Wände wurden rausgerissen und das jahrgangsübergreifende Lernen floriert. Doch noch immer erhalten die Kinder Noten, obwohl das dem pädagogischen Grundhandeln der Berliner Hannah-Höch-Schule widerspricht. Deshalb macht sie sich auf die Suche nach anderen Instrumenten, um die Lernentwicklung der Schüler zu beschreiben.
Die Räume der Hannah-Höch-Grundschule in Berlin Reinickendorf strecken sich über mehr als 400 Quadratmeter. Möbel haben Räder. Jede Seite eines Lernraumes hat Licht. Eine Neubauschule wurde ihrem ursprünglichen Zweck, nämlich dem lehrgangsförmigen Lernen in Klassen mit Kindern gleichen Alters enthoben. Nun sind es Lernebenen und in diesen tummeln sich bis zu 75 Kinder dreier Jahrgangstufen.
Für die Kinder startet der Tag mit einem Morgenkreis. Je nachdem, ob der Einzelne gerade „Morgenkreis-Chef“ ist, haben die Kinder die Chance etwas zu zeigen. Einen besonderen Text, oder das Bild, das sie zuhause gemalt haben, oder aber eine Leistung vom Tag zuvor. Ist der Morgenkreis beendet, wechseln die Kinder in einen Lernrhythmus, der sich über Wochen- und Tagespläne strukturiert. Keine Schulglocke unterbricht die Arbeit der Kinder, die je nach ihren Möglichkeiten ihr eigenes Pensum umsetzen. Die meisten Möbel haben Magnetwände und zeigen so, was die Schülerinnen und Schüler schon geschafft haben. In den zahlreichen Ablagen sind die Zwischenergebnisse und „Kunstwerke“ archiviert. Je nachdem auf welche Weise gelernt werden soll, können die Möbel verschoben werden. Mittels dieser flexiblen Unterteilungen sind differenzierte Angebote Tagesgeschäft des 6-köpfigen Lehrerteams.
Der Tag wird durch das Mittagsband unterbrochen. Kinder aus den JüL-Gruppen müssen helfen, wenn das Bioessen angerichtet wird und die Mensa, welche eben noch für besondere Lernkonzepte von einer Lernebene mitgenutzt wurde, wird so vorbereitet, dass alle Platz für ein gemeinsames Essen finden. Während die JüL-Ebene die Heimat der Kinder ist, teilen sie sich mit allen Schülern der Schule ein Kunst- und Handwerksatelier, ein Forscherlabor, das Medienzentrum, einen Meditationsraum, die Bibliothek und Spielothek.
Arbeitsteilung zwischen Professionen
Teamaustausch unter Lehrern und Erziehern – jeweils eigene Lösungen werden gefunden
Hort und Schule sind längst verschmolzen und beide Professionen arbeiten zusammen. Beide sind für die pädagogische Betreuung der Kinder, aber vor allem für die ganz persönliche Zuwendung verantwortlich. 25 Kinder werden jeweils einem 2er-Team, bestehend aus einem Lehrer und einem Erzieher, übergeben. Jeweils drei dieser Einheiten ergeben eine Ebene. Daher gründen Lehrer wie Erzieher „Sechser-Teams“. Diese Einheiten sind das Herz der JüL-Gruppe und die pädagogische „Werkstatt“. In dieser Einheit erarbeiten die Pädagogen Instrumente für ein differenziertes Fördern und Fordern. Diese Arbeit orientiert sich an keinem Standardwerk, sondern ist Pionierarbeit.
Kinder, die an der Hannah-Höch-Schule eingeschult werden, lernen zunächst, wie sie in so weiten Räumen und mit so vielen Kindern zurechtkommen. Ein Regelwerk klärt die grundlegenden Verhaltensweisen, die Details lernen die Jüngeren von den Älteren. Dahinter steckt ein olympischer Gedanke. Je 2/3 einer Ebene freuen sich jährlich auf Neuankömmlinge. In jahrgangsübergreifenden Klassen ist das eine wichtige Schnittstelle für soziales Lernen, denn neben dem jahrgangsübergreifendem voneinander Lernen, bauen sich immer wieder neue soziale Systeme auf. In diesen bieten sich vielfältige Lerngelegenheiten. Empathie, Respekt, Hilfsbereitschaft und Verantwortungsbereitschaft werden auf diese Weise und nebenbei entwickelt.
Stabile Lerngemeinschaften
Jahrgangsübergreifendes Lernen ist an Berliner Grundschulen ein Standard geworden. An der Hannah-Höch-Schule wurden die Weichen für das gute Funktionieren der pädagogischen Konzeption zunächst auf der Raumebene geklärt. Mit dem Einzug des JüL finden sich nicht nur die Kinder in stabilen Gemeinschaften wieder, sondern auch deren Lehrer. Das Konzept, dass Kinder in einer Ebene jahrgangsübergreifend lernen und dadurch drei Klassen zu einer Gemeinschaft verschmelzen, machte Raumwechsel undenkbar. Jede JüL-Ebene ist eine kleine Schule für sich. Lediglich das „Herauswachsen“ aus einer JüL verschafft dem einzelnen Kind eine neue soziale Erfahrung. Der Wechsel in die neue Ebene ist ein Vorgeschmack auf weitere Übergänge im Leben.
Neben der äußeren Differenzierung stehen die Lehrer von Zeit zu Zeit der Herausforderung gegenüber, JüL-Gruppen übergreifende Projekte umzusetzen. Beispielsweise wird die Schule regelmäßig „verkleidet“. Das letzte Thema folgte dem Schaffenswerk der Dadaistin Hannah Höch. Streifen dann Eltern und Gäste durch die Schule, erleben sie eine von den Kindern aller Ebenen gedachten Themenwelt, die sich bis in die gemeinsam genutzte Bibliothek, Bewegungsräume und in die Mensa zieht. Für diese herausfordernden Projekte arbeiten alle Lehrer der Schule nicht erst seit heute im Team und haben Lösungen für eine fruchtbare Zusammenarbeit gefunden.
Vereinheitlichung des pädagogischen Handelns
Jetzt geht es um die Entdeckung eines Wegesystems, um Regularien, Konzeptionen und Strategien reibungslos zu verteilen. Erfolgreiche Konzepte und Arrangements für die Orientierung des Lernens innerhalb der JüL – Teams sind nicht „von der Stange“. Kluge Lösungen sind schulbezogene Originale und damit „eigene Schätze“. Die Schule sucht im Rahmen der Netzwerkarbeit alltagstaugliche Wege, um Wissen innerhalb der Schule zu teilen und bestenfalls zu übertragen.
Leistungsbewertung an selbständige Lernkultur anpassen
Die Schule möchte sich auf notenferne Instrumente zur Beschreibung von Lernentwicklung verständigen. Dazu zählen die Dokumentation von Lernstand und -zuwachs und deren Rückmeldung zu Schülerinnen und Schülern sowie Eltern. Darauf aufbauend könnten Eltern, Schüler und ihre Lehrer weitere Lernwege diskutieren. Die Noten werden auf diese Weise durch andere Darstellungsweisen ergänzt, wenn nicht sogar ersetzt.