„Imagination ist wichtiger als Wissen“, soll Einstein gesagt haben. Ob wir ein Buch lesen, Musik hören oder einen Tanz betrachten – wir würden nichts verstehen, ohne die Fähigkeit, uns etwas vorzustellen. Für die Auftaktveranstaltung des Themenateliers „Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen“ hätte es daher kaum einen passenderen Rahmen geben können als die Imaginata in Jena, einem Experimentarium für alle Sinne, das die Vorstellungskraft von Kindern und Jugendlichen schulen will. Am 10. und 11. Februar 2006 kamen hier Lehrer/innen, Schüler/innen, außerschulische Partner und Eltern im Rahmen ihrer Projekte zusammen, um sich kennen zu lernen und auszutauschen.
Das Themenatelier „Kulturelle Bildung an Ganztagsschule“ soll Schulen unterstützen, innovative Formen kultureller Bildung in ihren Ganztagsschulbetrieb zu integrieren und dabei mit außerschulischen Partnern zusammen zu arbeiten. Projekte aus fünf Bundesländern sind mit verschiedenen Schwerpunkten beteiligt: Berlin mit Museum, Bremen mit Tanz, Hamburg mit Theater, Hessen mit Musik und Sachsen mit Literatur. Das Projekt wird von der PwC-Stiftung als siebter Baustein im Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen.“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung gefördert.
Trotz der Schwerpunkte ergaben sich Schnittstellen und Austausch quer durch die Projekte des Themenateliers. So wollen die Initiatorinnen der „Musik zur blauen Stunde“ von der Georg-Kerschensteiner-Schule in Schwalbach Kunst und Musik zusammenbringen: „Wir planen Klanginstallationen und Rauminstallationen. Wir lassen uns von Matisse, Yves Klein und Kandinsky inspirieren. Kunst und Musik sind so nahe liegend!“, erzählt die Lehrerin Marion Deysenroth begeistert. Projektorientiertes, fachübergreifendes Lernen gehört für sie und ihre Kolleg/innen zum Alltag. Über die Teilnahme am Themenatelier erhoffen sie sich Kontakt zu anderen Schulen, um auszuloten, „was alles möglich ist“. Besonders die vorgestellten Theaterprojekte haben sie begeistert.
„Sie vertanzen das Ozon“, sagt Jens Kube vom Alfred-Wegener-Institut Bremerhaven über die Schülerinnen und Schüler im Tanztheaterprojekt der Körnerschule und des Lloyd Gymnasiums. Obwohl der Wissenschaftler wissen müsste, dass Ozon sich nicht einfach vertanzt. Doch wer weiß, vielleicht stimmt es ja im übertragenen Sinn, denn die Sensibilisierung für das Thema ist ein wichtiger Grund, warum sein Institut mit Schulen zusammenarbeitet. Er freut sich sehr, dass es in der Kooperation mit den Schulen und Claudia Hanfgarn vom Tanzpädagogischen Projekt Schultanz gelingt, fächerübergreifend mit Schüler/innen zum Thema Ozon zu arbeiten und dabei Kunst und Wissenschaft miteinander zu verbinden. Seine Kolleg/innen vom Institut sind gespannt, was dabei herauskommt. „Das sind ja Teile menschlichen Ausdrucks, die uns völlig fremd sind“, schmunzelt der Wissenschaftler. Auch Arno Magath, Klassenlehrer der Körnerschule, hat dazu gelernt: „Ich fand es spannend, mich als Kunstlehrer in ein naturwissenschaftliches Thema einarbeiten zu müssen.“ Wissenschaftler/innen des Alfred-Wegener-Instituts kommen in die Schulen, wenn Lehrer/innen mit ihrem Fachwissen an Grenzen stoßen. Und vor der Aufführung werden sie die Choreografie selbstverständlich auf wissenschaftliche Korrektheit überprüfen…
Für die Schülerinnen und Schüler war es eine neue Erfahrung, dass Tanz auch noch etwas anderes ist als Ballett oder das, was man in den Videoclips auf VIVA zu sehen bekommt – allerdings etwas, was manchen erst einmal gar nicht reizte. „Es war ganz gut, dass einige von uns Tanz schon kannten“, erzählt die Realschülerin Mascha Krebs, „wir haben dann die anderen überzeugen können.“ Die Förderschule Bindfeldweg in Hamburg kann auf tanzerfahrene Kids nicht bauen. Sie betritt gleich in mehrerer Hinsicht Neuland. Es ist schon ungewöhnlich für eine Förderschule, dass sie ein Theaterprojekt auf die Beine stellt, erst recht Tanztheater und dann auch noch eins, für das auch die Jungs schwärmen sollen. Irgendwie liegt es auf der Hand, dass es dabei um Fußball gehen wird. „Wir improvisieren Szenen aus den Ideen der Kinder“, erzählt die Tanzpädagogin Claudia Hammerer. Die Tanzpädagogin Claudia Hanfgarn aus Bremen hat damit viel Erfahrung: „Für mich ist es sehr spannend, mit den Ideen der Schüler zu arbeiten. Ich sehe mich als Geburtshelferin, sie optimal zu präsentieren“. Vielleicht ist sie ja auch bereit, der Förderschule Bindfeldweg ein wenig als Hebamme zur Seite zu stehen? Ebenfalls nah an den Bedürfnissen der Schüler/innen arbeitet ein weiteres Theaterprojekt aus Hamburg: Das Gymnasium Hamm will Schüler/innen der 10. Klassen zu Spielleitern in Theaterprojekten von 5-Klässlern ausbilden.
