12 Thesen zum Bau einer „zukunftsfähigen“ Schule

Abbildung eines Schulgebäudes - Rundbau

Der funktionelle Schulbau von gestern hat ausgedient. Die Ganztagsschule stellt Architekten und Schulträger vor die Aufgabe, Schulen so um- und auszubauen, dass sie dem neuen Verständnis von Schule und Unterricht gerecht werden.

Von Dr. Otto Seydel

Von der „belehrenden“ zur „lernenden“ Schule. Vom „Lernen im Gleichschritt“ zu einem Unterricht, der jedem Einzelnen gerecht wird. Von der Halbtagsschule zur Ganztagsschule. Vom gegliederten Schulsystem zur inklusiven Schule: Der aktuelle Wandel der Schule hat tiefgreifende Konsequenzen für ihre Bauten. Die klassische Flurschule mit ihren engen „Schuhkartonklassen“ taugt für einen modernen Unterricht nicht. Wie aber soll die Alternative aussehen? In welche Richtung werden sich Unterricht und Schule entwickeln? Beim Bau einer Schule darf nicht nur die heutige Situation berücksichtigt werden, sondern er muss auch für morgen und übermorgen taugen?

In zwölf Thesen1 werden die Konturen einer „zukunftsfähigen“ Schule angedeutet – und zwar speziell im Blick auf die Schnittstellen zwischen Pädagogik und Architektur, die bei der Planung eines Schulbaus bedacht werden müssen, sei es bei einer Sanierung, einem Erweiterungs- oder gar einem Neubau.

Vieles wird den pädagogisch erfahrenen Lesern im Folgenden selbstverständlich erscheinen – dem im wörtlichen Sinn „entscheidenden“ Partner beim Schulbau, dem Schulträger, aber ist es oftmals (noch) nicht selbstverständlich. Denn dessen Bild von Schule wurde den meisten Fällen geprägt in einer Zeit, die deutlich vor dem Paradigmenwechsel in der Schullandschaft lag. Manches wird den Lesern angesichts der Defizite in vielen deutschen Schulbauten „visionär“ erscheinen – dem Schulträger aber muss in Erinnerung gerufen werden, dass die hier angedeuteten gesellschaftlichen Anforderungen an Schule und Unterricht „real“ sind.
 
Die meisten Schulbaurichtlinien in Deutschland gingen in der Vergangenheit von einer fixierten Normierung in der Verknüpfung von Flächen und Funktionen aus. Schulbauten aus der jüngsten Vergangenheit – vor allem Beispiele aus dem Ausland – zeigen, dass nach der Fertigstellung des Baus die pädagogische Bewährungsprobe dann bestanden wird, wenn es gelungen war, diese überkommenen Fixierungen zu lösen. Nach den Vorstellungen von „guten Unterricht“, die das vergangene Jahrhundert dominierten, mögen diese Normierungen vielleicht sinnvoll gewesen sein. Mit dem elementaren Wandel des pädagogischen Paradigmas sind sie es nicht mehr. Dabei darf die aus heutiger Sicht notwendige Kritik der überkommenen Normierungen nicht dazu führen, sie vorschnell durch neue zu ersetzen. Der entscheidende Schritt wird in der Auflösung einer festgeschriebenen  Verknüpfung von Fläche und Funktion bestehen. Die neue bauliche Orientierung, die aus dem veränderten Verständnis von Schule, Unterricht und Erziehung folgen muss, wird darum in dem folgenden Beitrag auch nicht im Sinne eines „y statt x“ dargestellt. Es heißt vielmehr „von x zu y“, also: „Vom Instruktionsraum zu vielfältig nutzbaren Räumen: Werkstätten, Bühnen, Ateliers“, „Vom engen Klassenzimmer zum teiloffenen Cluster mit Sicht- und Geräuschzonierungen“ u.s.w.
Über die daraus folgenden Konsequenzen für eine konkrete Schulbaumaßnahme wird von Fall zu Fall vor Ort zu entscheiden sein. Für den dann notwendigen Dialog zwischen Schule, Schulträger und Architekt  bietet der Überblick über die gegenwärtige Schulbaudiskussion einen Vorschlag für die Agenda.
 

1Die Thesen sind ausführlich begründet und mit Realisierungsvorschlägen für den Planungsprozess versehen in: Montag Stiftungen Jugend und Gesellschaft / Urbane Räume (Hrsg.): „Schulen planen und bauen. Grundlagen und Prozesse.“ Jovis Verlag / Friedrich Verlag Nov. 2012. Vgl. dazu auch das Themenheft „Schule umbauen: Lernräume gestalten“ der Zeitschrift „Lernende Schule“ 3/2012.

 

12 Thesen
1: Lernen braucht Ruhe, Licht und Luft.

Von ungesunden Räumen zu konsequenter Schallreduktion, mehr Licht, großen Bewegungsflächen

2: Lernen benötigt unterschiedliche Perspektiven und aktive Zugänge.

Vom Instruktionsraum zu vielfältig nutzbaren Räumen: Werkstätten, Bühnen, Ateliers

3: Gelernt wird allein, zu zweit, in der Kleingruppe und im Klassenverband.

Vom engen Klassenzimmer zur differenzierten Lernlandschaft

4: Förderung in einer inklusiven Schule geschieht in heterogenen Gruppen.

Von getrennten Schulstandorten zur inklusiven Schule

5: Ganztagsschule heißt Lernen, Toben, Verweilen, Reden, Essen und vieles mehr – in einem gesunden Rhythmus.

Von halligen, dunklen Fluren zu abwechslungsreichen Aktionsflächen außen und innen

6: Lehrer arbeiten nicht als „Einzelkämpfer“, sondern im Team.

Vom überlasteten Lehrerzimmer zu Teamstationen und Lehrerarbeitsplätzen

7:Schulbuch und Kreidetafel werden ergänzt durch Tablet-PC und Smartboard.

