Der funktionelle Schulbau von gestern hat ausgedient. Die Ganztagsschule stellt Architekten und Schulträger vor die Aufgabe, Schulen so um- und auszubauen, dass sie dem neuen Verständnis von Schule und Unterricht gerecht werden.
Von Dr. Otto Seydel
Von der „belehrenden“ zur „lernenden“ Schule. Vom „Lernen im Gleichschritt“ zu einem Unterricht, der jedem Einzelnen gerecht wird. Von der Halbtagsschule zur Ganztagsschule. Vom gegliederten Schulsystem zur inklusiven Schule: Der aktuelle Wandel der Schule hat tiefgreifende Konsequenzen für ihre Bauten. Die klassische Flurschule mit ihren engen „Schuhkartonklassen“ taugt für einen modernen Unterricht nicht. Wie aber soll die Alternative aussehen? In welche Richtung werden sich Unterricht und Schule entwickeln? Beim Bau einer Schule darf nicht nur die heutige Situation berücksichtigt werden, sondern er muss auch für morgen und übermorgen taugen?
In zwölf Thesen1 werden die Konturen einer „zukunftsfähigen“ Schule angedeutet – und zwar speziell im Blick auf die Schnittstellen zwischen Pädagogik und Architektur, die bei der Planung eines Schulbaus bedacht werden müssen, sei es bei einer Sanierung, einem Erweiterungs- oder gar einem Neubau.
Vieles wird den pädagogisch erfahrenen Lesern im Folgenden selbstverständlich erscheinen – dem im wörtlichen Sinn „entscheidenden“ Partner beim Schulbau, dem Schulträger, aber ist es oftmals (noch) nicht selbstverständlich. Denn dessen Bild von Schule wurde den meisten Fällen geprägt in einer Zeit, die deutlich vor dem Paradigmenwechsel in der Schullandschaft lag. Manches wird den Lesern angesichts der Defizite in vielen deutschen Schulbauten „visionär“ erscheinen – dem Schulträger aber muss in Erinnerung gerufen werden, dass die hier angedeuteten gesellschaftlichen Anforderungen an Schule und Unterricht „real“ sind.
Die meisten Schulbaurichtlinien in Deutschland gingen in der Vergangenheit von einer fixierten Normierung in der Verknüpfung von Flächen und Funktionen aus. Schulbauten aus der jüngsten Vergangenheit – vor allem Beispiele aus dem Ausland – zeigen, dass nach der Fertigstellung des Baus die pädagogische Bewährungsprobe dann bestanden wird, wenn es gelungen war, diese überkommenen Fixierungen zu lösen. Nach den Vorstellungen von „guten Unterricht“, die das vergangene Jahrhundert dominierten, mögen diese Normierungen vielleicht sinnvoll gewesen sein. Mit dem elementaren Wandel des pädagogischen Paradigmas sind sie es nicht mehr. Dabei darf die aus heutiger Sicht notwendige Kritik der überkommenen Normierungen nicht dazu führen, sie vorschnell durch neue zu ersetzen. Der entscheidende Schritt wird in der Auflösung einer festgeschriebenen Verknüpfung von Fläche und Funktion bestehen. Die neue bauliche Orientierung, die aus dem veränderten Verständnis von Schule, Unterricht und Erziehung folgen muss, wird darum in dem folgenden Beitrag auch nicht im Sinne eines „y statt x“ dargestellt. Es heißt vielmehr „von x zu y“, also: „Vom Instruktionsraum zu vielfältig nutzbaren Räumen: Werkstätten, Bühnen, Ateliers“, „Vom engen Klassenzimmer zum teiloffenen Cluster mit Sicht- und Geräuschzonierungen“ u.s.w.
Über die daraus folgenden Konsequenzen für eine konkrete Schulbaumaßnahme wird von Fall zu Fall vor Ort zu entscheiden sein. Für den dann notwendigen Dialog zwischen Schule, Schulträger und Architekt bietet der Überblick über die gegenwärtige Schulbaudiskussion einen Vorschlag für die Agenda.
1Die Thesen sind ausführlich begründet und mit Realisierungsvorschlägen für den Planungsprozess versehen in: Montag Stiftungen Jugend und Gesellschaft / Urbane Räume (Hrsg.): „Schulen planen und bauen. Grundlagen und Prozesse.“ Jovis Verlag / Friedrich Verlag Nov. 2012. Vgl. dazu auch das Themenheft „Schule umbauen: Lernräume gestalten“ der Zeitschrift „Lernende Schule“ 3/2012.