… oder ein großer Wurf
Nach der Schule noch zum Sportverein? Das ist oft nicht leicht, gerade auch für Schüler in Brennpunktkiezen. Das Projekt „Alba macht Schule“ kommt direkt an Berliner Grundschulen – mit großem Erfolg.
Eine Reportage von Andreas Kuntoff
Ein sonniger Frühlingstag im Berliner Stadtteil Wedding, Prinzenallee, hier steht die Gesundbrunnen-Grundschule, ein stattlicher Backsteinbau in einem tristen Viertel. Viele Leute auf der Prinzenallee haben müde Gesichter, trotz Sonne und Frühlingswetter, ein sozialer Brennpunktkiez, große Armut, wenig Hoffnung.
Doch die Kinder im Hof der Schule sind hellwach: Es ist Sportunterricht in einer Klasse der Schulanfangsphase, die ersten beiden Klassenstufen werden gemeinsam unterrichtet. Die Klassenlehrerin Andrea Freiberg und Moritz Schäfer, Alba Jugendtrainer, begrüßen die Kinder: „Wer hat Lust auf Sportunterricht? Die Kinder johlen, alle Arme gehen in die Luft. Moritz Schäfer lächelt. Dass der studierte Sportwissenschaftler hier steht, ist einem Projekt des Basketballbundesligisten Alba Berlin zu verdanken: „Alba macht Schule“.
Mehr Sportstunden
Mit Unterstützung der Senatsverwaltung bietet Alba bereits an mehr als 40 Innenstadtgrundschulen Basketball – AGs an und organisiert eine Grundschulliga, in der die Kinder das Erlernte auch testen können. An bisher neun Grundschulen geht man noch einen Schritt weiter: An diesen „Grundschulen mit Sportprofil“ reicht das Spektrum von regulären Sportstunden mit einem Alba-Trainer, der den Sportlehrer unterstützt, bis hin zu drei zusätzliche Sportstunden mit Trainer. Die Gesundbrunnen-Grundschule ist eine dieser neun Schulen.
Henning Harnisch, Basketballlegende, ehemaliger Profispieler, ist heute Vizepräsident von Alba Berlin und verantwortlich für die Jugendarbeit. „Alba macht Schule“ ist sein Projekt. Bei jedem Satz spürt man die Leidenschaft und das Herzblut, mit dem der ehemalige Nationalspieler bei der Sache ist. Der Grundgedanke war zunächst ganz einfach: Um die Jugendarbeit des Vereins auszubauen, geht man dahin, wo die Schüler sind: an die Schulen. „Die Kinder sind von 8 bis 16 Uhr an der Schule. Warum sollte man da noch zwischen Schul- und Vereinssport trennen?“, fragt Harnisch und betont, wie wichtig die Arbeit gerade an Schulen in sozial schwierigen Gegenden ist: „Diese Kinder finden normalerweise nicht den Weg in einen klassischen Sportverein. Dort setzt „Alba macht Schule“ an.“
Sportbetonte Klassen
Konkret heißt das hier an der Gesundbrunnenschule: Alle Klassen der Schulanfangsphase werden in zwei der drei Sportstunden zusätzlich von einem Alba-Trainer unterrichtet. Das übernimmt neben Moritz Schäfer seine Kollegin Louisa Mühlenberg. Ab der 3.Klasse, erstmals in diesem Schuljahr, gibt es eine sportbetonte Klasse, mit zwei Sportstunden in der Woche mehr und Unterstützung eines Alba-Trainers.
Manduela Krüger leitet die Schule seit drei Jahren; „Unsere Kinder kommen meist aus bildungsfernen Elternhäusern, 95 Prozent der Kinder sind nichtdeutscher Herkunft, mindestens 90 Prozent der Eltern sind Empfänger von Transferleistungen. Die Erfolge im Sport beflügeln diese Kinder und zeigen ihnen, dass sie auch etwas wert sind.“ Das Erstaunliche: Die sportbetonte Klasse ist ausgesprochen leistungsstark, auch in den anderen Fächern. Sport als Motor für die schulischen Leistungen.