Von abgeschlossenen Komplettlösungen zu „Leerrohren“

8: Kulturelles Lernen ist der Eckstein der Bildung.

Vom reinen Funktionsbau zum sensibel gestalteten Ort

9: Kinder und Jugendliche brauchen eine gesunde Umgebung.

Vom Pausenhof zu Bewegungslandschaften;  vom Speiseraum zur „Mensa Plus“.

10: Schule ist im Umgang mit Umwelt und Technik ein Vorbild.

Von unsichtbarer Gebäudetechnik zu begreifbaren Modellen

11: Der demokratische Staat benötigt eine demokratische Schule.

Von einer Schule ohne Mittelpunkt zu einem gemeinsamen Ort für die Schulgemeinde

12: Die Schule öffnet sich zur Stadt. Die Stadt öffnet sich zur Schule.

Von der geschlossenen Schule zur wechselseitigen Nutzung zentraler Funktionsbereiche

Die Thesen:

1: Lernen braucht Ruhe, Licht und Luft

Ein Kopf benötigt zum erfolgreichen Lernen seinen ganzen Körper. Dies zielt auf einfache Dinge wie „sich ausreichend bewegen“, „richtig hören“, „gut sehen“, „richtig atmen“ können. Die entsprechenden Rahmenbedingungen wurden in der Vergangenheit oftmals sträflich vernachlässigt: Unzureichende Lichtverhältnisse, schlechte Luft, überheizte Räume, bedrängende Enge im Unterrichtsraum und eine katastrophale Akustik. Lehrer und Schüler hatten sich daran gewöhnt, dies so hinzunehmen, wie man schlechtes Wetter akzeptiert – als etwas Unveränderliches. Diese Faktoren aber gehören zu den vermeidbaren Stressoren, die Lernen schlicht verhindern oder zumindest sehr erschweren. Darum stehen sie hier an erster Stelle.

 

Von ungesunden Räumen zu konsequenter Schallreduktion, mehr Licht, großen Bewegungsflächen

Für Neubauten von Schulen gelten inzwischen hohe Standards. Altbauten dagegen bergen häufig brisante Probleme, vom Schimmelpilz und Giftstoffen bis zu unerträglich langen Nachhallzeiten. Vorrang muss die körperliche Gesundheit haben, direkt anschließend sind die Belastungen durch schlechte Akustik und schlechte Luft zu reduzieren: konsequente Schallreduktion (auch in Treppenhäusern und Turnhallen), mehr Licht und bessere Lüftung, ausreichend Bewegungsfläche innen und außen.

2: Lernen benötigt unterschiedliche Perspektiven und aktive Zugänge

Die Erfindung der alten Schule basierte auf der Annahme, dass es möglich und nützlich sei, die Schüler mit möglichst vielen Details aus dem gesamten Kosmos des Wissens vertraut zu machen. Aktivitäten wie Sammeln, Abschreiben, Nachsagen u.s.w. waren dominant. Das Zeitalter enzyklopädischer Gelehrsamkeit aber ist vorbei. Die Halbwertszeit wissenschaftlicher Erkenntnisse liegt unter zehn Jahren. Fast alles, was aktuell gewusst werden kann, ist inzwischen von einem internetfähigen Handy aus zu jeder Zeit von jedem Ort der Welt mit einem Click abrufbar. Der Schlüsselbegriff für Lebenstauglichkeit heißt nicht nur „Wissen“, sondern vor allem „Können“. Gemeint sind Aktivitäten wie: „sich eigenständig Informationen beschaffen“, diese Informationen „für Problemlösungen nutzen“, „kritisch hinterfragen“, „verständlich weitergeben“. Die Aufgabe heißt nicht mehr nicht mehr Problemlösungen lernen, sondern Probleme lösen lernen , nicht mehr „Antworten auswendig lernen“, sondern „die richtigen Fragen stellen“. Vokabeln, Daten, Formeln müssen selbstverständlich auch weiterhin geübt werden – um die richtigen Fragen stellen zu können. Lernen als Basis der Bildung heißt:

  • eigenständig Gestalten und Muster entdecken, Regelmäßigkeiten und Abweichungen erkennen, Zusammenhänge über mögliche Ursachen und Wechselwirkungen herstellen;
  • selbst experimentieren;
  • selbst etwas darstellen in Szene, Bild oder Text;
  • aus Fehlern Konsequenzen ziehen;
  • Neues imaginieren;

Lernen schließt notwendig immer auch Rekonstruktion bereits bekannten Wissens ein – aber dies ist kein Prozess bloßer Nachahmung, sondern ein aktiver Aneignungsvorgang, der das Anzueignende modifiziert, bricht, verändert. Lernen ist also ein aktiver und interaktiver Prozess. Alle Sinne müssen beteiligt sein können. Es gilt, verschiedene Zugänge zum Lernen zu ermöglichen, die der Vielfalt unterschiedlicher Lerntypen entsprechen. Können rangiert vor Wissen. Dafür muss das Lernen selbst gelernt werden. Kinder und Jugendliche werden sich ihres Lernens dann bewusst, wenn sie vielfältige und häufige Perspektivwechsel einnehmen können: hier Zuhörer, dort Redner, hier Beobachteter, dort Beobachter, hier Lerner, dort Lehrer usw.

