„Neue Wege und Vernetzung kultureller Bildung“

(c) DKJS / D. Ibovnik
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DKJS – Fachtagung des Themenateliers „Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen“ am 6. und 7.11.2008

Im Plenarsaal spricht Prof. Rolf Windmöller von der PwC-Stiftung einleitende Worte. Die Stiftung machte mit einer Anschubfinanzierung die ersten drei intensiven Jahre des Programms „Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen“ möglich. Es ist Ziel des Programms, kulturelle Arbeit in Schulen neu zu verankern, ein Ziel, das sich abwechslungsreicher mit der Einbeziehung außerschulischer Partner realisieren lässt. Professor Windmöller freut sich über die produktive Zusammenarbeit mit der DKJS und darüber, dass die erarbeiteten Qualitätskriterien auch in die kommende Runde des Programms einfließen. Seit 2007 ist auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung an der Finanzierung beteiligt.

Der Qualitätsrahmen und die Prozessbegleitung haben zu sichtbaren Erfolgen geführt berichtet auch Dr. Heike Kahl von der DKJS. Langsam entwickle sich bei allen, die die Form der Ganztagsschule mit neuen Inhalte füllen wollen, der Konsens, dass eine neue Lernkultur sinnvoll ist, eine Kultur in der Schüler gleichermaßen Wissen und Lebenskompetenz erwerben. Und um die Schüler geht es jetzt.

„Far-be-tanzt“

Hand auf’s Herz: Wann haben Sie zum letzten Mal erwartungsvoll einer Gruppe Schüler beim Tanzen zugesehen? Bei der Tagung gibt es keine Entrinnen und es ist wunderbar! Die Tanzpädagogin Claudia Hanfgarn vom Verein Tapst aus Bremerhaven präsentiert mit Schülern einer Grundschule und eines Gymnasiums das gemeinsame Tanzprojekt „Far-be-tanzt“. Da stehen sie auf der Bühne, vierzehn Jungen und Mädchen. Einige sind schon junge Grazien oder hochgeschossene junge Männer; andere wirken deutlich jünger und kleiner, sind spillerig oder rund gebaut.

Die Jugendlichen tanzen Assoziationen zu Farben, Rückzug, Dynamik, Wachstum, Stille oder Erwachen, ohne dass ein erklärendes Wort fällt. Sie werden nur von Musik zwischen Klassik und Pop begleitet. Es ist auffällig, mit welcher Konzentration die Tänzer bei der Sache sind. Sie lassen ihre Augen und Bewegungen sprechen und demonstrieren auf beeindruckende Weise, wie kompetent sie in diesem Tanzprojekt geworden sind.

„Themenatelier, die Erste“

Schüler bei der Entwicklung ihrer persönlichen Kompetenzen zu unterstützen, ist auch für Thomas Busch von der DKJS ein wichtiger Aspekt seiner Arbeit. Er leitete den ersten Teil des Themenateliers „Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen“ und versteht seine Tätigkeit als Brückenbauer zwischen den beiden Kooperationspartnern Schule und kulturelle Institutionen. Um die Zusammenarbeit zwischen den Partnern fruchtbarer zu gestalten, bietet die DKJS Mediation, Coaching, Netzwerktreffen und gegenseitige Hospitationen an. Für Nachhaltigkeit sorgt der Qualitätsrahmen: In verschiedenen Bereichen einer Ganztagsschule wie Lehre, ästhetisch-künstlerisches Verständnis, Mitarbeiter, Prozesse, Ausstattung und Effizienz kann mit Hilfe des Rahmens Qualität entwickelt und gesichert werden. Sechs definierte Arbeitsschritte helfen Schulen, ihre selbst gesteckten Ziele besser zu erreichen: Sie beinhalten die Analyse der Ausgangssituation, genaue Definition des Ziels, Erarbeitung verschiedener Lösungsvarianten, praktische Umsetzung des Vorhabens, Auswertung und Reflexion des Prozesses.

