Die rasante digitale Entwicklung verändert das Lernen und Lehren grundlegend. Es herrscht weitgehend Einigkeit, dass Schülerinnen und Schüler digitale Kompetenzen brauchen und dass der Einsatz digitaler Technologie große Potenziale birgt. Dabei rücken Stichworte wie informatorische Grundbildung, Medienkompetenz oder kreatives Gestalten in den Fokus. Doch was müssen Kinder und Jugendliche in der Ganztagsschule vor allem lernen, um an der digitalisierten Welt teilzuhaben? Tablet-Klassen, „Bring your own device“ und Lernmanagement-Systeme: Welche Konzepte wirken und bringen Schülerinnen und Schüler tatsächlich voran? Und wie lässt sich der Medieneinsatz in Unterricht und Ganztagsangeboten gezielt planen?
Prof. Dr. Stefan Aufenanger lehrt Erziehungswissenschaft und Medienpädagogik an der Universität Mainz. Einen besonderen Arbeitsschwerpunkt bildet dabei das Thema „Lehren und Lernen mit digitalen Medien“.
„Wir stehen noch am Anfang der digitalen Revolution“, lautete Stefan Aufenangers These. Es sei die Aufgabe des Bildungssystems, in diesem Kontext Orientierung zu geben. Worum es jetzt ginge, sei Souveränität über Medien zu behalten und das ginge über reinen Kompetenzerwerb hinaus. Es bedeutet, Macht zu behalten. Das setze voraus, zu durchschauen, wie Medien funktionieren und wie sicher mit Daten umgegangen werden kann. Informatische Kompetenzen müssen entwickelt werden. Einige Hochschulen haben sich im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung bereits an die Arbeit gemacht. Und auch an den Schulen geht dies nicht vorbei. Im Strategiepapier der KMK „Bildung in der digitalen Welt“ haben sich alle Bundesländer auf digitale Bildung, mit zeitlichen und inhaltlichen Vorgaben, verpflichtet.
Lehrkräfte vorbereiten
„Wenn sie politisch tätig waren, was würden sie dann tun?“ fragte eine Teilnehmerin. „Lehrkräfte bereits in der Ausbildung gut vorbereiten und deutlich machen, wie sinnvoller Medieneinsatz aussieht“, entgegnete er. Hochschulen würden sich momentan häufig sträuben. „Universitäten zu verändern, ist, wie einen Friedhof zu verlegen. Auf die Mithilfe der Bewohner kann man nicht zählen!“ zitierte Stefan Aufenanger.
Tablets und Smartphones im Unterricht
Wenn in Schulen digital gearbeitet werden soll, sei es wichtig, Material vorauszuwählen und zu überlegen, wie man sie nutzen kann. Tablets an Schulen vereinfachen das digitale Arbeiten. Aber ihr Einsatz sei dann sinnvoll, wenn technischer Support verfügbar ist.
Ein Schüler aus dem Publikum warf das Thema „Bring your own device“ auf und berichtete, dass dies in vielen Schulen z. B. durch Handyverbote ausgeschlossen wird. Das sei, so Stefan Aufenanger, auch aus Forschungsperspektive unsinnig. Studien zeigen, dass man so eine wertvolle Chance vergebe, Kompetenzen zu vermitteln. Wenn man gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern nach Lösungen sucht, lässt sich gut vermitteln, was warum wichtig sei. Bring your own device hat aus seiner Sicht den großen Vorteil, dass man keine Infrastruktur vorbereiten muss. Aber: „Smartphones sind nicht ausreichend, um digitale Bildung umzusetzen. Sie erlauben es, klein anzufangen“, sagte er. Er kenne z. B. Schulen, die den Eltern Kurznachrichten schicken, um sie über Hausaufgaben der Kinder hinzuweisen.
Stefan Aufenanger sieht viele Möglichkeiten, traditionelles mit digitalisiertem Lernen zu verbinden. Digitale Medien erlauben neue Zugänge zur Binnendifferenzierung, aber lernstarke Schülerinnen und Schüler, schränkte er ein, brauchen keine digitale Medien, um besser zu werden.
Die digitalisierte Schule entwickeln
Auf die Frage, wie man Digitales in die Schulentwicklung integriert, meinte er, dass aus seiner Sicht digitale Medien immer wieder wichtige Impulse für Schulentwicklung geben würden. Er empfahl, genau zu analysieren: welche Stärken und Kompetenzen haben wir, wo sind unsere Schwächen und sich darüber klar zu werden, welche Chancen sich der jeweiligen Schule durch digitale Medien bieten.
Aus der Schulentwicklungsforschung wisse man, dass es drei Promoter in Innovationsprozessen braucht. Stefan Aufenanger legte den Schwerpunkt auf die Kommunikationspromoter. Die seien entscheidend, also Kolleginnen und Kollegen, die mit digitalen Medien arbeiten, darüber berichten und Empfehlungen geben können. Vor der Ausstattung müssen die pädagogischen Konzepte geklärt werden. Und es brauche Unterstützung, damit Lehrkräfte die Medien kennenlernen können, bevor diese im Unterricht eingesetzt werden. Wie die Konzentration auf den Ausbau des WLAN von ihm gesehen wird, wurde Stefan Aufenanger gefragt. Aus seiner Sicht sei ein weit ausgebautes WLAN keine wesentliche Voraussetzung, um mit digitalisierten Lehr-/Lernformaten zu starten. Tablets würden einen guten Einstieg und zugleich viele didaktische Möglichkeiten bieten.
Die Gefahren der Digitalisierung
Digitale Demenz und andere negative Effekte durch Mediennutzung relativierte Stefan Aufenanger. Sie beruhen auf extensiver Mediennutzung, weit über dem Durchschnitt. Diese hätte die besagten negativen Effekte, im durchschnittlichen Bereich ließen sie sich nicht erkennen. Er verwies auf Empfehlungen amerikanischer Kinderärzte, die in den USA hohe Reputation genießen, zur Medienerziehung. Bei Kindern unter zwei Jahren würden diese von der Nutzung von Bildschirmmedien abraten. Ab zwei Jahren empfehlen sie maximal eine Stunde täglicher Mediennutzung. Es solle dabei ein qualitatives Angebot gewählt werden, im Co-Using mit den Eltern.
Auch den wiederkehrenden Einwand, dass Medieneinsatz im Unterricht zum „Missbrauch“ führe, konnte er entkräften. Die Lernkultur sei entscheidend. Wenn Schulen auf Eigenverantwortung setzen und Selbsttätigkeit fördern, z. B. durch Projektarbeit mit klar definierten Ziel, sei es nicht entscheidend, ob sich Kinder und Jugendliche in jeder Minute ihrer Arbeit nur auf vorgeschriebene Weise mit den Medien beschäftigen. „Entscheidend ist das Ergebnis. Dann ist es egal, was zwischendurch passiert ist“, sagte er.
Aber was ist, wenn wir in der digitalen Revolution nicht schnell genug Anschluss finden? „Ich sehe die Gefahr nicht: Wer später kommt, kann aus den Fehlern der anderen lernen“ entgegnete Stefan Aufenanger. „Geduld ist eine pädagogische Tugend, die wir auch in der Digitalisierung brauchen“, sagte er.
Die Präsentation von Prof. Dr. Aufenanger finden Sie hier.
Moderation
Henry Steinhäuser, Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung, Bayern
Maren Wichmann, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung
Volker Wieprecht, Radio-rbb