Den Schülern selbständiges Lernen beizubringen, ist das eine, soziale Kompetenzen zu stärken, das andere. Mit diesen Zielen hat das Frankfurter Bettinaschule seine Lernzeit eingeführt. Neben der Lernzeit fördert das Gymnasium mit Kulturtagen, Yoga oder Plastikmodellbau-Kursen seine Schüler individuell.
Von Britta Kuntoff
Das Erscheinungsbild der „alten Dame“ ist längst nicht mehr das modernste, doch auf Äußerlichkeiten kommt es der Bettinaschule in Frankfurt am Main nicht an. Trotz des 60er-Jahre-Klinkerbaus, in dem sich die 1855 gegründete Schule heute befindet, strahlt die Institution einen starken Charakter aus – geprägt von Toleranz und Offenheit für neue Ideen. Selbst in Zeiten der achtjährigen Gymnasialzeit, kurz G8, bleibt diese Schule nicht bei reiner Wissensvermittlung stehen. Eine Persönlichkeit zu entwickeln, gut und fest in der Gemeinschaft zu stehen und sich der seiner sozialen Verantwortung zu stellen, das möchte die Schule ihren Schülerinnen und Schülern lehren. Gymnasialer Elfenbeinturm? Der hat hier keine Chance.
1037 Schülerinnen und Schüler besuchen die Bettinaschule, sie werden von 86 Lehrkräften unterrichtet. Die Schule hat einen musikalischen Schwerpunkt. „Wir möchten den Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich mit Musik und allen anderen Formen von Kunst auseinanderzusetzen“, erzählt Judith Ullrich-Borrmann, die Schulleiterin. In der 7. Klasse zum Beispiel ist der Dienstag Kulturtag. Von zehn bis fünfzehn Uhr arbeiten die Schüler mit Künstlern zusammen. Es gibt Wahlpflichtkurse wie die Schreibwerkstatt oder einen Leistungskurs Darstellendes Spiel. „Künstlerische Spitzenleistungen kommen vor, aber darauf liegt nicht unser Augenmerk. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich ausprobieren dürfen“, sagt Judith Ullrich-Borrmann.
Im Angedenken an die Vergangenheit
Von ihrem Schreibtisch aus fällt der Blick auf die Gedenkstätte, die auf dem Schulhof an die 187 jüdischen Schülerinnen erinnert, die in der Nazizeit die damalige Mädchenschule verlassen mussten. Fünftklässler spielen auf den Steinen. Ein lebendiges Mahnmal. Die Recherche- und Planungsarbeit dazu haben die Schüler selbst geleistet, Ideen für den künstlerischen Entwurf geliefert und Geld für seine Umsetzung gesammelt. Am 9. November, dem Jahrestag der Reichsprogromnacht, bilden Schüler und Lehrer eine Menschenkette durchs Haus.
Mit G8 zum Abitur, das macht die Schulzeit kürzer und die Schultage automatisch länger. „Um das Stundenpensum und die Anforderungen zu schaffen, haben die Kinder mindestens zweimal die Woche am Nachmittag Unterricht“, sagt Judith Ullrich-Borrmann, „da brauchen sie zwischendrin eine größere Mittagspause von einer Stunde.“ Das warme Essen gibt es in der großen neu erbauten Cafeteria, Entspannung unter anderen im Spieleraum oder auf dem weitläufigen Schulhof. Seilspringen, Tischtennis oder Federball – die Utensilien dazu stellt die Schule.
Vielfältige Schule
Offizieller Unterrichtsschluss ist für die Unterstufen meistens um 13.15 Uhr, doch die Jugendlichen können an fünf Tagen in der Woche bis 17 Uhr bleiben, etwa zur Hausaufgabenhilfe oder zu einem Stützkurs, in dem sie Versäumtes nacharbeiten. Vieles von dem, was am Nachmittag passiert, wie zum Beispiel Yoga, Film oder Plastikmodellbau, organisiert der Internationale Bund e.V.. Der IB ist ein freier Träger und gehört zu den großen Dienstleistern in den Bereichen der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit.
Mercedes und Ritika, beide elf, und die zwölfjährige Fatma haben sich mit ihren Eltern für den Besuch einer gebundenen Ganztagsklasse entschieden, einer sogenannten Lernzeitenklasse. Die gibt an der Bettinaschule derzeit in den Jahrgängen fünf und sechs, sie findet nach der Mittagspause statt und dauert bis 15 Uhr. Während dieser Zeit arbeiten die Kinder unter der Aufsicht von zwei Lehrern an einem Übungsplan. Oft wird die Klasse räumlich geteilt, sodass eine gezielte Förderung von leistungsstarken – oder schwachen Kindern möglich ist. Die Lernzeit ist das Projekt der Schule innerhalb des Netzwerkes Ganztagsschule. „Nur ganz selten muss ich danach noch zuhause Hausaufgaben erledigen“, freut sich Mercedes.
Den Schülern selbständiges Lernen beizubringen, ist die eine Absicht der Lernzeit, soziale Kompetenzen zu stärken, die andere. „Der, der seine Aufgaben schnell gelöst hat, kann das dem anderen erklären und festigt dabei sein Wissen“, meint Judith Ullrich-Borrmann. Gleichzeitig können die Lehrerinnen so erkennen, wer noch wo Probleme hat, um dann gezielt darauf einzugehen.
40 Prozent kommen auf das Gymnasium
„Wir erleben immer mehr, dass Kinder, die aus sogenannten bildungsfernen Elternhäusern kommen, eine gute Ausbildung möchten“, schildert die Schulleiterin ihre Erfahrungen. Anfang der 80er Jahre machten knapp 20 Prozent eines Jahrgangs Abitur, in den letzten Jahren sind es über 40 Prozent. „Dass mehr Eltern ihre Kinder aufs Gymnasium schicken, ist gut so“, sagt Judith Ullrich-Borrmannn: „Außer Liebe kann man seinen Kindern doch nichts Besseres als Bildung antun. Von Bildung hängt die eigene Mündigkeit und Selbstbestimmtheit ab.“ Mehr Kinder, mehr Unterschiede. Die Schülerschaft am Gymnasium ist heterogener, die Voraussetzungen der Kinder sind vielfältiger geworden. Eine Herausforderung, der sich die Bettinaschule gezielt stellt: „Ich glaube, es gibt keine Arbeitsstunde mehr, wo wir keine neuen Unterrichtsformen zum selbständigen Lernen ausprobieren“, erklärt Judith Ullrich-Borrmann.
Die Bettinaschule arbeitet seit 2002 ganztägig, darf sich jedoch nicht „offene Ganztagsschule“ nennen. Offiziell ist sie eine Schule mit pädagogischer Mittagsbetreuung. Damit stehen ihr auch nur entsprechend weniger Lehrerstunden zu. „Wenn das hessische Kultusministerium unseren Antrag auf Ganztagsschule bewilligen würde, hätten wir elf Stunden mehr, mit denen wir viel besser planen könnten“, sagt Ansgar Schmackert, der am Konzept einer Schule für den ganzen Tag mitarbeitet.
Diese zusätzlichen Stunden wären schon nötig, so Ansgar Schmackert, weil die Organisation des Ganztagsbetriebs an seiner Schule schwer sei. Denn Gymnasiallehrer sind stärker als etwa die einer Gesamtschule an ihre Fächer gebunden. „Das macht den Stundenplan weniger flexibel und eine Rhythmisierung problematischer“, berichtet Judith Ullrich-Borrmann.
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