Thomas Busch betont, dass es bei kultureller Bildung nicht um die Interessen einzelner Kooperationspartner gehe: „Nicht auf Partikularinteressen, sondern auf die Interessen der Kinder kommt es an.“ Man könnte auch sagen, auf die Interessen aller Kinder. Die ersten Ergebnisse der Bremer Mukus-Studie stimmen optimistisch: Es konnte belegt werden, dass Ganztagsschulen dazu beitragen, die Bildungschancen der Schüler und Schülerinnen anzugleichen: Ganztagsschulen können tatsächlich für mehr Teilhabegerechtigkeit sorgen (nachzulesen unter www.studie-mukus.de).

Die Praktiker: Lehrer-Schüler-Künstler

Herausragende Beispiele für Kooperationen der letzten drei Jahre sind „Far-be-tanzt“ mit Claudia Hanfgarn oder das Projekt „Kunst und Klang“ des Berliner Vereins Koduku. Die Lehrerin und Künstlerin Kim Arhipova gestaltete mit besonders heterogenen Schülergruppen Musikinstrumente, Masken und Kostüme und einen farbenprächtigen Klangturm, der Augen und Ohren gleichermaßen anregt. Jens Carstensen betrachtet Kulturkooperationen aus der Perspektive eines Lehrers der Bremerhavener Immanuel-Kant-Schule.

Mit diesem engagierten Lehrer und den beiden Künstlerinnen diskutierte Jürgen Schulz, der als Prozessbegleiter in Sachsen tätig war. In der Diskussion wurde deutlich, wie wichtig ein langer Atem und Hartnäckigkeit sind. Ein Projekt langfristig anzulegen, wird von allen Beteiligten befürwortet. Auch der Qualitätsrahmen, der von der DKJS aus den Projekten heraus erarbeitet worden ist, wird von den Praktikern als  sinnvolles Instrument anerkannt und genutzt. Claudia Hanfgarn fühlte sich zwar erst „erschlagen“ vom angestrebten Qualitätsstandard, merkte aber bald, dass sie vieles ohnehin schon in ihre Arbeit integriert hat. Darüber hinaus hilft ihr „das Papier, sich auf Ziele zu einigen, wenn die Chemie mal nicht stimmt.“

Für die Zukunft wünscht Claudia Hanfgarn den Schülern noch mehr Erfolgserlebnisse: „Ich möchte, dass Schüler künstlerische Qualität lernen und ein Verfahren mit ihnen erarbeiten, mit dem sie selbst sehen lernen, was gut ist und was nicht. Tanz ist ein Türöffner, der einen anderen Zugang zu Kunst überhaupt ermöglicht.“ Damit spricht sie den anderen Teilnehmern der Diskussion wohl aus dem Herzen und beschreibt nebenbei die positiven Nebenwirkungen kultureller Bildung.

Reflexion

Nach den Beispielen aus der Praxis begeben sich die Teilnehmer der Tagung und eine Expertenrunde gewissermaßen eine Etage nach oben, auf die Meta-Ebene. Die Frage, die beantwortet werden soll: Wie verändert sich die Kultur des Lernens?

Heinz Grasmück vom LI in Hamburg sieht die besten Chancen zur langfristigen Veränderung der Lernkultur in der kulturellen Bildung, die sich nur Hand in Hand mit der Schulentwicklung realisieren lasse. Das „Jahr der Künste 2009“ in Hamburg wird im kommenden Jahr Sensibilität dafür schaffen, welche Bereiche und welche Lernformen in der Schule entwickelt werden können. Da Herr Grasmück auch auf Transparenz setzt, können Interessierte die Entwicklung des Projekts unter www.li-hamburg.de nachvollziehen.

Winfried Kneip, Geschäftsführer der Yehudi Menuhin Stiftung Deutschland verfolgt das Ziel, eine gemeinsame Sprache für das Tandem Lehrer-Künstler zu finden. Damit dies auch gelingt, werden die Akteure begleitet und in Konfliktfällen unterstützt. Um eine neue Lernkultur langfristig in den Schulen zu verankern, gelte es, den Aspekt der Qualität und der notwendigen Bedingungen für Künstler und Schulen auszuloten und zu beschreiben. Mit der Evaluation kultureller Bildung beschäftigt sich auch Dr. Susanne Keuchel vom Zentrum für Kulturforschung. Ihre Empfehlungen für eine neue Lernkultur lauten u.a. regelmäßige Austauschforen, Mitbestimmung der Kinder und Vernetzung der Einrichtungen.