Viele Teilnehmer/innen stellten ihre Arbeit vor. Das Buchkinderprojekt aus Leipzig hatte Bilderbücher zum Anschauen, Anfassen und Vorlesen mitgebracht. Man fragte sich, wieso die Buchläden voll sind mit Bilderbüchern von Erwachsenen, obwohl Kinder das doch besser können. Selbst Kindergartenkinder, wie der 5-jährige Quentin Burandt, der noch nicht schreiben kann. Das haben die Mitarbeiter vom Buchkinderprojekt für ihn erledigt. Erzählt hat Quentin die Geschichte aber selbst. Sie handelt vom Borstenschwein, es „lebt in einer Erdlochtiefgrabwohnung. Am Bett hängt eine Lampe, weil das Borstenschwein immer ganz früh aufwacht und da ist der Mond schon weg und die Sonne noch nicht da.“ Vom Text über die Illustration bis hin zum Drucken und Binden sind die Kinder beteiligt an ihren Werken. Bis so ein Bilderbuch fertig ist, kann es eineinhalb Jahre dauern.
Warum kulturelles Lernen so viel Zeit braucht, erklärte Prof. Dr. Peter Fauser, wissenschaftlicher Berater und Gastgeber der Veranstaltung, in einem Vortrag: Es liegt daran, dass es sich keiner ausgetretenen Pfade bedient, schöpferisch, anstrengend und anspruchsvoll ist. Gerade deshalb sei es so wichtig: „Wenn wir etwas für das Lernen von Kunst tun, tun wir überhaupt etwas für das Lernen“, weiß Peter Fauser. Noch etwas gab er den Teilnehmer/innen mit auf den Weg. Die Erkenntnis, dass Lernen drei grundlegende Bedürfnisse erfüllen sollte: 1. Kompetenzerfahrung – die Erfahrung, die Welt zu verstehen und mit ihr umgehen zu können, 2. Autonomieerleben – das Erleben, dass man selbst begreifend die Welt gestaltet und 3. Eingebundenheit – das Gefühl als Mensch unter Menschen verstanden und anerkannt zu werden. „Gute Projekte im Bereich der kulturellen Bildung erfüllen alle drei Bedürfnisse“, ist Fauser überzeugt.
Natürlich blieben trotzdem noch ein paar Fragen offen. Welche Strukturbedingungen braucht das kulturelle Lernen? Welche Voraussetzungen brauchen Schulen und außerschulische Partner für eine gelungene Kooperation? Wie sichern wir Qualität? Wie können wir unsere Projekte einbringen? Was sollen wir leisten? Diesen Fragen der Projektbeteiligten nachzugehen und sie zu beantworten, ist Aufgabe der Prozessbegleiter. Ein bisschen wie Neuronen sollen sie zwischen den Projekten und den anderen Themenateliers hin- und herflitzen, Ideen einsammeln und kommunizieren. Später werden sie dazu beitragen, Entwicklungspotenziale zu identifizieren und die Prozesse als Fallstudien zu beschreiben. Thomas Busch, Leiter des Themenateliers „Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen“ von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, freut sich über das multidisziplinäre Team von Prozessbegleitern: „Vom erfahrenen Schulentwickler bis hin zu erprobten Prozessbegleitern in der Arbeit mit außerschulischen Partnern haben wir ein sehr fähiges und heterogenes Team zusammengestellt. Wir wollen ja nicht nur Projekte und Kooperationen fördern, sondern Ansätze zur Ganztagsschulentwicklung bieten. Deshalb erwarten wir auch keine Hochglanzprojekte, sondern dass die Kooperationen an Qualität gewinnen und ein offener Austausch entsteht“, erklärt Thomas Busch.
Yvonne Fietz vom Landesverband Soziokultur Hamburg ist Prozessbegleiterin des Theaterateliers Hamburg. Sie freut sich über die große Offenheit und Bereitschaft der Projektbeteiligten, sich gegenseitig zu bereichern. „Wir als Prozessbegleiter wollen über die Themenateliers hinaus dabei helfen, kulturelle Bildung an Ganztagsschulen zu etablieren und auf eine neue Qualitätsebene zu heben“, beschreibt sie ihr Anliegen. Dabei geht es vor allem darum, dass Kultur im Gesamtkonzept Bildung einen wichtigen Stellenwert erhält. Ein wenig bedauert sie die relativ kurze Laufzeit des Themenateliers: „Wir können die Kooperationen in den sechs Monaten zwar anstiften, aber nicht mehr begleiten. Es wäre gut, wenn das Programm weiter gefördert würde, so dass wir unsere Erfahrungen auch noch in andere Schulen tragen können.“
Krimhild Strenger und Nadia Fritsche von der Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg (STEG) koordinieren die Arbeit der fünf Prozessbegleiter und stehen für telefonische Beratung zur Verfügung. Damit haben die beiden Erfahrung: „Als Stadtentwicklungsgesellschaft sind wir es gewohnt, Strukturen zu schaffen, mit denen andere weiterarbeiten können“. Sie hofft, dass es gelingt, trotz der knappen Zeit tragfähige Strukturen zu schaffen und zu einem Ergebnis zu kommen, das zeigt, welche Prozesse funktionieren. Die Auftaktveranstaltung in Jena fand sie hilfreich: „Hier ist klarer geworden, was die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung von den Projekten erwartet“.
Autorin: Christine Plaß