Partizipation und Selbstwirksamkeit

Am Gymnasium Neuhaus müssen sich Lehrende vor dem Schülerparlament rechtfertigen

Projektdaten

Klassenstufen:
klassenübergreifend

Anzahl der Schüler/innen:
48

Anzahl der Lehrer/innen:
mehrere

Fachbereiche:
schulbezogen

Wochenstunden:
regelmäßig über das ganze Schuljahr

Das Projekt

Die im Bauhausstil errichtete Ganztagsschule lädt mit ihrer offenen Architektur auch zu einem offenen Schulkonzept ein: Bereits 1998 äußerten Schüler/innen den Wunsch nach einer eigenen Interessenvertretung, einem Schülerparlament. Jeder Jahrgang wird durch zwei Vertreter/innen repräsentiert. Diese 48 Kinder und Jugendlichen teilen sich gleichmäßig auf drei Ausschüsse auf, wobei jedem Ausschuss ein/e Vorsitzende/r vorsteht und jeweils ein/e Lehrer/in als Ratgeber/in im Bedarfsfall konsultiert werden kann. Der Hausausschuss entscheidet beispielsweise über Regeln zur Hausordnung oder Räumlichkeitsnutzung. Eine Errungenschaft dieses Ausschusses ist, dass Lernende den Fußboden des Hauses als Sitzgelegenheit in Beschlag nehmen dürfen und dass die ehemals gesperrte Dachterrasse als Pausenplattform genutzt werden kann. Der Kulturausschuss organisiert Fahrten, Projekttage, Feste und Feierlichkeiten. Der Vermittlungs- und Beschwerdeausschuss löst hauptsächlich Differenzen zwischen Lehrenden und Lernenden, er arbeitet aber auch mit den Streitschlichtern, die Konflikte unter den Schüler/innen beilegen, zusammen. Außerdem kümmert er sich um das Verhältnis der Schule zur Öffentlichkeit: Zurzeit geht es vor allem um die Verhinderung der drohenden Schließung der an der Schule etablierten Zweigstellen-Bücherei des Kreises Sonneberg. Der Nachwuchs wird aus den eigenen Reihen gewonnen, und Lehrende fungieren nur als Ratgeber/innen. Für neue Impulse sorgen regelmäßige Exkursionen, wie beispielsweise eine zweitägige Klausurtagung im Bundestag, wo über Themen wie demokratisches Sprechen und die eigene Schulentwicklung diskutiert wurde. Für das Gelingen demokratischer Alltagskultur am Gymnasium Neuhaus bilden Schülerparlament und Streitschlichter die feste Basis. Die Ausrichtung auf die Veränderung des Unterrichts im Sinne verständnisintensiven Lernens, Projektlernens sowie die Kopplung mit Schülerparlament, Streitschlichterprogramm und dem Projekt Medienschule zeigt sich in einem ganzheitlichen Schulentwicklungsprozess. Die Werte des Prozesses beruhen auf einem schulischen Konsens, der von den Lernenden, Lehrenden, Eltern und Freunden entwickelt wurde. Dabei soll konzeptionell geleitete Schulentwicklung in Alltagshandlungen umgesetzt werden, statt lediglich aneinander gereihte Aktionen durchzuführen. Hier knüpft auch die Schuljugendarbeit an: Ihre Angebote sollen sich in die laufende Schulentwicklung einreihen, diese ergänzen und erweitern und zu einem umfassenden Ganztagsschulkonzept ausgebaut werden.

Der Auslöser

Der Grundstein für einen umfassenden Schulentwicklungsprozess wurde bereits kurz nach der Wende gelegt, als im Besonderen der Schulleiter Ralph Leipold von der Nachwendestimmung des „alles besser machen“ und dem Bedürfnis nach Förderung von Schulqualität angespornt war. Er hatte bereits frühzeitig nach der Methode der themenzentrierten Interaktion gearbeitet. Bei ihm trafen Schüler/innen mit ihrem Wunsch nach einer eigenen Interessenvertretung auf offene Ohren.

