Mit der Beteiligung an einem Modellversuch wurde die Mittelschule Beilrode quasi über Nacht zur Schule mit ganztägigem Angebot, erhielt zusätzliche Lehrerstunden und unzählige neue Angebote. Nach Auslaufen des Versuchs muss die Schule wieder mit knappen Ressourcen auskommen und ihren Schulalltag erneut umstellen – mit Hilfe der Schüler.
„Wir besprechen Dinge, die wir verändern wollen“, so beschreibt Franz (6.Klasse) seine Aufgaben als Schülersprecher. Die treffen sich regelmäßig und haben unter anderem bewirkt, dass es auch mal einen „Jogging-Hosen-Tag“ gibt. Das sorgt für gute Laune. „Wir freuen uns auf Schule“, so Denny (6. Klasse), der ebenfalls im Schülerrat eingebunden ist. Partizipation hat an der Schule in Beilrode Tradition. Auf der Basis der etablierten Mitsprache entstand für Schulleiterin Silke Dartsch die Idee des „gemeinsamen pädagogischen Teamtages“, mit dem eine Inventur des Schulalltags mit Beteiligung der Schüler stattfinden konnte. Die Erfahrungen reflektieren sie und ihr Team im Rahmen der Netzwerkarbeit des Programms Ideen für mehr! Ganztägig lernen. der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung.
Rückbau von Ressourcen ausgehalten
Die Mittelschule blickt auf eine ungewöhnliche Vergangenheit zurück. Der Modellversuch „Sächsische Schule mit Ganztagsangeboten / Ganztagsschule“ versorgte die Schule mit vielen zusätzlichen Lehrerstunden. Die Angebote schossen wie Pilze aus der Stundentafel und verschafften sich mehr oder weniger „ungefragt“ im Schulalltag Platz. Keiner der damals an der Schule eingesetzten Lehrerinnen und Lehrer konnte sich auf didaktische Erfahrungen mit der Ganztagsschule berufen und einige waren verängstigt wegen der pädagogischen Herausforderungen. Eine Situation wie diese erleben die wenigsten Schulen dieses Landes. 2008, mit Beendigung des Modellversuches schmolzen die Ressourcen auf ein knappes Viertel zusammen. Jetzt stehen für die Arbeit im Ganztag 22 Stunden zur Verfügung.
Im Rahmen der Modellarbeit widmeten sich die Lehrerinnen und Lehrer der neuen Unterrichtsgestaltung, die mit der Rhythmisierung einher ging. Lehr- und Lernkultur wurden nach den neu eingerichteten Zeitumfängen und auf eine zweckmäßige Verknüpfung von systematischen Fachunterricht und von Unterrichtsthemen mit projektartigen Bildungsangeboten in den verschiedensten Bereichen wie Kultur, Sport, Wirtschaft, Technik und Gesellschaft und auf Formen der vernetzten Zusammenarbeit mit anderen Partnern ausgerichtet. Damit hatte die Schule sehr früh die Chance, eine Gesamtphilosophie für ihren ganztägigen Alltag zu entwickeln und das mit wissenschaftlicher Begleitung. Das Einschmelzen des Zeitbudgets veränderte den Ganztagsbetrieb erneut und „über Nacht“. Was bis dahin entwickelt worden war, stand wieder auf dem Prüfstand. Schulleiterin Silke Dartsch wollte alle an Schule Beteiligten einbeziehen, als es um eine Inventur des Schulalltags ging.
Veränderung auf breite Schultern gestellt
Unter dem Motto „Ein Tag – ein Team“ trafen sich Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrerinnen und Lehrer, um zu beraten, wie der Ganztag „was bringt“. Dabei ging es um die Diskussion: „Was soll erhalten bleiben, wovon sollten wir uns verabschieden, was muss neu erfinden werden.“ Als Schulleiterin verstand sie diesen Tag als ein „Projekt“, eine Neuerfindung und einen Meilenstein auf ihrem Weg zu einer professionellen Schulleiterin. Seit einem Jahr ist sie im Amt. Der „Teamtag“ war Teil ihres Managements. Was an diesem Tag resümiert und beschlossen wurde, startete bereits mit Beginn des Schuljahres 2011/2012. Veränderung mit Schülerbeteiligung. „Ehrlicher geht es nicht. Die Ergebnisse sind interessant“, resümiert sie.
