„Professional learning communities“

(c) DKJS / D. Ibovnik
DKJS/D. Ibovnik

Forschungen geben wichtige Hinweise dafür, dass so genannte „professional learning communities“ besonders effektiv für schulische Entwicklung und das Lernen der Schüler sind. Trotz dieser Erkenntnisse ist das Maß an Kooperation zwischen Lehrkräften immer noch gering.

Sowohl innerhalb der Tradition der Schulpädagogik und Schulforschung als auch für die aktuellen Forschungs- und Entwicklungskonzepte zur Qualität von Schule und Unterricht spielt das Thema „Kooperation von Lehrern“ eine wichtige, und für die Gegenwart kann man vielleicht sogar sagen: eine zunehmend wichtigere Rolle. In der schulpädagogischen Tradition wurde die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Lehrern einer Schule noch vornehmlich mit der Notwendigkeit eines einheitlichen Erzieher- und Lehrerethos und durch Verweis auf die pädagogischen Vorteile einer von den Lehrern gemeinschaftlich gestalteten schulischen Bildungs- und Erfahrungswelt begründet – wobei als eine Art Gegenpol aber immer auch die Bedeutung der individuellen Lehrerpersönlichkeit für das Gelingen der Bildungsprozesse herausgestellt wurde. Die heutigen Begründungen für die Notwendigkeit der Kooperation von Lehrern stützen sich auf Ergebnisse der empirischen Forschung zur Schul- und Unterrichtsqualität: Durchweg scheint es so zu sein, dass in nachweislich guten Schulen das Ausmaß höher und vor allem: die Art der Kooperation zwischen den Lehrkräften anspruchsvoller ist als in weniger erfolgreichen Schulen. Zur Erklärung der Voraussetzungen und Effekte von beruflicher Kooperation wird dabei auf allgemeine, nicht für den Lehrerberuf spezifische Konzepte und Ergebnisse arbeits- und organisationswissenschaftlicher Forschung zurückgegriffen. Liegt also das – nunmehr offene – Geheimnis der ,guten Schule‘ in der besonderen Art der Lehrerkooperation, die dort praktiziert wird? Oder würde man damit vorschnell eine Kausalität unterstellen, obwohl doch nur ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Verteilung von Merkmalsausprägungen zweier Variablen – Schulqualität und Lehrerkooperation – erkennbar ist, deren Kovariation womöglich von einem dritten, unbekannten Faktor verursacht wird?

Die gelebte Erfahrung

Bevor dem weiter nachgegangen wird, ist auf einen Sachverhalt aufmerksam zu machen, der in traditionellen und aktuellen Arbeiten zum Thema durchgängig auftaucht: Zwar wird vielfach und immer wieder mehr oder weniger normativ-fordernd auf die Notwendigkeit von Kooperation hingewiesen, und ebenso werden ihre Vorteile und positiven Wirkungen mit empirischen Mitteln durchaus eindrucksvoll demonstriert; die gelebte Erfahrung in Schulen, die internen Berichte aus der Schulverwaltung wie auch die früheren wie aktuellen empirischen Untersuchungen zeigen aber sehr deutlich, dass diese Kooperation entweder gar nicht oder nicht im notwendigen Maße bzw. nicht in anspruchs- und wirkungsvollen Formen stattfindet. Zwar hat man sich im Bildungs- und Schulbereich an das kontinuierliche Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit fast schon gewöhnt – beim Thema Lehrerkooperation scheint die Kluft jedoch besonders groß zu sein.

Immerhin ist vielfach und ausführlich erklärt worden, warum das so ist: Aus einer bildungs- und organisationssoziologischen Perspektive wird die besondere organisatorische Struktur der einzelnen Schule mit ihrem Fachlehrer / Klassenraum / Stundenplan-System verantwortlich gemacht: Die additive, „zellulare“ Struktur der Schule als Arbeitsplatz der Lehrer und als Lernumwelt der Schüler führe zu einem zerstückelten Arbeitsablauf, in dem jeder einzelne Lehrer nur seinen individuellen Arbeitspflichten nachkomme. Die eigentlich notwendige Koordination der Elemente, der Zusammenhalt des Lernens, der Sinn und Auftrag des Ganzen werde dabei nicht mehr bedacht, sondern den dafür Zuständigen bzw. generell der Organisation überlassen.

Unterricht wie eine Privatangelegenheit

Hinzu treten die Besonderheiten des Arbeitsplatzes Klassenzimmer selbst. Wenn Unterrichten eher als eine von der Persönlichkeit getragene, praktisch-moralische Kunst betrachtet wird, bei der die Bedingungen des Gelingens sehr instabil sind und nicht allein vom Lehrer selbst kontrolliert werden können, so erscheint der Unterricht am Ende wie eine Privatangelegenheit zwischen dem Lehrer und den Schülern, die eigentlich keine Öffentlichkeit – und sei dies auch nur oder gar der hospitierende Kollege – verträgt. Wenn dann auch noch eine Fachsprache fehlt, um in personenneutraler, nicht-moralisierender und entemotionalisierter Weise konkrete berufliche Handlungsprobleme erörtern zu können, so wird damit ein weiteres Element von fehlender Professionalität in diesem Berufsbereich deutlich. Auch die Kontakte mit Eltern (Elternsprechtage, Elternabende) finden – was die Lehrer betrifft – in aller Regel „individualisiert“ statt.

