Warum sollen Schulen sich wandeln?
Da jede Schule von individuellen Rahmenbedingungen abhängig ist, sind die Veränderungsprozesse nur bedingt zu generalisieren. Jede Schule muss selbst an den Stellschrauben drehen, um geeignete Reformstrategien zu entwickeln.
Die Anforderungen an die Schulabgänger zwingen Schulen immer wieder, ihre Lern- und Lehrpraxis zu hinterfragen. Die rasanten Veränderungen in der Berufswelt und die globalen Herausforderungen werden Jugendliche mit Stärkebewusstsein und Strategiewissen sicher besser bewältigen als Schulabgänger mit reinem Fachwissen, was mittlerweise unter der Bezeichnung „träges Wissen“ rangiert. „Das, was die Menschheit über die Dinge weiß, trage ich in meiner Tasche herum“, so meint ein Jugendlicher und zeigt auf sein internetfähiges Handy. Wenn dem so ist, dann steht die Schule vor der Herausforderung, Handlungs- und Orientierungswissen zu vermitteln, denn das ist nicht über Wikipedia abzurufen. Wissen über Handeln setzt dann aber auch ein „Selbstwissen“ voraus. Das bedeutet, Selbst- und Sozialkompetenz müssen ebenso entwickelt werden.
Warum passen diese Überlegungen in die Ganztagsschule?
Weil lebendiger Unterricht immer wichtiger wird, und mit diesem verändern sich Lernerträge. Lernen durch Handeln heißt Lernen mit allen Sinnen und in Teams, selbstständig und in abwechslungsreichen Lernumgebungen, mit vielfältigen Medienangeboten. Das ist ein Gegenwurf zum lehrgangsförmigen Lernen, und immer häufiger wird klar, dass die Ganztagsschule die Lernkultur verändern muss. Doch der Reformwille ist ein zartes Pflänzchen.
Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich?
Das sind die großen Fragen, auf die die Heranwachsenden nicht nur in der eigenen Freizeit Antworten finden müssen. Die Lehr- und Lernkultur muss dafür keine neuen didaktischen Konzepte denken. Es gibt sie bereits. Es kommt nur darauf an, dass die Rahmenbedingungen der eigenen Schule auf diese Konzepte bezogen werden. Auf der Personalebene geht es um die Rolle als Lernbegleiter und auf der Organisationsebene um flexible Zeit- und Raummodelle.
Die Ganztagsschulen rangieren derzeit zwischen offen und gebunden organisiertem Ganztag. Der offene Ganztag gilt noch immer als „Mogelpackung“, vor allem deshalb, weil die Verzahnung von Vor- und Nachmittag noch dem meist zufälligen und damit unsystematischen Engagement einzelner Lehrkräfte überlassen wird. Würde man die Akteure einer offenen Ganztagsschule an einen Tisch setzen, wären „Verzahnungen“ einfacher zu finden als viele derzeit glauben. In Schleswig-Holstein wird darüber sehr intensiv nachgedacht. Lehrgangsförmiges Lernen im Fachunterricht erhält „Praxisphasen“ am Nachmittag. Damit wird nach einem Projektmodell, wie es Woodward entwickelte, der Ganztag organisiert. Voraussetzung ist, dass es einen „Fahrplan“ gibt. Diesen haben Fachlehrer und Angebotsbetreuer gemeinsam besprochen. Was sich eben so leicht liest, beruht auf Prozessen, die in der Wirtschaft unter „Change Management“ zusammengefasst werden. Schulen können sich entscheiden, einen professionellen Moderator in die Schule zu holen oder aber an einer „Ecke“ ihres offen organisierten Ganztags einen Piloten zu starten und „einfach loszulegen“. Die so organisierte „Reformbaustelle“ sollte gut beobachtet werden. Alle Fragen, die sich ergeben, sind „Energizer“ für eine Veränderung.
Wie sieht ein konkretes Beispiel aus?
An die Verbraucherlehre im Vormittag wird die „AG Kochen und Backen“ gekoppelt. Der dafür entwickelte Lehrplan verbindet obligatorische Unterrichts- mit optionaler Angebotszeit. Dadurch erweitert sich der Handlungsspielraum zum selbstständigen Lernen.
An der Grund- und Gemeinschaftsschule in Boostedt wählen etliche Schüler schon seit Jahren das Vorläufermodell „Kochen und Backen“ am Nachmittag. In bunten Schürzen lernen Schüler generell die Vorteile von Schnellkochtöpfen und anderen Garungsinstrumenten kennen, die Zutaten beschaffen sie selbst aus dem benachbarten Supermarkt. Die amtliche Aufnahme des Faches in den allgemeinbildenden Fächerkanon soll nun alle Schüler über eine bewusste Verbraucherhaltung aufklären. Dabei besteht aber wie immer die Gefahr, dass Inhalte wegen ihrer Theorielastigkeit an den Interessen der Schüler vorbeigehen. So etwas passiert schnell, wenn ein Theoriefach im Vormittag steckt und experimentierendes, mindestens aber praktisches Handeln vernachlässigt wird.
Aus diesem Grunde soll die der Verbraucherlehre nahestehende AG „Kochen und Backen“ mit dem Fach verschmelzen. Theorie- und Praxislernen kommen mit diesem Ansatz in ein Gleichgewicht. Mit der Konzeption wird der vorgeschriebene zweistündige Fachunterricht mit optionalen Stunden des Ganztags sinnvoll aufgestockt. Ein Weblog bezieht die Schüler bei der Bewältigung des Übergangs zwischen zuvor getrenntem Fachunterricht und offener Ganztags-AG mit ein. Mit der Kombination von Pflichtfach und AG verdoppelt sich die Zeit für einen Lerngegenstand, in mindestens der Hälfte dieser Zeit arbeiten die Kinder praktisch und eigenverantwortlich. Dieser Ansatz soll „Schule machen“ und schon im nächsten Jahr Ausgangspunkt für weitere Überlegungen zu einem vielleicht teilgebundenen Ganztag sein.
Fazit
Mittlerweile gibt es etliche Einblicke in Reformprozesse, die in der Summe zu generalisieren sind. Wandel beruht auf der Bereitschaft, gemeinsam zu konzeptionieren. Als Praxisinnovation wird dieser zur „Chefsache“ und auf Personal- und Organisationsebene reflektiert. Die Erfahrungen werden systematisiert und in den Alltag „umgetopft“.
Datum:
19.05.2010
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