 

Vom Instruktionsraum zu vielfältig nutzbaren Räumen: Werkstätten, Bühnen, Ateliers

Für dieses andere Lernen ist der konventionelle Klassenraum weitgehend ungeeignet. Er muss zu einer großflächigen „Werkstatt“ werden, die – für die oberen Klassen – durchaus sinnvoll ergänzt werden kann z.B. durch einen klassischen „Hörsaal“ für strenge Instruktionsphasen. Dazu kommen Lager, Leseplätze, Präsentations- und Ausstellungsflächen. Außenanlagen erweitern die Aktionsfelder, geben Platz für Experimente und Inspiration, für einen Schulgarten und manchmal sogar für Tiere. Monofunktionale ausstattungsintensive Fachräume werden in begrenzter Zahl – wiederum vor allem in den oberen Klassenstufen – auch weiterhin benötigt: naturwissenschaftliche Laborplätze, Musikraum mit besonderer Schallisolierung, Töpferei, technische Werkstätten für Holz, Metall, Elektronik etc.

3: Gelernt wird allein, zu zweit, in der Kleingruppe und im Klassenverband

Kein Kind lernt alleine. Lernen braucht Vorbilder, Anerkennung und Auseinandersetzung. – Und zugleich: Jedes Kind, jeder Jugendliche lernt verschieden. Lernen findet im eigenen Kopf, im eigenen Körper statt, im eigenen Tempo, an unterschiedlichen Themen, auf ganz verschiedenen Wegen. Für den konstruktiven Umgang mit dieser Verschiedenheit gibt es eine Bedingung: Die Organisation der Arbeitsformen muss variabel sein, um individualisierendes Lernen zu ermöglichen und soziale Kompetenzen zu fördern. Für die zeitliche Verteilung heißt die Faustformel:

  • 30 % allein, jede/r für sich – aber nicht allein gelassen, sondern mit klaren und verbindlichen, kontrollierbaren Arbeitsaufträgen und Erfolgserlebnissen;
  • 30 % in der Kleingruppe (zwischen zwei und sechs Lernende), die systematisch in kooperatives Arbeiten eingeführt werden;
  • 10 % im Kreis der Klasse (im Idealfall 15 bis 20 Lernende), in dem jede/r jede/n sehen kann, damit alle wirklich miteinander sprechen und gemeinsame Angelegenheiten aushandeln können;
  • 30 % frontal, also über den klassischen Lehrer- oder Schülervortrag oder über das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch.

Übersteigt die Größe einer sozialen Einheit 120 Personen, verstärkt sich der Prozess der Anonymisierung, der Verantwortungsdiffusion, des nicht mehr kontrollierbaren Vandalismus. Die Einsicht in den Zusammenhang zwischen Zahl der Menschen und Qualität des Sozial- und Arbeitsklimas hat für die Schule erhebliche Konsequenzen. Dabei müssen wir keineswegs zurück zur Zwergschule. Die Lösung liegt in der Bildung von teilautonomen Untereinheiten (z.B. „Cluster“), die Schülern wie Lehrern räumlich und sozial eine „Beheimatung“ erlauben und zugleich die beschriebene Variabilität der Unterrichtsorganisation ermöglicht. Diese Cluster werden von handlungsfähigen Lehrerteams (sechs bis zwölf Kollegen) organisiert – sei es als Jahrgangsteams, sei es als Fachteams.

 

Vom engen Klassenzimmer zur differenzierten Lernlandschaft

Zwei bis sechs Klassen- oder Lernräume werden zu einem „Cluster“ oder einer noch weiter differenzierten Lernlandschaft zusammengefasst. Multifunktional zugeordnet sind Erschlie-ßungsflächen und Gruppenräume, mit einsehbaren Zwischenräumen und Nischen, Sicht- und Geräuschzonierungen. Zugeordnet sind ebenfalls: Sanitäranlage, Eingangszone, Außenbereich sowie ein Lehrerstützpunkt mit Besprechungstisch und Arbeitsplätzen. In Oberstufenzentren können sich gegebenenfalls mehrere Cluster ein „Auditorium“, einen regelrechten Hörsaal, teilen. Das Clusterkonzept ist nutzbar für ganz unterschiedliche Organisationsprinzipien einer Schule: es kann Jahrgangsstufen oder jahrgangsübergreifende Klassenfamilien aufnehmen. Aber auch ein Fachraumprinzip – für ältere Schüler – lässt sich mit diesem Konzept verbinden. An die Stelle der Jahrgänge treten die Fachbereiche: Es entstehen Deutsch-Cluster, Mathematik-Cluster, naturwissenschaftliche Cluster etc.

4: Förderung in einer inklusiven Schule geschieht in heterogenen Gruppen

Der Schritt zur inklusiven Schule in Deutschland ist unumkehrbar – nicht zuletzt seit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch die Bundesrepublik im Jahr 2009. „Inklusion“ meint: Jede Schule respektiert die Einmaligkeit jedes Einzelnen und nutzt zugleich die Unterschiedlichkeit zu wechselseitiger Unterstützung. Niemand wird ausgeschlossen. Es geht um unterschiedliche Ausprägungen der persönlichen Entwicklung, der körperlichen und geistigen Stärken wie Schwächen. Die Inklusionsforderung zielt also nicht etwa nur auf die Einbeziehung behinderter Menschen, sondern thematisiert alle Diskriminierungen – des sozialen oder migrationsbedingten Hintergrunds, des Geschlechts u.a.m. Aus dem täglichen Kontakt mit der Unterschiedlichkeit der Menschen erwachsen – eine entsprechende Förderung vorausgesetzt – soziale, kognitive und emotionale Qualifikationen, die ohne diese Erfahrungen gemeinsamen Lernens nicht möglich wären. Die Ergebnisse anderer Länder zeigen, dass dies auch und gerade für ausgesprochen leistungsstarke Kinder und Jugendliche gilt.

