Coaching im Kontext von Schule und Schulentwicklung

(c) DKJS / D. Ibovnik
DKJS/D. Ibovnik

Viele Maßnahmen, die im Zuge der Reformen in den Schulen mit dem Ziel der Qualitätssteigerung eingeführt werden, sind zudem mit zusätzlichen Arbeitsbelastungen für dieLehrkräfte und das Verwaltungspersonal verbunden. Ganztagsschulen müssen im Reformprozess meist auf allen Ebenen eine umfangreichere Entwicklung leisten als Regelschulen. Denn Ganztagsschulen agieren oft in einem breiten Umfeld vorhandener und potenzieller Kooperationspartner, sie sind mit veränderten Erwartungen seitens der kommunalen Politik und Verwaltung konfrontiert und haben steigende Anforderungen der Schülerinnen und Schüler an individuelle Förderung zu erfüllen. Aus all diesen Herausforderungen ergibt sich ein erhöhter Bedarf an Unterstützung, damit die Schulentwicklung möglichst effektiv gestaltet werden kann.

Ganztagsschulen erleben gegenwärtig eine Vielzahl an schulinternen und gesellschaftlichen Prozessen, die mit anspruchsvollen Aufgaben verbunden sind: Sie müssen stärker auf Personen undGruppen eingehen, den Einzelnen mehr Raum für persönliche Entwicklung geben, sich für neue Formen der Zusammenarbeit öffnen bzw. neue Kooperationen beginnen oder bestehende Kooperationen mit externen Partnern ausbauen. Innerhalb der Schule können und sollen auch neue Möglichkeiten effektiver Partizipation erprobt werden. Die skizzierten Prozesse erfordern von allen Beteiligten eine große Portion Offenheit, den Mut, die Perspektive zu wechseln, aber auch neue Kompetenzen sowie eine intensive Kommunikation über Strukturen und Hierarchieebenen hinweg. Coaching bietet sich als geeignetes Instrument an, um die Institutionen und beteiligten Personen in diesem Entwicklungsprozess wirksam zu unterstützen.

Eine Grundannahme von Coaching ist, dass die Ideen und größtenteils auch die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zum Lösen von Problemen und zum Bestehen von Herausforderungen gebraucht werden, bereits in den Personen selbst vorhanden sind. Methodisch wirkt sich das so aus, dass Coaching die Lösungen nicht von außen einbringt, sondern den Beteiligten dazu verhilft, eigene Lösungsansätze zu finden und gezielt umzusetzen. Diese Haltung entspricht dem Grundprinzip der Hilfe zur Selbsthilfe, das die nachhaltige Veränderung hin zu einer flexiblen und innovativen Schule unterstützen kann.

Die Ansicht, dass das Bildungssystem in Deutschland grundlegend verändert werden muss, ist gesellschaftlicher Konsens. Es vergeht kaum eine Woche, in der Bildungspolitiker nicht neue Reformansätze ankündigen oder Missstände im Bildungssystem angeprangert werden. Auch der UN Sonderbeauftragte Professor Vernor Muñoz mahnte im März dieses Jahres in seinem Bericht über die Bildungslandschaft in Deutschland die Notwendigkeit struktureller und mentaler Veränderungen an. Inzwischen hat ein Reformprozess eingesetzt, der die Schulen mit einer Vielzahl von Anforderungen und Wünschen konfrontiert.

… weniger eigene Energie und Zeit

In den unterschiedlichsten Handlungsfeldern haben bereits beträchtliche Veränderungen stattgefunden – von der Schulstruktur über die Lehrerausbildung bis hin zu veränderten Aufgaben und erweiterten Handlungsspielräumen der Schulleitung. In den meisten Fällen werden diese Veränderungen politisch oder administrativ verordnet, nur selten sind sie Folge des Engagements lokaler Initiativen oder werden aufgrund der konkreten Bedürfnisse einer einzelnen Schule und ihres Umfelds entwickelt und umgesetzt.
Für alle an Schulentwicklung beteiligten Personen wird die Beratungsform Coaching zunehmend relevanter und attraktiver, da hier das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu besonders nachhaltigen und individuellen Lösungen führen kann. Beim Einsatz von Coaching als Instrument in der Schulentwicklung kann grundlegend zwischen zwei Ansätzen unterschieden werden:

  1. Personenzentriertes Coaching, welches einzelne Personen innerhalb der Schulstruktur dazu befähigt, Entwicklungsprozesse zu initiieren und zu koordinieren,
  2. Strukturelles Coaching, welches den organisatorischen und mentalen Wandlungsprozess
    aller an Schule Beteiligten unterstützt und zusammenführt.

