Ein zwölfjähriger Junge aus Bayern, ein leistungsstarker und durchaus motivierter Gymnasiast, sagte auf die Frage, welche Rolle das Schulgebäude für das Wohlfühlen in der Schule spiele: „In Schulgebäuden kann man sich doch gar nicht wohl fühlen.“
Aus Sicht der Schulträger geht es bei einer Sanierung oft vorrangig darum, die alten Gebäude an sicherheitstechnische und behindertengerechte Anforderungen anzupassen, Computerräume einzurichten, die entsprechenden Geräte zu beschaffen, Energiesparmaßnahmen umzusetzen etc. (vgl. Lederer et al. 2004, S. 51). Dagegen werden Investitionen in innenarchitektonisch-ästhetische Renovierungen oft zurückgestellt.
Das Beispiel der Rütli-Schule in Berlin ist nicht das einzige in Deutschland, das zeigt, wie unzumutbar der bauliche und pädagogische Zustand einer Schule manchmal erst werden muss, bis inhaltliche und räumliche Erneuerungen in Angriff genommen werden. Engagierte Schulleiterinnen und Schulleiter stoßen allerdings bei Schulträgern oft auf harten Widerstand, wenn sie ihre Raumkonzepte für eine offenere, schülerfreundliche, Mitarbeiter motivierende Schule vorbringen. Für viele Beamte in den Kommunen ist es ungewohnt – aus ihrem Auftrag heraus vielleicht auch nebensächlich – Schule aus Sicht der „Bewohnerinnen und Bewohner“ zu denken und zu gestalten. Die Genehmigungen für Schulbau und Schulumbau orientieren sich an technischen, hygienischen, ökologischen Regelungen und Sicherheitsnormen. Diese Standards gehen aber häufig an den Belangen der Menschen vorbei, die in der Schule leben und arbeiten.
Viele Kinder, Eltern und Lehrkräfte berichten zum Beispiel, dass die Atmosphäre in der neu gebauten Mensa als ungastlich, unerträglich laut, geradezu als „abspeisend“ empfunden wird und man sich dort nicht gern niederlässt, um mit Genuss und in Ruhe zu essen. Auch Sicherheitsstandards werden immer wieder als entmündigende Einschränkungen erlebt. In Deutschland ist es nicht zuletzt der Haftpflichtgedanke, der sich im Umgang mit Kindern und Jugendlichen bis in die Bauvorschriften hinein oft geradezu freiheitsberaubend auswirken kann und innovationsfreudige Pädagogen und Planer vor ein Dilemma stellt.
Gemeinsam ein offenes Haus gestalten
Leider gehört es in Deutschland noch nicht zu den Baustandards, Jungen und Mädchen bei der Planung und Gestaltung ihrer Schule mit einzubeziehen. Erkenntnisse der Architekturpsychologie bestätigen aber, dass Schülerinnen und Schüler, die ihre Schulumgebung mitgestalten können, sich wohler fühlen und besser lernen (vgl. Walden 2006, S. 2). Über Schülergenerationen hinweg werden die Gebäude dann auch umsichtiger und pfleglicher behandelt (vgl. z. B. Hübner in: Zickgraf 2007, o. S.). Zwischen dem Zustand des Gebäudes und dem sozialen Klima einer Schule gibt es nämlich offenkundig eine Art Rückkopplungseffekt. Gepflegte, saubere, ästhetische Räume, die den Belangen der Schüler- und Mitarbeiterschaft gerecht werden, strahlen Wert-Schätzung aus. Die „Antwort“ der Schülerinnen und Schüler ist in der Regel, dass sie sowohl mit Sachen und Räumen als auch miteinander und mit den Lehrenden sorgsamer und respektvoller umgehen.
