Veränderte Lernkultur mit Nebenwirkungen

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DKJS/D. Ibovnik

Die neu etablierte Lernkultur bringt das Kollegium der Impulsschule Schmiedefeld an seine Grenzen. Während Eltern und Schüler immer zufriedener werden, fällt es dem Lehrerteam immer schwerer, die Entwicklung der Lernkultur voranzutreiben. Die Schulleitung und ihr Steuerteam machen Tatsachen transparent und schlagen mutig ein neues Kapitel schulinterner Qualitätsentwicklung auf.

Vor etlichen Jahren hat die Schule sich entschlossen ihre Lern- und Lehrauffassung zu hinterfragen und diese tatsächlich zu reformieren. Faktenwissen ist nicht mehr das erklärte Lernziel, dagegen Lernkompetenz und Zukunftsfreude. Die Schule hat sich dafür an „Leuchtturm-Schulen“ orientiert. Das Kollegium hat gesehen, wie leicht selbstverantwortliches Lernen aussieht, wurde „verführt“ und ist nun selbst ein Hospitationsstandort und Beispiel für gelungene Kultur ganztägigen Lernens.

Die Schüler-Anmeldungen stiegen mit der Abkehr von traditionellen und damit lehrerzentrierten Lernarrangements. Eine Umkehr aus der gewonnenen Qualität ist selbst bei Ermüdung des Kollegiums nicht mehr möglich. Den knapp 20 Lehrerinnen und Lehrer ist klar: „Wir haben erst A und dann B gesagt, nun müssen wir M – wie Motivation – sagen.“ Nach etlichen Jahren erfolgreicher Reformen wissen die Schmiedefelder Lehrerinnen und Lehrer sehr genau, welche Konsequenzen folgen, wenn man so einschneidend die Lernkultur verändert. Sie haben erkannt, dass für das selbstverantwortliche Lernen immer auch passende Indikatorensysteme der Kompetenzentwicklung entwickelt, Eltern einbezogen und passende Lernunterlagen erarbeitet werden müssen. Ein Schritt zieht den anderen nach sich und jeder Schritt ist immer wieder eine für die Kollegen unerschlossene Ebene des Pädagogisierens von Lernkompetenz und ganztägigem Lernen.

Wenn die Schule aus diesen Gründen an die Max-Brauer-Schule oder an das Institut Beatenberg reiste, dann war die Begeisterung des Gesehenen und Erlebten der Motor für immer weitere Schritte an der eigenen Schule. Jetzt wo die Schule mitten drin ist und bereits mit Erfolg Lernen umgestellt hat, fehlt Energie. Im Rahmen der Netzwerkarbeit des Programms „Ganztägig Lernen“, wil die Schule neue Energiequellen ausfindig machen.

Die Schmiedefelder Schülerinnen und Schüler wissen um die Vorteile der Veränderungen und Enno aus dem neunten Jahrgang sagt selbst, dass er hier das Lernen lernt, vor allem das „Lernen wollen“.  Das bestätigen auch Maria, Christoph und Lena. Ihr Englischunterricht beginnt mit dem Aufschlagen eigener Checklisten. Enno entscheidet täglich selbst, mit welchen Aufgaben er weiter macht. Er sitzt mit drei anderen Mädchen an einem Tisch und die Regel ist: „Unsere Lehrerin fragen wir erst, wenn wir uns gegenseitig nicht helfen können.“ Die Checkliste versteht sich wie eine „Lernoberfläche“ mit angeschlossener Lernumgebung und führt bei ehrgeiziger Umsetzung zu solidem Sprachwissen. Seine Lehrerin beschreibt er als Ansprechpartnerin. Aus dieser Perspektive verführt die Schule nun selbst andere Schulkollegien und das zu Recht.