Gab es bisher eine bewusste Trennung zwischen Schule und Kultur, so beobachtet Prof. Dr. Max Fuchs, Vorsitzender der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung, eine Annäherung zwischen den Partnern. Es gebe auf beiden Seiten Interesse daran, Bildungsstandards für künstlerische Fächer festzulegen oder mit dem „Kompetenznachweis Kultur“ die Wirkung kultureller Bildungsarbeit sichtbar zu machen. Die Lernkultur ist also schon dabei, sich zu verändern.

Dr. Anja Durdel von der DKJS richtet ihr Augenmerk auf die diffizilen Prozesse der Veränderung. Ihrer Erfahrung nach gibt es vielerorts den Wunsch nach Schulentwicklung, aber keine Standardantworten. Der von der Stiftung entwickelte Qualitätsrahmen steht deshalb immer erneut zur Diskussion und muss sich mit den vorhandenen Bedingungen verändern können.

„Klappe, die Zweite!“

 

Perspektivwechsel: Ein Blick durch die Kamera ins Klassenzimmer. Jugendliche schauen durch selbstgebastelte Sucher in ihre Welt – und entdecken Erstaunliches: „Du siehst was, das ich nicht seh’ und das bin ich.“ Der Film funktioniert wie ein Filter. Er bringt Kinder und Jugendliche dazu, ihre Probleme auf den Punkt zu bringen und ihre Gefühle für andere nachvollziehbar in Wort und Bild zu fassen. Außerdem bringt der Film sie dazu, die Perspektive zu wechseln, wie es die Jugendlichen in ihrem ersten Filmbeitrag für „Klappe, die Zweite!“ taten.

Harriet Völker ist die Leiterin des Folgeprojektes des Themenateliers, das den Titel „Themenatelier Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen, Klappe, die Zweite!“ trägt. Sie erklärt Zielsetzung und Weiterentwicklung: Die Struktur des Themenateliers wurde beibehalten, nur die Kunstform wurde geändert. Film und neue Medien sind jetzt im Fokus und es gibt auch ein neues, auf die Situation der Schulen zugeschnittenes Thema. Ganztagsschulen aus Stadtteilen mit dringendem Integrationsbedarf nehmen teil. An ihren jeweiligen Standorten arbeiten sie an Filmprojekten zum übergreifenden Thema „Inklusion“. Was ist das? Integration sorgt dafür, dass aus einzelnen Teilen ein Ganzes wird. Inklusion geht einen Schritt weiter: Die Heterogenität einer Gruppe wird als normal akzeptiert. Vielfalt wird dann als Chance wahrgenommen, wodurch Inklusion an Schulen zu mehr Teilhabegerechtigkeit führt.

Viele Schüler konnten bereits in „Klappe, die Zweite!“ teilhaben und sich kreativ-künstlerisch mit neuen Medien auseinandersetzen. Chancen auf noch mehr Erfolge sind groß. Hier sind die Erfolgskriterien: Der lebensweltliche Ansatz, Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern, Partizipation der Schüler und Präsentation der Arbeit.

Verkehrsnetze und deren Wartung

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung stellt die Finanzierung von „Klappe, die Zweite“ sicher. Dr. Stefan Luther vom Ministerium weist darauf hin, dass auch auf dem nationalen Integrationsgipfel Bildung eine herausragende Rolle spiele. „Arbeit an und mit Kultur kann Sprachbarrieren überwinden und zu Integration beitragen.“ – oder hoffentlich auch zur Inklusion, wie sich die Teilnehmer der Tagung mittlerweile einig sind. Am Abend des zweiten Tages verlassen sie mit neuen Ideen und Kontakten aus den Workshops den Tagungsort. Der Nieselregen löst sich auf und gibt den Blick frei auf einen roséfarbenen Abendhimmel. Der Weg zu einer neuen Lernkultur wurde nicht nur geebnet. Er wurde zu einer Straße mit Hinweisschildern, beruhigten Verkehrszonen oder auch zur schnellen Durchfahrt; nein, aus dem Weg ist schon ein ganzes Verkehrsnetz für kulturelle Bildung geworden, das natürlich von Fachleuten gewartet werden muss.

 

Von: Katja Frechen

Datum: 30.11.2008
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