Umgekehrt weist Vandalismus an Schulen oft darauf hin, dass sich die Kinder und Jugendlichen nicht wirklich „gefragt“ und nicht wertgeschätzt fühlen. Andererseits kann der ungepflegte Zustand eines Gebäudes zerstörerische Energien wecken, die dann auch im Umgang miteinander zu spüren sind. So kann ein schwer zu unterbrechender negativer Zirkel in Gang kommen. Interessanterweise wird diese Rückkopplung offenbar besonders am Zustand der Sanitärräume bzw. der Toiletten erkennbar: Häufiger als Schulleitungen sich eingestehen, weisen mutwillige Zerstörungen, Schmierereien und Verstopfungen darauf hin, dass sich Schülerinnen und Schüler in ihrer Schule nicht gut behandelt fühlen. Am abgeschiedenen Ort suchen sie ein Ventil für aufgestaute Frustration, Aggression, Beschämung. (In der Schülerzeitung eines Gymnasiums wurde buchstäblich darauf hingewiesen, dass die Eimer für die Hygieneartikel der Mädchen nur einmal im Monat geleert würden!)
Wenn andererseits die Toiletten – und vielleicht auch das Schulgebäude – in einem so beklagenswerten baulichen Zustand sind und bleiben, dass ein „pfleglicher Umgang“ keinen Sinn mehr zu machen scheint, kann das von Jungen und Mädchen unterschwellig auch als Aufforderung verstanden werden, die Verwahrlosung aufzugreifen und dem Verfall insgeheim noch „eins draufzusetzen“.
Kommunikativer, lebendiger und offener
Der Zustand der Toiletten ist jedenfalls erschreckend häufig ein Argument von Eltern gegen Ganztagsschule: Das Kind weigere sich, die Schultoilette zu nutzen – bis zum Mittag könne es gerade noch aushalten, aber länger wäre unzumutbar! Auch hier wird deutlich: Nicht das Kind sollte sich der Schule anpassen müssen, sondern die Schule sollte sich an den Belangen der Kinder orientieren. Unabhängig von der Gebäudepflege kann sich auch ein verändertes pädagogisches Konzept auf das Raumklima positiv auswirken: Wenn zum Beispiel die Türen der Klassenräume auch während des Unterrichts offen stehen, wenn Lehrkräfte gegenseitig hospitieren, im Team fächer- und klassenübergreifend arbeiten, wird Schule durchsichtiger und lichter. Oder wenn sich Schülerinnen und Schüler für Partner- und Kleingruppenarbeit außerhalb des Klassenraumes, zum Beispiel in Fluren, Hallen, Fensternischen, auf Treppenstufen zusammensetzen können, wird Schule kommunikativer, lebendiger und offener.
Hilfreiche Anregungen, wie Schule darüber hinaus durch Farben, Materialien, Belichtung, Beleuchtung und Mobiliar zu einem „zweiten Zuhause“ für die dort „wohnenden“ Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen umgestaltet werden kann, sind über die Internetseiten der Architektenkammern und der einzelnen Bundesländer zu finden (auf der beiliegenden CD sind einige Links zusammengestellt). In einem weiteren Sinn können besonders Ganztagsschulen einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass „Schule“ gesünder wird. So kann zum Beispiel die Belastung durch Feinstaub deutlich reduziert werden, wenn Lernen häufiger an anderen Orten im Umfeld der Schule stattfindet und wenn die Schülerinnen und Schüler auch außerhalb des Klassenraums lernen und üben können.
Wenn das Schulgebäude nur noch einer von mehreren Orten ist, wo Kinder Erfahrungen sammeln, Wissen und Können erwerben, und wenn sich Schule zudem noch für andere Menschen in ihrem Umfeld öffnet, wird sich das Klima der einzelnen Schule verändern. Und über kurz oder lang weht dann vielleicht auch ein frischer, gesunder Wind durch die Schullandschaft. Das würde nicht nur den Mädchen und Jungen, sondern auch den in der Schule tätigen Erwachsenen und den Eltern gut tun.
Datum: 02.08.2009
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