Da diese Ansätze einen unterschiedlichen Wirkungsbereich haben, hängt es stets von der konkreten Situation und den beteiligten Personen ab, welcher Ansatz besser geeignet ist oder ob sogar beide Ansätze parallel eingesetzt werden sollten. Eine allgemeine Empfehlung kann es in dieser Hinsicht nicht geben.Mit der Entscheidung, Coaching in der Schulentwicklung einzusetzen, ist in der Regel auch der Wille verbunden, eine externe Person einzubinden. Wesentliche Gründe hierfür sind die zu erwartende Objektivität und Neutralität dieser Person sowie deren Erfahrung und Professionalität in Bezug auf Schulentwicklung und Prozessgestaltung. Das Hinzuziehen einer externen Person erscheint aber auch deshalb sinnvoll, weil die verfügbaren Ressourcen einer Schule dadurch besser genutzt werden können. Die Schule muss dadurch intern weniger eigene Energie und Zeit für Koordinierung und Moderation aufwenden und kann ihre begrenzten Ressourcen stattdessen in den inhaltlichen Gestaltungsprozess einfließen lassen.

Wege und neue Chancen aufzeigen

Ein weiterer wichtiger Grund für die Einbindung eines externen Coaches kann sein, dass man sich angesichts großer Herausforderungen unsicher ist, ob man diese ohne weitereUnterstützung und in der notwendigen Weise wird meistern können. Zwei Beispiele, in welchen Fällen Coaching hilfreich sein könnte: Ein Schulleiter möchte Veränderungen auf den Weg bringen, weiß aber nicht, wie er am besten vorgehen sollte. Ein Lehrer findet im Alltag keinen Weg, mit den Schülern kooperativ und auf gleicher Augenhöhe zu arbeiten. In beiden Fällen könnte Coaching geeignete Wege und neue Chancen aufzeigen. Coaching kann aber auch dazu genutzt werden, die Schulentwicklung auf eine breite Basis zu stellen und alle an Schule Beteiligten gleichermaßen verantwortlich einzubinden.

Durch eine solche Integration kann auch eine stärkere, da gemeinsame Verbindlichkeit aller Beteiligten gegenüber einem externen Coach erreicht werden. Indem die Beteiligten ihre Tätigkeiten und Erfahrungen nicht nur vor sich selbst, sondern auch gegenüber dem Coach darlegen, wird die Selbstwahrnehmung unterstützt und das Bewusstsein gestärkt, dass die gesetzten Ziele nur in Interaktion und Kooperation erreicht werden können. So kann Coaching auch zu einer Selbstdisziplinierung innerhalb von Gruppen führen.Grundsätzlich ist bei der Schulentwicklung die Einbindung eines externen Coaches vorzuziehen, da eine interne Lösung mit erheblichen Problemen verbunden ist.

Nur für begrenzte Bereiche …

So ist Coaching – entgegen einer weit verbreiteten Annahme – als Führungsinstrument der Schulleitung nicht geeignet. In einem solchen Rahmen wären der Offenheit in der Beziehung zwischen Schulleiter/in und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern klare Grenzen gesetzt, zum Beispiel bei der Besprechung persönlicher Anliegen oder wenn die Schulleitung aufgrund ihrer Fürsorgepflicht dazu gezwungen ist, Folgemaßnahmen einzuleiten. Auch ist nur schwer vorstellbar, dass ein Schulleiter oder eine Schulleiterin bei der späteren Bewertung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen nicht auch auf Erfahrungen aus dem Coaching-Prozess zurückgreift. Eine ähnlich problematische Konstellation entsteht in Coaching-Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden, so dass auch diese Form des Coaching nicht geeignet ist. Nur für begrenzte Bereiche ist es sinnvoll, einen internen Coach aus der Mitte der Schulgemeinschaft einzubeziehen. Voraussetzung ist dabei, dass diese Person anerkannt ist und bereits ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen den Beteiligten besteht. Denkbar wäre zum Beispiel der Einsatz von Coaching-Methoden bei Mitarbeitergesprächen oder in der Beziehung zwischen einem Schüler und einem Vertrauenslehrer, der nicht direkt an der Bewertung dieses Schülers beteiligt ist. Interne Lösungen sind aber mit zusätzlichen Komplikationen verbunden und sollten deshalb nur in Ausnahmefällen und mit Bedacht eingesetzt werden.