 

Von getrennten Schulstandorten zur inklusiven Schule

Im Blick auf die Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen ist zum einen Barrierefreiheit gefordert. Dies betrifft Erschließung (Rampen, rollstuhlgerechte Flur- und Türbreiten, Aufzug etc.), Leitsystem, Bedienelemente etc. Zum anderen gilt es, eine Fülle an weichen Kriterien für die Unterstützung heterogener Gruppen zu beachten. Die Forderungen nach Öffnung und Differenzierung (etwa durch die Clusterbildung) erhalten hier nochmals eine zusätzliche Begründung, da sich in der inklusiven Schule das Spektrum der Lernformen deutlich erweitert. Zum Anforderungskatalog einer inklusiven Schule zählen darüber hinaus weitere Räume / Flächen (integriert in die Cluster) für

  • spezifische Sanitäranlagen
  • temporären sonderpädagogischen Förderbedarf
  • Beratung und Therapie
  • Ruhe- und Bewegung.

Insbesondere Schüler und Schülerinnen mit sozial-emotionalen Störungen, die bislang in entsprechend ausgestatteten Sonderschulen separiert waren, haben ein hohes Bewegungs- und Ruhebedürfnis. Dies muss zwingend bei der Festlegung der Flächen zusätzlich berücksichtigt werden, andernfalls ist mit erheblichen neuen Belastungen für alle Beteiligten zu rechnen. Die Arbeitsplätze für Lehrende und pädagogisches Fachpersonal dürfen nicht getrennt angeordnet werden – der täglich Austausch hat eine zentrale Bedeutung. Praxisbezogener Unterricht erhält vor allem für Schüler mit Lernschwierigkeiten eine zusätzliche Bedeutung; die entsprechenden Werkstätten müssen entsprechend ausgebaut und qualifiziert werden. Nicht alle Räume können und müssen in jeder inklusiv arbeitenden Schule bereitgestellt werden. Dies hängt primär von der Frage ab, welche Schüler mit welchem Assistenzbedarf an welcher Schule aufgenommen werden. Jede Beschränkung dieser Art kann jedoch Exklusion bedeuten und zu einer »heimlichen« Weiterführung des aussondernden Förderschulkonzepts verleiten. Nicht zuletzt aber aus finanziellen Gründen und um der Konzentration von besonderen Unterstützungskapazitäten willen wird vermutlich die Einrichtung von Schwerpunktschulen mit Förderschwerpunkten der Regelfall werden. Deutlich ist: Nutznießer dieser Erweiterungen einer inklusiven Schule sind in jedem Fall alle Schülerinnen und Schüler.

5: Ganztagsschule heißt Lernen, Toben, Verweilen, Reden, Essen und vieles mehr – in einem gesunden Rhythmus

Mittelfristig ist damit zu rechnen, dass die gebundene Ganztagsschule (alle Schülerinnen und Schüler sind von 8 bis 16 Uhr in der Schule) die zurzeit noch vielerorts praktizierte freiwillige Ganztagsschule ablösen wird. Der gebundene Ganztag sichert nicht nur die Unterbringung der Kinder und Jugendlichen, wenn beide Eltern berufstätig sind. Er trägt auch entscheidend dazu bei, ein Mindestmaß an Bildungschancen für alle zu ermöglichen, ohne die Förderung besonderer Begabungen auszuschließen. Mit dem Ganztag wird die Schule zum Lern- und Lebensort. Andere Zeiten und Räume werden wichtig. Arbeit, Kommunikation und Regeneration müssen in eine altersangemessene Balance gebracht werden. Schule heißt jetzt nicht mehr nur Lernen, sondern – in deutlich größerem Umfang als bisher – auch Bewegen, Spielen, Toben, Verweilen, Reden, Essen und vieles mehr. War die Schule früher vorwiegend auf den Vormittag begrenzt und wurden anschließend die Eigenarbeiten der Lernenden wie die Unterrichtsvorbereitungen der Lehrenden zu Hause erledigt, so verschiebt sich das Zeitgefüge jetzt grundlegend. In der „alten“ Schule ging es um eine Optimierung der Instruktion im 45-Minutentakt. In heutigen Ganztagsschulen werden andere Zeitprofile erkennbar:

  • Ankommen in einer Gleitzeit: lesen, üben, spielen, schwatzen u.a.m.
  • Instruierender Unterricht: schüleraktiv oder frontal
  • Essen und Trinken sowie Bewegung und Erholung
  • Individuelle Interessen- und Neigungsbildung
  • Gemeinsame Projekte
  • Verlassen der Schule, wieder als Gleitzeit.

Der pädagogische Mehrwert des Ganztags ist vollständig nur in der gebundenen Form erreichbar. Denn sie ermöglicht, den „ganzen Tag“ integriert zu planen. Mit der unmittelbaren Verschränkung von intentionalem und nicht-intentionalem Lernen in einem gesunden Rhythmus entstehen neue Qualitäten, wenn es gelingt, dass Lehrer und Erzieher, akademische Ausbildung und offene Begleitung aufeinander bezogen werden und nicht in einem Vormittags- / Nachmittagskonzept getrennt nebeneinander her laufen. Mit einem planvoll rhythmisierten, integrierenden Ganztagskonzept ergeben sich zugleich erhebliche Synergie- und Einsparungseffekte beim Raumbedarf, da Unterrichts- und Ganztagsbereiche wechselseitig genutzt werden können.

 

Von halligen, dunklen Fluren zu abwechslungsreichen Aktionsflächen außen und innen

Die Ganztagsschule braucht nicht nur eine Mensa, sondern genauso auch Spiel- und Sportzonen, Verweilorte für stilles Arbeiten, Bolzplatz und Kletterwand, Nischen zum Nichtstun, Cafeteria mit Spielesammlung und Internetplätzen u.v.m. Neue Ganztagsflächen werden zugleich für Unterrichtselemente genutzt, die das traditionelle Klassenzimmer sprengen würden, Ganztags-Aufenthaltsbereiche können jeweils an die „Cluster“ angeschlossen werden, sodass eine effiziente Mehrfachnutzung über den „ganzen Tag“ möglich wird. Ein Ort, an dem man sich als Schüler wie als Lehrer den ganzen Tag gern aufhält, braucht atmosphärische Dichte, haptische Erfahrbarkeit, ausgeprägte Materialität und räumliche Vielfalt. Eine große Schule muss in überschaubare Bereiche gegliedert sein, die den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen das Gefühl einer einladenden Lebenswelt vermitteln. Für die Konzeption dieser „Landschaftsarchitektur des Lernens“ gilt es einen komplexen Zielkonflikt auszubalancieren: Die Schüler auf der einen Seite wollen Rückzugsräume – die Lehrer auf der anderen sind zur Aufsicht verpflichtet. Selbständigkeitsparadigma und Kontrollparadigma müssen auch architektonisch in Einklang gebracht werden.