Sport als Kommunikationsübung
Der Unterricht bei Moritz Schäfer und Andrea Freiberg läuft auf Hochtouren, die Kinder sind mit Begeisterung bei der Sache. Ein Wettlauf, immer drei Kinder auf drei Bahnen, dann an der Seite zurück. Was sich einfach anhört, gestaltet sich mitunter schwierig. Die Kinder verstehen Kommandos nicht, laufen aus der Bahn, rasseln gegeneinander. Moritz Schäfer meistert die Stunde mit unendlicher Geduld, freut sich mit den Kindern über jeden noch so kleinen Erfolg. „Wir leisten hier ganz klare Erziehungsarbeit, das ist nicht immer leicht.“ Andrea Freiberg fügt hinzu: „ Das Schwierigste ist die Sprache, die Kinder können sich oft nicht verständigen. Aber wer Sport treibt, muss kommunizieren lernen. Das hilft uns sehr.“
Beim anschließenden Basketball nimmt die Stunde richtig Fahrt auf: Fünf Jungen gegen zehn Mädchen. Vedat ist der Spielmacher der Jungen, der Hochgewachsene spielt auch in Moritz Schäfers Basketball–AG. Vedat ist mit Feuereifer dabei. Drei Mädchen gehen aus dem Spiel, unterstützen als Cheerleader, feuern ihre Mannschaft frenetisch an. Als die Mädchenmannschaft dennoch zurückliegt, wechselt Vedat die Seiten, spielt ritterlich bei den Mädchen mit. Die Kinder verständigen sich blitzschnell, am Ende ist das Spiel ausgeglichen. Die Cheerleader jubeln.
Kulturelle Integration
„Das ist kulturelle Integration durch den Sport; wir bringen die Kinder dazu, über die Kiezgrenzen zu sehen, sich auch rauszubewegen“, sagt Manduela Krüger. Ein Höhepunkt im letzten Jahr: Eine Mannschaft der Gesundbrunnen-Grundschule spielte in der Halbzeitpause eines Alba-Spiels gegen eine Auswahl der Seidel-Grundschule, ebenfalls eine Brennpunktschule. Eine Reise aus dem Berliner Wedding in die O2-World. Manduela Krüger erzählt: „Es war ganz großartig, alle Eltern hatten Freikarten und wir sind dort hingereist. Die Eltern kommen sonst doch nicht raus aus dem Kiez, sie haben nicht teil am sozialen Leben dieser Stadt.“
„Was ist das für ein irrer Wert für ein Kind, wenn es Sport treibt, Spaß und Erfolg hat“, sagt Henning Harnisch und denkt an die Zukunft: „Bei uns spielen zur Zeit etwa tausend Mädchen und Jungen. Welche Strukturen braucht man, dass diese Tausend mit uns erwachsen werden? Daran arbeiten wir.“ Harnisch erzählt von seiner Jugend, seinem basketballverrückten Sportlehrer: „Die ersten Leute, mit denen man beim Sport in Berührung kommt, die stellen die Weichen.“
Kinder brauchen Vorbilder
Die Kinder an der Gesundbrunnenschule können solche Vorbilder brauchen. Doch draußen vor der Schule sind die richtigen Vorbilder selten. Manduela Krüger bringt es auf den Punkt: „ Wenn wir unsere Kinder und Jugendlichen erreichen, dann erreichen wir sie nur hier, an der Schule. Alles andere können die Eltern nicht leisten. Deshalb bin ich so glücklich über die Alba-Trainer, das sind Leuchtfiguren für unsere Kinder.“
Wieder ist eine Schulstunde vorüber: Vedat kommt mit einem Bild zu Moritz Schäfer. Ein Geschenk. Der Junge hat einen Basketballkorb gezeichnet und davor einen Spieler mit Ball, groß wie ein Leuchtturm – seinen Trainer.
Bildnachweis Gesundbrunnen-Grundschule
Datum: 23.04.2012
© www.ganztaegig-lernen.de