Immer weiter dreht sich das Rad

Das „Checklisten-Lernen“ ist heute für einige Jahrgangsstufen eingeführt, muss jetzt für alle Stufen entwickelt werden. Es nicht zu tun, wäre ein Bruch in der Lernbiografie. Das würde auch dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler verdrossen in ein passiveres Lernen umsteigen müssten. Undenkbar für Sabine Schilling, die Teamleiterin für Innere Differenzierung ist. Für die Schmiedefelder Pädagogen bedeutet das eine nicht geringer werdende Arbeit. Die Erfahrungen aus dem Durchlauf des einen Jahrgangs müssen aufgegriffen und für die nächste Altersstufe erschlossen werden. Immer weiter dreht sich das Rad und dann gilt es die vorhandenen Materialien erneut zu bearbeiten und immer wieder zu verbessern. Die Lehrerinnen und Lehrer sprechen mittlerweile über zwei Kernaufgaben, die des Begleitens der Schülerinnen und Schüler und die des Einrichtens der Lernumgebung. Letztere entwickelt sich zu einer Schwerpunktaufgabe, die zu wenig zeitliche Förderung findet. Wenn auch die Aufgaben während der Lernzeit entspannter scheint, fordert die Vorbereitung alle Kräfte. Die Schule repräsentiert damit eine Situation die in Ganztagsschulen immer häufiger zu beobachten ist: Überforderung und damit einhergehende Übermüdung.

Reformen haben Nebenwirkungen

Mit der Einführung der Ganztagsschule hielt die veränderte Unterrichtsauffassung Einzug in die Schule. Der Name „ImPULS“ – Schule steht für die Bereitschaft des Kollegiums auf die veränderte Gesellschaftsbedingungen Bezug zu nehmen und die Heranwachsenden zukunftsoptimistisch aus der Schule in das Leben zu entlassen. Mittlerweile gehört die thüringische Schule zu den wenigen deutschen Schulen, die an der weltweiten OECD/CERI-Studie zum Thema „Innovative Learning Enviroments“ als Fallbeispiel ausgewählt wurden.

Günstige Rahmenbedingungen für Rhythmisierung und schülerbezogenes Lernen wurden institutionalisiert. Jedoch entbehrten Schulleitung und Kollegium der Erfahrung, des Materials und der Kenntnis für eine sich daraus ergebenen Lehrerrolle. Die Kollegen sind auf andere Lernverfahren professionalisiert und müssen seit Einführung schülerorientierter Lernkultur ihre Rolle selbst suchen. Seit Jahren ist die „Lehrerinsel“ – so benannten die Pädagogen ihr „Rückzugsrefugium“- ein Labor, und das zerrt an den Kräften. Kerstin Baumgart sucht als Schulleiterin immer wieder nach einem produktiven und dynamischen Spannungsbogen von Individualität und Kollegialität. Ihr und ihren Mitstreitern geht es um Arbeitszufriedenheit beim gesamtschulischen Veränderungsprozess und dafür starten sie ab 2011 mit einer Evaluation nach folgenden Kriterien:

  • Einschätzung zur persönlichen Arbeitsbelastung
  • Erfahrung und Einstellung zur Ganztagsrhythmisierung
  • Meinung zum schulinternen Arbeitszeitmodell
  • Grad der Eigeninitiative im Rahmen der Schulentwicklung
  • Einschätzung des persönlichen Engagements im Umsetzungsprozess der Schulentwicklungsschwerpunkte.

Die Serviceagentur Ganztägig lernen Thüringen begleitet die Schule seit 2006. Unzählige Impulse wurden durch das Kollegium verarbeitet und darum gerungen, diese für die eigene Schule und ihre Schülerinnen und Schüler zu deklinieren. Es gab und es gibt noch immer keine Routine – die Lehrerinnen und Lehrer erfinden täglich neu – was erfolgreich Begonnenes fortführt. Und das bereits seit einem halben Jahrzehnt.

Früher oder später …

Betrachtet man die bereits entwickelte und erfolgreich eingeführte Lernkultur der Impulsschule in Schmiedefeld und bewertet die Entwicklung mit einem systemischen Blick, dann scheint die Schule gerade in der Mitte zu stehen und darf hoffen, dass die stetige Qualitätsentwicklung routiniert und die Energie für eine begeisterte Lernbegleitung erhalten bleibt. Das Kerngeschäft der Pädagogen ist seit den eingeleiteten Veränderungen Lernbegleitung und das kostet im ersten Jahrzehnt Vorleistungen, die sich in den vorhandenen Ressourcen nicht ausreichend widerspiegeln. Der Eindruck, etwas falsch gemacht zu haben, verbreitet sich trotzdem nicht. Letztlich schlägt die Thüringer Schule nur ein neues Kapitel ihrer Qualitätsentwicklung auf. Wer bei „A“ wie „Aufbruch“ beginnt, wird mit Stetigkeit, Management und der Politik der kleinen Schritte zum „Z“ wie „Zufriedenheit“ ankommen – früher oder später.