6: Lehrer arbeiten nicht als „Einzelkämpfer“, sondern im Team

Die effektive Zusammenarbeit in funktionsfähigen Teams ist ein entscheidender Schlüssel zur Verbesserung der Schulqualität. Vom kollektiven Erfahrungsschatz des Kollegiums können alle profitieren. Unterschiedliche Formen der kollegialen Kooperation in einer Schule haben sich in der Praxis bewährt:

  • das Jahrgangsteam oder Klassenlehrertandem, das eine Schülergruppe über mehrere Jahre kontinuierlich und mit dem Hauptanteil ihrer Arbeitszeit begleitet;
  • die Werkstatt für eine gemeinsame Unterrichtsplanung und Materialentwicklung im Fachbereich;
  • das Hospitationsteam, das sich zum kollegialen Unterrichtsbesuch und zur Unterrichtsreflexion zusammensetzt.

Vom überlasteten Lehrerzimmer zu Teamstationen und Lehrerarbeitsplätzen

Die mit dem neuen Verständnis von Unterricht, Lernen und Erziehung verbundenen Anforderungen an den Arbeitsplatz der Lehrerinnen und Lehrer können durch das klassische Lehrerzimmer nicht abgedeckt werden. Bislang sollte das Lehrerzimmer sowohl individuelles Arbeiten, Kommunikation als auch Konferenz vereinen – und war damit funktional weitgehend überfrachtet. Stattdessen bedarf es der räumlichen Differenzierung von fünf Funktionen:

  • (a) Kommunikation: An zentraler Stelle sollte in einer loungeartigen Teeküche, Cafeteria o.ä. die Möglichkeit gegeben sein, dass sich die Lehrenden in unterrichtsfreien Zeiten treffen und austauschen.
  • (b) Konferenz: Für die Gesamtkonferenzen kann ein Multifunktionsraum genutzt werden, der im Alltag für Unterrichtszwecke zur Verfügung steht. Der tägliche aktuelle Informationsbedarf, der alle erreichen muss, wird z.B. durch Intranet sowie durch »elektronische schwarze Bretter« abgedeckt.
  • (c) Besprechung: In den Teamstützpunkten – sei es auf Jahrgangsebene oder auf Fachbereichsebene – muss ein ausreichend großer Konferenztisch für das Team Platz finden.
  • (d) Individuelle Arbeitsplätze: Insbesondere in Ganztagsschulen muss für jede Lehrerin und jeden Lehrer bei Bedarf ein Arbeitsplatz zur Verfügung stehen. Diese können in Jahrgangs- oder Fachraumcluster integriert werden. Günstig erscheint in jedem Fall die Gruppenbildung. Für die Kapazitätsberechnung darf die Vielzahl der Teilzeitarbeitsstellen, Referendare und Praktikanten ebenso wie das pädagogische Fachpersonal nicht vergessen werden.
  • (e) Rückzugsorte: Ruheräume – eventuell sogar ein Fitnessbereich – tragen wesentlich zur Regeneration im phasenweise sehr belastenden Unterrichtsalltag bei.

7: Schulbuch und Kreidetafel werden ergänzt durch Tablet-PC und Smartboard

Das Grundmuster für den Unterricht der alten Schule entstand, als es weder Computer noch Fernsehen, weder Wikipedia noch YouTube gab. Der Lehrer war nach den Eltern das zweite „Tor“ zu den Welten, die jenseits des unmittelbaren Erfahrungsfeldes des Kindes lagen. Das hat sich mit den modernen Medien radikal geändert. Schule und Kirche haben ihr ehemaliges „Monopol“ für Welterklärungen endgültig verloren. Damit ist für den Lehrer ein gewaltiger Rollenwechsel angesagt. Die Inszenierungsperfektion von Fernsehfilmen und Computersimulationen wird der Lehrende nie erreichen können. Umso wichtiger aber wird sein persönliches Vorbild in der Auswahl und Deutung dieser Welten. Denn die neuen Medien machen für die Schüler nur „Sekundärerfahrungen“ möglich – nicht aber wirklich bildende „primäre“ Erfahrungen: die persönliche Begegnung mit Menschen und Sachen selbst. Gleichwohl ist der Vormarsch des Computers auch in der Schule unaufhaltsam. Der Lehrer wird sich im Unterricht der modernen Medien bedienen wie er bislang schon immer Medien – Schulbuch, Landkarte und Overheadprojektor – benutzt hat. Bald wird es „normal“ sein, dass ein internettauglicher Tablet-PC den Inhalt des übervollen Schulranzens ersetzt. Selbstkorrigierende Lernprogramme werden die Überschwemmung mit Abertausenden von Arbeitsblättern stoppen. Das interaktive Smartboard oder der I-Pen haben mancherorts die klassische Kreidetafel bereits unwiederbringlich ersetzt. Zugleich kommt auf die Schule – gleichsam in einer Gegenbewegung – eine wichtige kompensatorische Aufgabe zu: Gerade um der humanen Nutzung der modernen Technik willen muss die Schule einen Schritt „zurück gehen“. Denn die moderne Technologie bietet nur Prothesen. Die neue Schule muss gewiss den Gebrauch dieser Hilfsmittel üben und sie nutzen. Aber sie muss ebenso und verstärkt die Eigenkräfte der Kinder und Jugendlichen mobilisieren, sonst verkümmern sie. Vor und mit der Nutzung der perfekten Werkzeuge gilt es, die Gestaltungskraft der eigenen Sinne, der eigenen Hände, des eigenen Körpers entwickeln. Und – was vielleicht noch wichtiger ist – die neue Schule muss angesichts der ungeheuren Beschleunigung, die die digitale Technik ermöglicht hat, systematisch verlangsamen: den eigenen Sinneseindrücken Zeit geben, den zweiten und dritten Blick zulassen, den inneren Impuls abwarten.