Der Weg

Erste Schritte im gesamten Entwicklungsprozess wurden auf der Ebene der Personalentwicklung der Lehrenden gegangen, die sich in Wochenendrunden zu Schulentwicklung getroffen haben, sich auf einen Wertekonsens einigten, der für die Schule gelten sollte, und sich zu Fragen von Kommunikation weiterbildeten. Bereits in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre bildete Herr Leipold selbst die erste Generation von Streitschlichtern aus, führt bis heute selbst Supervisionen mit dieser Schüler/innen-Gruppe durch, und 1998 gründete sich das Schülerparlament auf Eigeninitiative der Lernenden. Da der Begriff „Demokratie“ in einem engen Wechselverhältnis mit dem Begriff „Medien“ steht, hat das Gymnasium sich an dieser Schnittstelle ein besonderes Profil geben können: Seit 2001 ist ihr der Projektstatus der „Medienschule“ zuerkannt worden. Das Lernen unter besten räumlichen und technischen Voraussetzungen – ein Multimedia-Arbeitsplatz für digitale Video- und Tonbearbeitung, ein multimediales Sprachlabor, ein Fotolabor, 13 Medienzimmer bzw. Lerninseln – wird mit pädagogischen Ansätzen wie dem kooperativen Gruppenlernen und einem Profilfach „Lernen lernen“ unterstützt. Dieses Fach wird in der 5. bis 9. Klasse absolviert, und hier können verschiedenen Lernmethoden und -techniken erworben werden. Gerade im Medienbereich sind die pädagogischen Grundpfeiler: Differenzierung und Unterstützung in die Breite, der/die Lehrende ist Lernbegleiter/in und Moderator/in im Unterricht, und die Spitze wird gefördert. Impulse für den Gesamtprozess werden vielfach auch von externen Partnern gewonnen, beispielsweise bei der langjährigen Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Sonneberg. Durch die Beteiligung am BLK-Modellversuch „Demokratie lernen & leben“ wurde seit 2002 etwa der Hälfte des Lehrer/innen-Kollegiums die Teilnahme an der dreijährigen Fortbildung zum Thema „Selbstwirksamkeit“ ermöglicht. Aus dieser Kooperation auch mit der Humboldt Universität Berlin sind neue, starke Impulse für das Schulklima zu erwarten. Die Teilnahme einiger Schülerparlamentarier an der Sommerakademie des BLK-Programms 2003 befähigte diese, selbstständig mit den 5. und 7. Klassen „demokratisches Sprechen“ zu trainieren. Weitere Kooperationspartner sind die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung und die Friedrich-Schiller-Universität Jena. Als nächste Schritte im Entwicklungsprozess sieht Ralph Leipold vor allem die notwendige Vertiefung und Festigung der bereits gegangenen Entwicklungsschritte. Hierbei helfen Projekttage zur Selbstevaluation. In Einzel- und Gruppenarbeit wurden beispielsweise am letzten Schultag des Schuljahres 2003/04 die Schüler/innen zu Stärken und Problemen im Schulleben befragt. Die daraus gewonnenen Einsichten halfen im Prozess der Weiterentwicklung.

Probleme und Lösungen

Eines der derzeitigen Hauptthemen, an denen gearbeitet wird, ist die trotz Sportförderung fehlende Freiluftsportanlage. Ein großes Problem, das bei der Arbeit immer wieder auftaucht, kreist um die Frage, wie man das Personal für ein solch umfassendes Unternehmen ins Boot holt. Das Schülerparlament ist als Teil der Schulkultur anerkannt, und sogar der Vermittlungsausschuss ist ins Schulleben gut integriert. Doch das professionelle Know-how, das sich Schülerparlamentarier/innen im Laufe ihrer Arbeit aneignen konnten, verlässt mit ihnen die Schule. Ihre Nachfolger/innen beginnen daher immer wieder von vorn und müssen stetig fortgebildet werden. Mit Blick auf eine pädagogisch eher traditionelle Umgebung im Bereich der Schulaufsicht besteht für das Kollegium und die Schule immer wieder der Druck, sich erklären zu müssen und die Grundlage ihrer Pädagogik zu rechtfertigen.

Blitzlicht

Zur Arbeit des Schülerparlaments resümiert der Vorsitzende des Vermittlungsausschusses, Falk Scheidig: „Im Großen und Ganzen wird die Arbeit des Parlaments angenommen, das merkt man an der Resonanz der Lehrer, dass sie auf mich zukommen und versuchen, Probleme zu klären.“ In Bezug auf Widerstände und Probleme beim Verfolgen des Schulentwicklungsprozesses sagt der Direktor, Ralph Leipold, selbstkritisch, er sei „immer ein bisschen zu schnell“. „Wir wollen starke, junge Menschen entlassen, die eine hohe Selbstwirksamkeit haben“, so die Vision des Schuldirektors.

Schule

Schulname
Staatliches Gymnasium Neuhaus am Rennweg

Schulart
Gymnasium

Schulangebote
AG Medien, Schülerzeitung, Kunst AG, Schülerband, Gospelchor, Jugendclub „Ideeal“ mit Angeboten der Schulsozialarbeit (ganztägig von 9-16.30 Uhr geöffnet)

Schulanschrift
Am Apelsberg, 98724 Neuhaus am Rennweg

E-Mail
gymnasium-neuhaus@t-online.de

Anzahl der Schüler/innen
600

Anzahl der Lehrer/innen
55

Sonstiges pädogogisches Personal
2

Ansatz der Schule
Demokratiepädagogik (Dewey, Freinet, Bandura)

Zeitstruktur
ab 2006 hoffentlich als Projektlernen ohne Fächerstruktur

Programme der Schule

Modellversuche der Schule
BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“; „Medienschule“

Wettbewerbe der Schule
diverse, z.B. Olympiaden

Sozialraum der Schule
kleinstädtisch

Zusammensetzung
Schüler/innen kommen aus unterschiedlichen Gemeinden und Bezirken; gemischtes soziales Umfeld; Migrant/innenanteil der Schüler/innenschaft unter 5 Prozent

Besonderheiten
Projektwochen; Streitschlichterprogramm; Schülerparlament; Medienräume; Sportprofil; Schüleraustausch mit einer amerikanischen Schule

Referenzen

Modellschule im BLK-Programm „Demokratie leben und lernen“

„Demokratie lernen & leben“ ist ein Schulentwicklungsprogramm, bei dem es darum geht, die Demokratisierung von Unterricht und Schulleben und die Bereitschaft junger Menschen zur aktiven Mitwirkung an der Zivilgesellschaft zu fördern.

Autoren

  • Katja Haufe