten.

 

Von Wolfgang Vogelsaenger Schulleiter der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule

Datum: 10.07. 2011
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