An der IGS Wilhelmshaven ist das Sozialtraining Grundlage des Konzepts „Emotionale Intelligenz – ein Netz sozialen Handelns“, das sich durch die Sekundarstufe I zieht
An der IGS Wilhelmshaven ist das Sozialtraining Grundlage des Konzepts „Emotionale Intelligenz – ein Netz sozialen Handelns“, das sich durch die Sekundarstufe I zieht
Projektdaten
Klassenstufen:
Sekundarstufe I
Anzahl der Schüler/innen:
180
Fachbereiche:
Religion, Werte und Normen;
Wochenstunden:
1
Das Projekt
Ziele und Vorteile des sozialen Gruppentrainings sind im gesamten Schulalltag wieder zu finden. Alle beteiligten Personen des Systems Stammgruppe sollen davon profitieren. Die Schüler/innen werden in ihrer kommunikativen Kompetenz und ihrem sozialen Miteinander gestärkt. Die Lehrkräfte profitieren von der verbesserten Kommunikationsfähigkeit der Schüler/innen, erleben sie in anderen Zusammenhängen und können eine bessere Atmosphäre im Unterricht erwarten. Die Sozialpädagog/innen haben die Chance, über eine Freizeitpädagogik hinaus Kinder in anders wahrzunehmen. Durch die regelmäßig stattfindenden Übungsstunden kann mit den Schüler/innen im Bereich des sozialen Miteinanders präventiv gearbeitet werden. Sie erarbeiten in den Stunden Verhaltensregeln und üben diese durch die Stundenstruktur gleichzeitig ein. Es entsteht ein kontinuierlicher Kontakt zu den Schülern und Stammgruppenleitern. So ist es früh möglich, die Ursache von Konflikten zu erkennen, da man mit der Gruppendynamik innerhalb des System Stammgruppe vertraut ist. Und es ist leichter, deeskalierend einzugreifen. Die Schüler/innen erleben Schulsozialarbeiter/innen nicht nur als Freizeitaktivisten, sondern als Personen, die im System Schule mit den Lehrkräften an einem Strang ziehen, wenn es um die Erarbeitung von Regeln für den täglichen Umgang miteinander geht. Es wird nicht erst reagiert, wenn etwas passiert ist, sondern aktiv daran gearbeitet, dass alle einen vernünftigen Umgang miteinander pflegen, bevor und wenn es zu Konflikten kommt. Da es immer dieselbe Person ist, die das soziale Gruppentraining in einer Stammgruppe durchführt, kann sich zu ihr ein Vertrauensverhältnis entwickeln. Bei Schwierigkeiten kann dies zu einer schnelleren Kontaktaufnahme auch zum Beratungsdienst führen. Das Einüben von Verhaltensweisen und -regeln wird im sozialen Gruppentraining von Sozialarbeitern/Sozialpädagogen durchgeführt, die keine Benotung abgeben. Die verschiedenen Übungseinheiten zielen darauf ab, soziale Fertigkeiten zu erlernen oder zu unterstützen. Dazu gehören die Ich-Stärkung zur Förderung des Selbstwertgefühls wie auch die Selbst- und Fremdwahrnehmung zur Erkennung der eigenen Gefühle und der Gefühle anderer und um sich selbst zu behaupten. Nonverbale und verbale Kommunikationsförderung dient als Grundlage kooperativen Handelns, und es werden Handlungsalternativen bei Konflikten thematisiert. Für Probleme und Konflikte in der Gruppe müssen Lösungen erarbeitet werden. Durch die Einbindung der Sozialpädagog/innen im Unterricht wird der Informationsfluss zwischen dem Ganztagsbereich und dem Unterrichtsbereich gefördert, was zu einer schnelleren Problemlösung bei Schwierigkeiten führen kann.
Der Auslöser
Unsere Beobachtungen aus der Arbeit mit dem jeweils neuen Jahrgang 5 zeigten, dass bestimmte Fähigkeiten wie Zuhören oder Ausredenlassen von den Schülerinnen und Schülern nicht automatisch mitgebracht wurden. Auch der Umgang mit Konflikten war unterschiedlich ausgeprägt. Und wir wollten so scheinbar nebensächliche Dinge wie andere auszulachen oder sich lustig zu machen steuern. Hier bot sich ein weites Feld der Entwicklung wichtiger Sozialkompetenzen, die bei inzwischen 30 Schülerinnen und Schülern pro Stammgruppe im Fachunterricht nicht immer geleistet werden können. Aus diesen Beobachtungen heraus wurde dann 1997 das „Soziale Gruppentraining“ an der IGS Wilhelmshaven entwickelt.