 

Von abgeschlossenen Komplettlösungen zu „Leerrohren“

Die architektonischen Neuerungen, die mit der neuen Technik einhergehen, sind vergleichsweise harmlos. Mit Labtopwagen und Tablet-PCs werden Computerräume überflüssig. Es reicht, W-LAN-Punkte, Beamerhalterung und vor allem Leerrohre – für heute unabsehbare technische Neuerungen – vorzusehen. Für die systematische Verlangsamung aber, für die Wiederentdeckung der eigenen Hände werden diejenigen Räume endgültig unverzichtbar, die bereits genannt wurden: Werkstätten und Ateliers, großzügiges Außengelände, Bühne – und auch in Internetzeiten: eine Bibliothek.

8: Kulturelles Lernen ist der Eckstein der Bildung

Lernen wird nicht mehr als eindimensional sprachlich-logisches oder mathematisch-operatives Lernen betrachtet, sondern schließt gleichberechtigt die Erweiterungen in Richtung musikalischen, emotionalen, räumlich gestalterischen Lernens mit ein. Je stärker „kognitive“ Lerninhalte mit diesen anderen Lernbereichen verknüpft werden können, desto umfassender werden Behaltensleistungen unterschiedlicher Lerner sein können. Die ästhetische Dimension allerdings darf nicht in diesem Sinn vorrangig zu einer bloßen Unterstützungsleistung für das angeblich „eigentliche“ Lernen verkürzt werden. Kultur ist viel zu kostbar, als dass sie solchermaßen „funktionalisiert“ werden dürfte. Sie hat einen unüberbietbaren Eigenwert und ist der Eckstein jeglicher „Bildung“. Nicht zuletzt auch vor dem beschriebenen Hintergrund der Medien-Welten, die die Schüler allzu leicht in passive Konsumentenrollen treiben können, müssen Theaterspielen und Tanzen, Singen und Gestalten in vielerlei Varianten zur Hauptsache werden – im „Tun“, nicht im bloßen „Darüber-Reden“. Dieses „Lernen durch Tun“ erfordert ein aktivierendes Setting. Dieses Setting sieht anders aus als das für den traditionellen paper & pencil- Unterricht! Die Marginalisierung von Kunst, Musik und Theater in sogenannten Nebenfächern und Arbeitsgemeinschaften ist einer der großen Irrtümer der deutschen Lehrplanentwicklung. Die Antwort auf den PISA-Schock hätte nicht heißen müssen: „noch weniger“, sondern „mehr davon“! Schulen sind kulturstiftende Orte. Als solche können sie allerdings nicht alle kulturellen Felder in gleicher Intensität bestellen. Schulen müssen sich profilieren. So braucht nicht jede kleine Schule alle künstlerischen Themen jeweils vollständig in einem Haus vereinen. Aber einen eigenen Schwerpunkt kann sie setzen, und in diesem ein Stück Professionalität erreichen. Dazu braucht sie auch die richtigen Räume.

 

Vom reinen Funktionsbau zum empfindsam gestalteten Ort

Zur ästhetischen Bildung trägt der Schulbau selbst bei. Das Spiel mit Licht und Farben, die sinnlichen Qualitäten der Materialien, die Proportionen der räumlichen Gliederung, seine Einbettung in die Umgebung können Architektur zur Kunst werden lassen. Das Bauwerk könnte in den 10- 15.000 Stunden, die ein junger Mensch in der Schule verbringt, eine bildende Kraft entfalten, die über jede kunstgeschichtliche „Belehrung“ hinausgeht. So erhält die Schule ein Gesicht, nicht nur durch ansprechende Farben und gemütliche Vorhänge. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass eine vollständige »Vandalensicherheit« möglich sei, indem alles massiver, abwaschbarer, aseptischer wird. Stattdessen: Je deutlicher die Schülerinnen und Schüler die Qualitäten des Gebäudes und der Einrichtung sehen, anfassen und verstehen können, desto mehr steigt die Bereitschaft, achtsam und verantwortungsbewusst damit umzugehen.

9: Kinder und Jugendliche brauchen eine gesunde Umgebung

Aktuelle Gesundheitsstudien bei Kindern und Jugendlichen zeichnen ein beunruhigendes Bild über massive Defizite bei einer wachsenden Gruppe. Zwei Schlüssel für die Lösung des Problems heißen: Bewegung und Ernährung. Schulen sollen „gesunde“ Orte zum Aufwachsen sein: Gegengewichte zu Bewegungsmangel und unausgewogener Ernährung, mit Ausgleichsmöglichkeiten zum Stillsitzen. Manche Schulen versuchen dies, indem sie mindestens eine Stunde Sport pro Tag ansetzen. Andere integrieren Bewegung in den Unterricht. Pausenkiosk und Mittagsmensa müssen eine gesunde Ernährung sichern helfen. In manchen sozialen Brennpunkten ermöglicht erst eine kostenlose Frühstücksversorgung der Schule die notwendige morgendliche Mahlzeit.