Schließlich ist auf personale Dispositionen sowie auf auch daraus resultierende Elemente in der Berufskultur der Lehrerschaft zu verweisen: Möglicherweise zieht der Lehrerberuf alles in allem eher Personen an, die zwar – das zeigen die einschlägigen Motivationsstudien immer wieder – die „Arbeit mit Menschen“ (Kindern und Jugendlichen) anstreben und insofern also soziale Arbeitssituationen vorziehen, die diese Arbeit aber eher im geschützten Raum des Klassenzimmers und ohne tagtägliche, das eigene Berufshandeln konkret betreffende Abstimmungsnotwendigkeiten mit (erwachsenen) Kollegen durchführen wollen. Die hoch individualisierte Arbeit am Arbeitsplatz wird einerseits also angestrebt, ja mit nicht verschämtem Stolz zum Eigentlichen des Berufs erklärt – zugleich aber wird die unter dem Stichwort Autonomie noch verteidigte Isolation als Belastung erlebt. Indes ist dies nur eine der vielen Ambivalenzen, die typisch für die Berufskultur der Lehrerschaft sind.

Nebeneinanderherarbeiten

Damit zeichnen die vorliegenden Analysen zu den Ursachen gänzlich fehlender oder nur gering ausgeprägter Kooperation im Lehrerberuf ein relativ hermetisches Bild: Die organisatorischen Bedingungen begünstigen ein gezieltes Nebeneinanderherarbeiten, der zentrale Arbeitsplatz Klassenzimmer ist durch eine innere Prozessstruktur gekennzeichnet, die dem Unterricht eine Art von Privat-Charakter gibt, angesichts dessen jede Veröffentlichung als Bedrohung der Person erscheinen muss, und aufgrund personaler Dispositionen gehen viele Lehrkräfte nur zu gerne auf diese Rahmenbedingungen ein, bestätigen den Lehrerindividualismus und suchen Schutz in einem formalen Prinzip von Kollegialität, welches im Kern aus einem unausgesprochenen Tauschangebot besteht: Lässt du mich in Ruhe, lass ich dich auch in Ruhe. Dieses Angebot auszuschlagen gilt als unkollegial, wird negativ sanktioniert und kann zu Ausschließungsprozessen führen.

Dieses kompakte Erklärungsmuster, welches recht genau verdeutlicht, warum es das nicht gibt, was Schulen dringend brauchen, markiert jedoch zugleich wichtige Auswege: Andere organisatorische Strukturen begünstigen vielleicht Kooperation, ein anderes konzeptionelles und praktisches Herangehen an Unterricht lässt diesen zu einer öffentlich verantwortbaren Arbeit werden, sowohl einfache wie komplexe, anspruchsvolle Formen von Kooperation können u. U. als Arbeitserleichterung, vielleicht sogar als Unterstützung in schwierigen Situationen oder gar als eine völlig neue, befriedigendere Form der gesamten Arbeitsorganisation angesehen werden. Denn abweichend von dem allgemeinen immer noch dominierenden Muster geringer oder ausbleibender Kooperation gibt es durchaus Schulen, an denen Lehrer nicht nur zusammen arbeiten, sondern in denen diese Zusammenarbeit auch ein bestimmtes, anspruchsvolles Niveau erreicht. Aber unter welchen organisatorischen, situativen, fachlichen und personenbezogenen Konstellationen kooperieren Lehrkräfte? Das ist die an Forschung gerichtete, analytische Frage. Und wie lässt sich der Arbeitsplatz Schule in seinen Bedingungen und Abläufen so einrichten, dass anspruchsvolle Kooperation wahrscheinlicher wird? Das ist die auf operative Gestaltung gerichtete Frage.

Schulqualität und Lehrerkooperation

Neuere Forschungen befassen sich mit beiden Fragen, wobei die analytische, forschungsbezogene Fragehaltung allerdings deutlich im Mittelpunkt steht. Sie thematisieren z. T. den Zusammenhang von Schulqualität und Lehrerkooperation. Kristallisationskern ist dabei die sog. professionelle Lerngemeinschaft (PLG), in deren Rahmen es gelingen soll, kooperative Formen der Arbeitsgestaltung und Weiterbildung im Sinne einer höheren Qualität von Schule und Unterricht zu erreichen. Unter Verwendung adaptierter Instrumente aus der US-amerikanischen Forschung zur Lehrerkooperation wird gezeigt, dass sich hinter dem einfachen Begriff Kooperation ein in sich komplexes, binnendifferenziertes Problem verbirgt. Verschiedene Facetten des professionellen Lernens lassen sich empirisch abgrenzen; als schulische Kontextfaktoren erklären sie zumindest partiell, wie die einzelne Lehrkraft ihre Arbeitssituation erlebt. Auf Erkenntnisse der Schulentwicklungsforschung zurückgreifend, müssen neue Wege zur Verbesserung der Lehrerkooperation gegangen werden.

Analog zu den neueren Kompetenzmodellen für Schülerleistungen werden weiterhin vier Niveaustufen der Lehrerkooperation identifiziert. Die Verteilung der Schulen auf diese Stufen zeigt, dass Kooperation alles in allem nur auf den eher niedrigen Stufen eines formalen Austausches von Material und der Koordination von Abläufen stattfindet. An Gymnasien scheint weniger intensiv kooperiert zu werden als an anderen Schulformen. […]

 

Anschrift der Autoren:
Prof. Dr. Ewald Terhart, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Schulpädagogik
und Allgemeine Didaktik, Bispinghof 5/6,48143 Münster.
Prof. Dr. Eckhard Klieme, Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung,
Schlossstraße 29, 60486 Frankfurt am Main.

Datum: 6.04.2008
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