Der Weg
Die Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen führen mit der Stammgruppe das Sozialtraining durch, dessen Konzeption von ihnen stammt. Den Lehrerinnen und Lehrern wird vor Beginn eines neuen Jahrgangs 5 das Konzept vorgestellt, und sie lernen Art und Durchführung einiger beispielhafter Übungen kennen. In vielen Übungen sind die Lehrkräfte gleichberechtigter Teil der Stammgruppe. Um genauere Informationen und Einblicke in das System Stammgruppe zu bekommen, nahmen die Sozialpädagog/innen zuerst an den Verfügungsstunden und an den Arbeits- und Übungsstunden teil. Da gerade in den unteren Jahrgängen viel Zeit für organisatorische Punkte in den Verfügungsstunden beansprucht wurde, blieb ihnen wenig Zeit, Konflikte in der Stammgruppe aufzuarbeiten und somit Verhaltensveränderungen herbeizuführen. Die emotionale Intelligenz wird ausgehend von dem individuellen Verhalten und den notwendigen zwischenmenschlichen Kommunikationsmustern in Jahrgang 5 gefördert (Das Sozialtraining: Ich und die Gruppe) und in Jahrgang 6 weiter stabilisiert (Das Team – Stabilisierung der Gruppe: Wir sind ein Team!). In den Jahrgängen 7 und 8 sollen Kleingruppen ihren Alltag für einen bestimmten Zeitraum, zum Beispiel eine Klassenfahrt, zuverlässig planen (Selbstversorgung in der Gruppe: Wir schaffen was!). In Jahrgang 9 werden allgemeine gesellschaftliche Konventionen vermittelt, hinterfragt und neu formuliert (Der gute Ton und die feinen Sitten: Ich und die anderen). In Jahrgang 10 folgt dann das eigenverantwortliche Handeln mit anderen und für andere (Projekt „Soziales Handeln“: Ich tue was für andere!). Über die Jahrgänge der Sekundarstufe I hinweg ergeben sich verschiedene Projektschritte. Die jeweiligen Abschnitte sind teilweise aus unterschiedlichen Fachgruppen des Kollegiums entstanden und daher jeweils unterschiedlich im Unterricht bzw. dem Lernumfeld der Schüler/innen verankert. So erschien es uns sinnvoll, parallel zu dem sozialen Lernen, das in den Fachunterricht integriert werden kann, allein eine Stunde für die Gruppe zu gestalten. Aus der Unterrichtseinheit „Ich und die Gruppe“ des Fachs Religion, Werte und Normen entwickelte sich das vorgestellte Sozialtraining. Die Grundlagen für und die Begleitung von gruppendynamischen Prozessen erschienen uns in einer Klasse, die sechs Jahre zusammenbleiben wird, besonders wichtig, da damit vielleicht die Entwicklung der Gruppe und des Einzelnen sicherer verlaufen kann. Es entsteht eine gewisse Schwierigkeit dadurch, dass das soziale Lernen, das den ganzen Menschen und seine gesamte Lebenszeit umfasst, in einem einzelnen Unterrichtsfach aufgefangen schien. Den Schülerinnen und Schülern wurde manchmal erst sehr langsam klar, dass es sich um initiierte Erfahrungen handelt, die über die Unterrichtsstunde, die Schule, sogar über den Alltag hinausgehen. Viele ihrer Erfahrungen können sie im Rahmen unserer Ganztagsangebote ausprobieren. Wir bieten ihnen mit diesen Angeboten und den nötigen Freiräumen die Möglichkeit, ihre sozialen Kompetenzen mit den Jahren immer mehr zu entfalten und zu stärken. Die Unterrichtseinheiten sind für eine Schulstunde pro Woche konzipiert und werden mit der ganzen Stammgruppe und dem/der Stammgruppenleiter/in durchgeführt. Die Stunden des sozialen Gruppentrainings werden von den Sozialpädagog/innen geplant und gemeinsam mit den Stammgruppenleitungen durchgeführt und reflektiert. Das Gruppentraining ist auf ein Schuljahr ausgelegt und bewirkt nach unseren Erfahrungen auch nur über diesen kontinuierlichen Zeitraum das Erreichen der formulierten Ziele. Kürzer gefasste Einheiten können nur sporadische Anstöße vermitteln, aber keine komplexeren Lernprozesse zum Thema bewirken. Die einzelnen Unterrichtsstunden folgen einem besonderen Stundenverlauf. Zur Verdeutlichung gibt es eine Stundenverlauftafel, auf der die einzelnen Phasen abzulesen sind. Davon sollte nicht abgewichen werden. Sie dient den Schüler/innen als Orientierung, Struktur sowie visueller