 

Vom Pausenhof zu Bewegungslandschaften; vom Speiseraum zur „Mensa Plus“

Räume zur Bewegung dürfen nicht auf Turnhalle und Sportplatz begrenzt sein. Bewegungsflächen in der Nähe der Unterrichtsräume sind notwendig. Ideal wäre, wenn alle Unterrichtsräume unmittelbar an Außenflächen angebunden sein könnten – wenigstens als Balkon oder Terrasse. Der Außenbereich ist in drei Zonen – Ruhe, Spiel- sowie Sportbereich – gegliedert, mit vielfältigen Bewegungsanregungen (Klettergerüst /Kletterwand, Schaukeln, Tischtennis, Beachvolleyball, Bolzplatz u.ä.), schattigen Sitzgelegenheiten, Wasserlauf etc. Die Umgebung der Schule ist weitgehend emissionsfrei (Rauch, Staub, Verkehr, Lärm und Gerüche). Die Vorschriften für Brandschutz, Sturzsicherung etc. werden eingehalten, ohne dass sie das pädagogische Programm der Schule behindern. Der Mensa kommt im Zusammenhang mit dem Gesundheitsthema eine Schlüsselstellung zu. Die Küche muss nicht nur gesundes, d.h. weitgehend frisch zubereitetes Essen bereitstellen können; der Ess- und Aufenthaltsbereich muss geräumig und akustisch gedämpft sein. In vielen Schulen wird das Kernprogramm „Essen“ um weitere Nutzungsbausteine erweitert: Leselounge, Internetcafé, Aufenthalts- und Ruhebereich, Beratungsraum der Jugendhilfe, offener Spieletreff, zuschaltbare Aula etc. Auch die Mensa sollte möglichst über einen zugeordneten Freibereich verfügen.

10: Schule ist im Umgang mit Umwelt und Technik ein Vorbild

Die Relevanz der Umwelt- und Nachhaltigkeitserziehung bedarf angesichts des Klimawandels und des Raubbaus an natürlichen Ressourcen keiner besonderen Begründung. Die Schule muss ein positives Verhältnis zur Umwelt erlebbar werden lassen. Dies könnte dann besonders gut gelingen, wenn die Unterrichtsräume sich direkt zur Natur öffnen ließen. Da eine naturnahe Pavillonbauweise für Schulen in Deutschland schlicht aus Flächengründen nur selten möglich ist, wird dies eher die Ausnahme bleiben müssen. Im Blick auf eine „Erziehung zur Nachhaltigkeit“ ist es wichtig, die damit verbundenen Funktionen erlebbar zu machen. Viele von Menschen geschaffene und beeinflussbare technische Prozesse sind so gut wie gar nicht mehr sichtbar. Hier ist ein elementares Bildungsthema gefordert – keineswegs nur für die Nachhaltigkeitserziehung, sondern für den naturwissenschaftlichen Unterricht insgesamt! Dabei darf man sich nicht damit begnügen, die Messwerte der Fotovoltaikanlage auf dem Schuldach in der Eingangshalle sichtbar zu machen. Selbst ein mannsgroßes Display wird spätestens nach dem dritten Tag gar nicht mehr wahrgenommen. Wünschenswert ist, dass in altersgemäßer Form die Prozesse, die das Gebäude „funktionieren“ lassen, mit kleinen oder großen Laborexperimenten für die Schüler aktiv nachvollziehbar werden können. Die Schule jeden Tag mit selbst geschlagenem Kaminholz zu beheizen – um sinnlich ganz unmittelbar klar zu machen, was Energieverbrauch faktisch bedeutet – ist wahrscheinlich nur in Finnland möglich. Aber das Beispiel gibt die Richtung an, in der neue Lernfelder erschlossen werden müssen.

 

Von unsichtbarer Gebäudetechnik zu begreifbaren Modellen

Der ressourcenschonende Einsatz von Baumaterialien und Energien nach dem aktuellen Stand der Technik ist in öffentlichen Bauten inzwischen weitgehend vorgeschrieben. Die ökologische Bilanz muss sich auf alle drei Komponenten beziehen: Herstellung, Betrieb, Entsorgung. Dazu muss auch gehören: Die Baustruktur lässt spätere Erweiterungen, Veränderungen oder sogar Umnutzungen des Schulgebäudes unaufwändig zu, sodass im Bedarfsfall der neuerliche Bauaufwand niedrig gehalten werden kann. Besondere Bedeutung hat unter den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit auch der Außenraum. Bei der Standortwahl einer Schule soll der Zugang zu (oder die Einbindung von) naturnahen Außenflächen ein wesentliches Kriterium sein. Der Kriterienkatalog reicht dabei von Fragen der biologischen Vielfalt über Recycling, Regenwassermanagement und Versiegelungsgrad – bis hin zur Gebrauchsqualität und dem Landschaftsbild. Die architektonische Herausforderung für eine Erziehung zur Nachhaltigkeit durch das Vorbild des Schulgebäudes ist groß: Das energetische „Funktionieren“ des Gebäudes (Heizung, Lüftung, Sanitär) soll für die Schülerinnen und Schüler sichtbar und erfahrbar werden. Dies muss ausbalanciert werden sowohl mit den bereits benannten ästhetischen Anforderungen wie auch mit der Anforderung, Technik so zu abzusichern, dass sie vor Vandalismus oder Manipulation geschützt ist.

11: Der demokratische Staat benötigt eine demokratische Schule.

Demokratie „im Kleinen“ ist notwendig, um zu lernen, miteinander in gelingender Kommunikation zu leben und Konflikte gewaltfrei auszuhandeln. Dies kann man nicht als Wissen erwerben. Es muss zu allererst als Vorbild für Kinder und Jugendliche in Familie und Schule bereitstehen und praktiziert zu werden, um verstanden zu werden. Demokratisch zu handeln bedeutet, die Schwierigkeit zu akzeptieren, dass eigene Meinungen und Interessen mit anderen oder gegen andere auszuhandeln sind, dass es aber auch die Chance bei solchen Aushandlungen gibt, Wertschätzung der eigenen Sichtweise zu erfahren. Voraussetzung ist, selbst „eine Stimme zu haben“ und die Stimmen der anderen zu hören – und zu respektieren. Ein offener Informationsfluss und die Transparenz von Entscheidungen ist Voraussetzung aller demokratischen Prozesse.