Grenzen des Coaching

Selbstverständlich ist Coaching kein Allheilmittel. So lassen sich bestimmte, im Schulkontext entstandene Phänomene nicht durch Coaching lösen, insbesondere persönliche Anliegen und verborgene Störungen. Auch die Überwindung von Suchtphänomenen und Krankheiten sind eindeutige Beispiele für Anliegen, die den Wirkungsbereich von Coaching überschreiten. Solche Symptome sind eher im Rahmen einer Psychotherapie oder ärztlich zu behandeln. Das Gleiche gilt, wenn der Coachee Ideen entwickelt, die nicht mehr nachvollziehbar an die durch andere Personen wahrnehmbare Realität gekoppelt sind und diese Vorstellungen hartnäckig verfolgt.

In diesem Fall ist Coaching natürlich nicht mehr die adäquate Beratungsform. Der Coach
sollte das Coaching dann sofort beenden und den Coachee dabei unterstützen, eine passende
Hilfsinstanz zu finden. Auch „objektive“ Probleme im schulischen Kontext, wie zum Beispiel Ressourcenmangel oder sinkende Schülerzahlen, sind nicht durch Coaching zu lösen. Zumindest ist Coaching in diesen Fällen nicht zur Umsteuerung auf der operativen Ebene geeignet. Ein Coach kann die betroffenen Personengruppen aber durchaus dabei unterstützen, sich auf diese Veränderungen einzustellen oder ihnen auf eine andere Art und Weise zu begegnen.

Eine Ausweitung und Umwandlung des Coaching-Prozesses in eine dauerhafte Einrichtung ist grundsätzlich nicht erstrebenswert, auch dann nicht, wenn die Beziehung zwischen Coach und Coachee sehr harmonisch verläuft und der Coachee bei einem oder mehreren Anliegen erfolgreich unterstützt wurde. Vielmehr ist während des gesamten Coaching-Prozesses darauf zu achten, dass in den Denkmustern der Beteiligten eine dauerhafte Veränderung implementiert und damit eine nachhaltige Befähigung zur Selbsthilfe erreicht wird.

 

 

COACHING IM KONTEXT VON SCHULE UND SCHULENTWICKLUNG
EINE ARBEITSHILFE ZUR BERATUNGSFORM COACHING
Jörg Reschke
Mit Gastbeiträgen von Christian Kranich, Heidrun Vössing und Beate Dapper
ISBN 987-3-9811265-3-2

Die vorliegende Arbeitshilfe „Coaching im Kontext von Schule und Schulentwicklung“ soll Ausgangspunkt
sein, die Methoden des Coaching und deren Einsatzpotenziale in der Ganztagsschule näher zu betrachten und verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung aufzuzeigen. Im Mittelpunkt stehen drei Ziele:

  1. Es soll ein Grundverständnis davon vermittelt werden, was Coaching grundsätzlich bedeutet
    und wie es im Einzelnen funktioniert.
  2. Alle an Schule Beteiligten sollen für Situationen sensibilisiert werden, in denen Coaching
    bei der Schulentwicklung unterstützend wirken kann.
  3. Es soll über Coaching und die vielfältigen Möglichkeiten seiner Anwendung informiert werden,
    um dazu beizutragen, dass diese Beratungsform als zielorientierte Unterstützung bei
    der Schulentwicklung verstärkt eingesetzt wird.

Datum: 5.10.2007
© www.ganztaegig-lernen.de

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