Reiz (Auflockerung durch Comics, Farben oder Schriften). Die Phasen der Stunden markiert der jeweilige Assistent (wird zu Beginn der Stunde vom Übungsleiter bestimmt) mit Hilfe einer Klammer. Die goldene Regel bzw. das Thema der Stunde ist während der ganzen Stunde präsent. Die Eingangsübung dient der Auflockerung oder auch der Entspannung, je nach Bedarf und Befindlichkeit der Gruppe. So wird sie auf das Thema der Stunde abgestimmt. Außerdem spielt die Neigung des Leiters oder der Leiterin eine Rolle. Für jede/n Schüler/in werden Ampelkarten in den Farben Rot, Gelb und Grün angefertigt und zu Beginn der Stunde an jedes Kind verteilt. Sie dienen der Einschätzung der eigenen Befindlichkeit. Am Ende werden sie zur Beurteilung der Übungen und der Bewertung des eigenen Regelverhaltens eingesetzt (Rot: Ich fühle mich schlecht. Die Übung hat mir nicht gefallen. Wir haben die Verhaltensregeln nicht befolgt. Gelb: Ich fühle mich mittelmäßig. Die Übung hat mir mittelmäßig gefallen. Wir haben die Verhaltensregeln mittelmäßig eingehalten. Grün: Ich fühle mich gut. Die Übung hat mir gut gefallen. Wir haben die Verhaltensregeln gut eingehalten.). Die goldene Regel ist eine Verhaltensregel, auf die in der jeweiligen Stunde besonders geachtet werden soll. Die Einführung von Verhaltensregeln kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Entweder entscheidet die Gruppenleitung darüber, oder sie werden von der Stammgruppe entwickelt. Die goldene Regel kann je nach Notwendigkeit oder Aktualität gewählt werden. So genannte Klassenregeln sind für den gesamten Schulalltag unerlässlich. Nach einer Prioritätenliste wird jede Regel so lange eingeübt, bis sie eingehalten wird; dann kann auf die nächste Regel übergegangen werden. Die abgearbeiteten Regeln werden im Klassenzimmer gut sichtbar aufgehängt und bleiben so fortlaufend im Blick sowie im Bewusstsein. „Das Thema heute“ ist eine Unterrichtseinheit, die nach dem Baukastenprinzip zusammengestellt wird. Sie richtet sich nach den Bedürfnissen und dem individuellen Stand der Gruppe. Zu den beschriebenen Zielen können einzelne und ergänzende Stunden durchgeführt werden. Durch spielerische Übungen sollen die Schüler die Verhaltensweisen des sozialen Miteinanders erlernen. Sie können die Inhalte erleben, spüren und ganzheitlich wahrnehmen. In gemeinsamen Reflexionen wird das Erlebte besprochen und Möglichkeiten für die Umsetzung im Alltag erarbeitet.
Probleme und Lösungen
Für das Kollegium der IGS ist wegen der Teamstruktur und der damit einhergehenden Absprachen über Unterrichtsinhalte oder Lernprobleme einzelner Schülerinnen und Schüler eine gewisse Offenheit gegenüber dem eigenen Unterrichtsgeschehen durchaus üblich. Dennoch war es für einige Lehrkräfte zunächst ungewohnt, als vor zehn Jahren in den Verfügungsstunden und den Arbeits- und Übungsstunden eine Sozialpädagogin saß. Sie fühlten sich viel stärker als die Schüler/innen beobachtet. Inzwischen werden sie sogar unmittelbar in das soziale Lernen und die gruppendynamischen Prozesse mit einbezogen. Sie müssen mitmachen. Das ist etwas völlig Neues! Zu Beginn waren aus dem Lehrerzimmer deutliche Vorbehalte zu vernehmen. Die Sozialpädagog/innen gehen an einem Tag zum Ende des Schuljahres, wenn sich das Jahrgangsteam auf den neuen Jahrgang 5 vorbereitet, in die Teamsitzung und stellen das Konzept vor. Sie führen auch Übungen mit den Kolleg/innen durch, sodass sie einen Eindruck von dem bekommen, was sie erwarten könnte. Manchen fällt es in den Unterrichtsstunden schwer, sich zurückzunehmen und die Übungen „nur“ mitzumachen, aber im Laufe der Zeit gelingt es auch den Lehrer/innen immer besser, sich dem Konzept als Teil der Gruppe anzuvertrauen. Die spezielle Art einer Fortbildung mit gleichzeitigem Werben für das Konzept, wie die Sozialpädagog/innen es in den einzelnen Jahrgängen jeweils machen, steht mit den Jahren auf einem zunehmend breiten Fundament an guten Erfahrungen und schafft Vertrauen in die zukünftige Arbeit.