 

Von einer Schule ohne Mittelpunkt zu einem gemeinsamen Ort für die Schulgemeinde

Als räumliche Basis braucht die „Demokratie im Kleinen“ eine Aula (oder ein entsprechend nutzbares Foyer oder eine erweiterbare Mensa) als den Ort, an dem sich die ganze Schulgemeinde versammelt. Ein für eingetragene Nutzer auch von außen erreichbares Intranet sichert Informationsfluss und Transparenz. Darüber hinaus müssen im Schulalltag verfügbar sein: SMV-Büro und Streitschlichterraum; aber auch das Elternsprechzimmer zählt zur erforderlichen räumlichen Ausstattung für demokratische Teilhabe-Prozesse. Das „Schule-Bauen“ ist der erste Prüfstein einer „demokratischen Schule“. Die Schule wird mit all ihren Nutzergruppen (Lehrern, Schülern, Hausmeister, Eltern, Nachbarn) zu allererst selbst in die Aushandlungsprozesse während der Neu- oder Umbauplanungen einbezogen.

12: Die Schule öffnet sich zur Stadt. Die Stadt öffnet sich zur Schule

Schule und Stadt haben viele Berührungspunkte: Das Schulgrundstück hat Nachbarn, die Schule liegt in einem bestimmten Stadtteil und erfüllt dort ihre Funktion und die Schule selber öffnet sich als soziale Gemeinschaft mehr und mehr der Nachbarschaft und der Stadtgemeinschaft. Die demokratische Kultur einer Schule entwickelt und zeigt sich schulöffentlich und im Stadtteil. Sie stellt aus, feiert, präsentiert ihre Ergebnisse. Und spätestens während der Sekundarstufe I, in der Phase der Pubertät, müssen Lernfelder außerhalb der Schulgrenzen erschlossen werden. Dann können die Jugendlichen ganz andere, praktische Erfahrungen sammeln – in erster Linie die Erfahrung, gebraucht zu werden und sich zu bewähren. Genauso wichtig ist aber auch, Menschen von außen, aus dem „realen Leben“ in die Schule hinein zu holen, als Experten, Mitlerner, Kritiker. Zugleich soll die Schule als Teil einer „Bildungslandschaft“ ihre Ressourcen – zumindest in Teilen – für den Stadtteil öffnen. Die Teilöffnung von Schulräumen für eine kommunale Nutzung ist nicht nur kostensparend, sondern wird vor allem zum Gewinn für alle Beteiligten.

 

Von der geschlossenen Schule zur wechselseitigen Nutzung zentraler Funktionsbereiche

Der Standort der Schule ist so gewählt, dass besondere außerschulische Lernorte (Museum, Theater, Schwimmbad u.a) unaufwändig erreichbar sind. Zentrale Funktionen der Schule sind so platziert, dass ihre Lage sowie ein effizientes Orientierungssystem eine öffentliche Nutzung unterstützen. Dies betrifft vor allem: Aula, Bibliothek, Spielplatz, Sportanlagen, Cafeteria. Aber auch einige ausstattungsintensive Spezialräume – Naturwissenschaften, Technik, Computerlabore etc. – bieten für Volkshochschule und andere Partner attraktive Mehrfachnutzungen z.B. am Abend. Zugangswege, Verkehrsführung vor dem Eingangsbereich der Schule, Parkplatzsituation sind sicher und erlauben einen angemessenen Verkehrsfluss. Arbeitsergebnisse der Schüler müssen dokumentiert und präsentiert werden können, auch dafür sind öffentlich Bereiche notwendig. Zugleich sind der Offenheit Grenzen gesetzt, denn die Schule braucht geschützte Bereiche für die „vorbereitete Umgebung“. Die Schüler wollen ungestört und ohne Angst vor Vandalismus an ihren kleinen und großen Werken arbeiten. Denn eine gute Schule gibt den ihr anvertrauten Menschen – Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – nicht nur eine wirksam unterstützende Umgebung zum Lernen und Arbeiten, sondern auch ein Stück Heimat.

 

Drei Schlussbemerkungen

Erstens. Aus den zwölf Thesen lässt sich kein Standardprogramm für einen guten Schulbau ableiten. Die eine „Ideallösung“ für den Schulbau gibt es nicht. In jedem Neubau, mit jeder Sanierung müssen – abhängig von konkreten Bedingungen vor Ort und vom jeweiligen Schulprogramm – die „Balancen“ zwischen konkurrierenden Zielbereichen immer wieder neu austariert werden.

Zweitens. Ein „alter“ Schulbau kann modernen Unterricht ausgesprochen erschweren, oft sogar verhindern. Ein „guter Schulbau“ allerdings führt nicht automatisch zu „gutem Unterricht“. Nicht ohne Grund steht der „Raum als Pädagoge“ erst an dritter Stelle. An erster stehen bei Loris Malaguzzi, dem italienischen Erfinder dieses geflügelten Wortes, die anderen Kinder, an zweiter die Lehrer. Und letztere müssen durchaus lernen, ihre Räume – welche auch immer sie vorfinden – optimal zu nutzen.

Drittens. Ein „guter Schulbau“ wird nie abgeschlossen sein können. Ein Haus des Lernens bleibt immer „unfertig“. Es muss im Blick auf seine Wandlungsfähigkeit, gleichsam als Gerüst zum Weiterbauen geplant werden.
 

Dr. Otto Seydel ist Leiter des Instituts für Schulentwicklung. Mehr Informationen unter: www.schulentwicklung-net.de