Gelingende Schulentwicklung

 

 

 

Eindrücke einer Studienreise nach Finnland

 

Der Fokus lag auf dem finnischen Schulsystem. Während der vor allem durch PISA ausgelösten deutschen Bildungsdiskussion wurde immer wieder nach Finnland geschaut: Weshalb hatte das skandinavische Land bei PISA so gut abgeschnitten? Welches sind die zentralen Gelingensbedingungen für ein erfolgreiches Schulsystem?

Doch zunächst stellt sich die Frage, ob sich das deutsche und finnische Schulsystem überhaupt so leicht vergleichen lassen. Im Gegensatz zum deutschen dreigliedrigen Schulsystem und seinen föderalistischen Unterschieden hat Finnland bereits in den 1970er Jahren flächendeckend die Gemeinschaftsschule eingeführt. Auch die Steuerung ist eine andere: Es gibt eine staatliche Einrichtung, das Zentralamt für Unterrichtswesen, das Rahmenlehrpläne erarbeitet. Die konkrete Ausgestaltung der Schule sowie der Lehrpläne liegt hingegen bei den Kommunen und den Schulen selbst.

Eltern sind zentrale Partner

Besonders fruchtbar war vor allem der direkte Einblick in den Schulalltag, um den Erfolg des finnischen Schul- und Bildungssystems zu verstehen. Die Teilnehmenden spürten sofort einen klar wertschätzenden Umgang miteinander – in einem Maße, wie er an deutschen Schulen leider häufig noch vergeblich gesucht wird. Die Lehrkräfte sind für ihre Schülerinnen und Schüler da und die Eltern sind zentrale Partner für ihre Kinder wie für das pädagogische Personal an der Schule. In den Schulen bestimmen heterogene Lerngruppen den Alltag. All diese Ansätze und Maßnahmen zielen darauf, dass die Schülerinnen und Schüler tatsächlich gleiche Bildungschancen erhalten.

Hat man die Gelegenheit, im Unterricht zu hospitieren, so trifft man häufig auf den in Deutschland in die Kritik geratenen Frontalunterricht. Doch wäre es verkürzt, nur die Methode als solche zu beurteilen, denn wichtig ist vor allem der praktische Umgang mit ihr. In Finnland werden im Frontalunterricht die Lernwege der Lernenden in den Mittelpunkt gestellt und besprochen. Ein Fokus liegt auch auf der Vermittlung von Lern- und Arbeitstechniken. Es wird deutlich, dass Lernen als aktiver und zielorientierter Prozess mit eigenständiger und gemeinsamer Problemlösung gesehen wird. Zum Erfolg trägt sicher auch bei, dass finnische Lehrerinnen und Lehrer keine Einzelkämpfer sind. Vielmehr können sie sich mit Sonderpädagogen oder Assistenten beraten, wenn ein Kind besondere Hilfe benötigt. Überhaupt existiert ein sehr umfangreiches System der Schülerfürsorge. Finnische Kinder und Jugendliche haben ganz ähnliche soziale und persönliche Probleme wie ihre deutschen Altersgenossen, aber sie erfahren viel Unterstützung und laufen nicht Gefahr als „systemstörend“ stigmatisiert zu werden. Schulsozialarbeiter/innen, Beratungslehrer/innen, eine Schulkrankenschwester, ein Schulpsychologe, sie alle gehören zu einem finnischen Schulkollegium ganz selbstverständlich dazu.

Transfer in die Praxis

Nachdem eine Delegation aus der Regionale Schule „Ernst-Moritz-Arndt“ in Greifswald inFinnland war, beschloss diese die übertragbaren Erfahrungen des finnischen Schulsystems aufzugreifen und in den eigenen Schulalltag zu integrieren. Die Diskussionsergebnisse führten auf Beschluss der Steuergruppe zu einer Veränderung des Leitbildes im Schulprogramm und zu einem Förderplan, der im Dezember 2008 im Elternblatt der Schule veröffentlicht wurde.

Das Lehrerkollegium in Greifswald diskutierte nach der Studienreise Erfahrungen zu den Themen

  • Schülerfürsorge
  • individuelles lernen und fördern
  • öffentliche Bibliotheken

und beschloss an den folgenden Schwerpunkten zu arbeiten:

  • mehr Aufmerksamkeit des einzelnen Lehrers auf individualisiertes Lernen im
    Unterricht lenken
  • unserem pädagogischen Ethos schärfere Konturen verleihen: helfen, so viel und so gut
    man kann, um kein Kind zurückzulassen, stärker auf die Entwicklungsfähigkeit der
    Kinder vertrauen, den Kindern ein Recht auf Hilfe gewähren
  • den Förderunterricht auf der Grundlage der vielen erhobenen Daten optimieren ( aus
    Vergleichsarbeiten, Ist-Standserhebungen, Diagnoseberichten, Prüfungsergebnissen,
    Evaluationen u. a.) und Fortbildungen mit den Sonderpädagogen durchführen
  • interne Schülerfürsorge installieren, Treffs vereinbaren zwischen der Schulleitung, den
    Schulsozialarbeitern, dem Sozialpädagogischen Dienst des Jugendamtes, der
    Schulberatungslehrerin
  • Essenversorgung und Mittagspause als Tagesmittelpunkt zelebrieren
  • das Potenzial der Stadtbibliothek noch besser zur Leseförderung nutzen.

Man gibt sich nicht zufrieden mit dem Erreichten…

Obgleich die Investitionen für Bildung in Finnland höher sind als in Deutschland, hört man vielerorts, dass die Personalausstattung besser, die Schulbudgets größer sein könnten. So teilen sich beispielsweise oft mehrere Schulen eine Schulkrankenschwester und beklagen, sie sei deshalb für die Schülerinnen und Schüler nicht gut erreichbar. Man gibt sich nicht zufrieden mit dem Erreichten, die Finnen ruhen sich nicht auf ihren Erfolgen aus. Ebenso wie die Lehrkräfte bereits in der Ausbildung lernen, ihre eigene Arbeit immer wieder kritisch zu hinterfragen und sich selbst zu „evaluieren“, werden auch die Vertreter kommunaler und staatlicher Behörden nicht müde zu fragen, wie das System weiter verbessert werden kann. Am Ende der eindrucksvollen Reise stand für alle Teilnehmenden fest: Um den Erfolg des finnischen Schulsystems zu verstehen, reicht es nicht, Fachliteratur zu Rate zu ziehen. Vielmehr ist es die gelebte Haltung der Pädagoginnen und Pädagogen, von der man so vieles lernen kann.

Datum: 17.05.2009
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