Freiwilliges Training
Die Trainingsstunden sind seitdem nicht mehr obligatorisch, sondern Option für diejenigen, die Förderung brauchen. Entweder entscheiden sich die Jugendlichen mitzumachen, um aufzuholen, oder sie probieren, es aus eigener Kraft zu schaffen. Sie haben dann frei, gehen oder fahren nach Hause. Sinken die Leistungen in „gefährliche Bereiche“, wird der Betroffene überzeugt, einem Förderplan zu folgen. Die Maßnahmen, die gemeinsam mit Eltern und Schülerinnen und Schüler verabredet wurden, werden unter anderem in den Lern- und Arbeitszeitstunden umgesetzt. Ein Lernvertrag beschreibt die Ziele und Schritte auf dem Weg „zur Besserung“. Eine Beratungslehrerin orientiert sich an den Leistungen der Jugendlichen und unterstützt dann zusätzlich die Klassenlehrer bei ihrer Förderplanung. Schülerinnen und Schüler von der 5. – 8. Klassen können sich auf diese Fürsorge verlassen. In Klasse 9 und 10 werden die Jugendlichen als „selbstverantwortlich“ gesehen. Die Lern- und Arbeitszeitstunden verstehen sich als Chance. Mit dem Zitat „Wenn Ihr uns braucht, wir sind für euch da!“, beschreibt Silke Dartsch ihre und die Verantwortung ihrer Kollegen.
Fachunterricht am Vormittag
Fachunterricht möchten die Mittelschülerinnen und Mittelschüler am Vormittag haben. Physik war noch vor kurzem in der 7. und 8. Stunde platziert. Den Lernenden fehlte die Konzentration und Motivation. Mit den Verabredungen des Teamtages findet man Fachunterricht am Vormittag. Der Kinderschutzbund und die Sozialpädagogin Antje Schmidt haben an der Schule seit Jahren eine feste Adresse. Deren eigene Räume sind behaglich und laden die Kinder ein, um zu entspannen, sich je nach Interesse an den Offerten, wie z.B. „Irischer Formationstanz“ und anderen Angeboten zu beteiligen. Häufig bieten diese Räume auch den Ersatz für häusliche Wärme. Mit fröhlichen Möbeln und warmen Farben finden die Kinder Ruhe und Geborgenheit.
Schule mit Orchester
Die Mittelschule Beilrode hat ein kleines Orchester. Die Musikschule Torgau entsendet für die einzelnen Instrumentdisziplinen einen Musiklehrer. Finanziert werden diese aus der Kasse der Ganztagsförderung. Das Orchester versteht sich als „Aushängeschild“ der Mittelschule mit Ganztagskonzept.
Die Mittelschule wird täglich von Kindern aus 37 umliegenden Orten besucht. Als mittlerweile „Schule mit Ganztagsangeboten“ hat sich die Schule vom dreitägigen vollgebundenen Ganztag wieder verabschiedet. Und auch wieder verabschieden müssen, nicht nur wegen der stark reduzierten zusätzlichen Lehrerstunden. In einem Flächenland muss auch die Zeit im Schulbus mitgerechnet werden. Kinder, die an der Schule dann kein Angebot für ihre Begabungen und Interessen finden, würden die Schule nicht besuchen, denn die Zeit wäre nicht vorhanden. Die nahe gelegen Stadt Torgau kompensiert mit städtischen Einrichtungen die Förderarbeit. Die dort ansässigen Institute können interessierte Schüler aus unterschiedlichen Schulen sammeln und finanzieren sich durch Elternzuschüsse. Die Lücken, die Kinder brauchen, um die außerschulischen Möglichkeiten zu nutzen, bietet der umgestellte und seit dem teilgebundene Schulalltag. Die Eltern und Kinder sind zufrieden.
Datum: 27.09.2011
© www.ganztaegig-lernen.de