Blitzlicht
In unserer Stammgruppe des Jahrgangs 6 war es in einer Pause im Klassenraum zu Tobereien gekommen. Dort sah in der folgenden Stunde entsprechend aus. Allen Schüler/innen war klar: So ein Verhalten gehört auf den Schulhof. In der Verfügungsstunde, die die Stammgruppe strukturiert und in der sie ihre Klassengeschäfte regelt, Ordnungsdienste einsetzt, Konflikte bespricht oder auch Vorhaben plant, brachte ich als Stammgruppenleiter den Vorfall zur Sprache. Der Kreis der Beteiligten wurde erwartungsgemäß immer kleiner, sodass sich die Diskussion auf wenige Jungen zuspitzte. Alle anderen, von denen ich es ebenso gehört hatte, dass sie mitgetobt hätten, beteuerten, ganz woanders gewesen zu sein oder zumindest in einer anderen Raumecke ziemlich ruhig gesessen zu haben. Nach längerer Diskussion, in der sich mit vielen Worten und voller Entrüstung einige Schülerinnen und Schüler von allem distanziert hatten, beendete auf einmal der Zwischenruf „Verdammt – wir sind ein Team!“ jede weitere Diskussion. Es entstand eine Situation, in der Einzelne ihren Anteil ruhig formulieren konnte – ohne vorschnelle Anschuldigen oder unnötige Zurückweisungen. Die Stammgruppe hatte in geradezu idealer Weise den Gesamtkonflikt gelöst. Natürlich war auch ich in all meinen Überlegungen, wie wir das Verhalten womöglich zu ahnden hätten, durch diese plötzliche Wendung der Diskussion gebremst. Erfreut griff ich diese offensichtliche Transferleistung auf, und wir sprachen ausführlich über die Erfahrungen und Möglichkeiten, die sich auf Grund des Sozialtrainings des vergangenen Schuljahrs für uns boten. In den folgenden Monaten war bei vielen Schülerinnen und Schülern eine deutlich erhöhte Aufmerksamkeit auf das Sozialklima der Stammgruppe, aber auch ihren eigenen Anteil daran zu beobachten. Vielleicht trägt es uns auch im nächsten Schuljahr?
Schule
Schulname
IGS Wilhelmshaven
Schulart
Integrierte Gesamtschule
Schulangebote
gebunden
Schulanschrift
IGS Wilhelmshaven Friedenstr. 105–111 26386 Wilhelmshaven
E-Mail
info@igswilhelmshaven.de
Anzahl der Schüler/innen
1250
Anzahl der Lehrer/innen
100
Sonstiges pädogogisches Personal
4 Sozialpädagog/innen, 7 Referendar/innen
Ansatz der Schule
regelmäßige stufenbezogene Projekte zur Sozialintegration; Konfliktlösung; Nichtraucher-Kampagnen
Zeitstruktur
Mo–Do: 7.45–15.40 Uhr Fr: 7.45–14 Uhr; Rhythmisierung: AG-Angebote nachmittags; Verzahnung von Unterricht, Essen und Ganztagsangeboten; Mittagsfreizeiten von je 45 Minuten: 5.–6. Klasse 2 x wöchentlich; 7.–8. Klasse 1 x wöchentlich.
Programme der Schule
N21-Medienprofilschule
Wettbewerbe der Schule
Umweltschule Europas; Join Multimedia
Sozialraum der Schule
städtisch, ländlich; einzige Gesamtschule in diesem Teil Niedersachsens, stark nachgefragt; alle sozialen Schichten
Besonderheiten
regelmäßiger Schüleraustausch mit Finnland, Frankreich und Polen; „Jugend recherchiert Umwelt“ in Zusammenarbeit mit dem Gymnasium Burg in Sachsen-Anhalt
Referenzen
Das Projekt hat den 2. Platz beim 1. Ganztagsschulwettbewerb „Zeigt her eure Schule“ belegt.<?xml:namespace prefix = o ns = „urn:schemas-microsoft-com:office:office“ />