Jutta Vogel arbeitet heute nebenberuflich als Fortbildnerin. Bis in das Jahr 2012 hat sich Jutta Vogel am Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) besonders mit den Themen individuelle Förderung, Begabungsförderung und Ganztagsschulentwicklung beschäftigt. Auf dem Transferforum 2013 war sie Referentin im Workshop „Schulaufgaben und individuelle Lernzeiten in der Ganztagsschule“.

Interviewerin: Welche Funktionen haben Hausaufgaben in der Ganztagsschule?

Jutta Vogel: Meiner Meinung nach hat der Begriff Hausaufgabe an der Ganztagsschule nichts mehr zu suchen. Die klassische Hausaufgabe –  eine Aufgabe, die zu Hause zu erledigen ist,  und möglichst noch für alle gleich gestellt wird – müsste langsam ausgedient haben. Demzufolge ist die Frage nach der Funktion für mich hinfällig. Ich gehe eher davon aus, dass sich die Unterrichtskultur dahingehend verändern muss, dass diese Form des Lernens  nicht mehr nötig ist.

Wie kann das, was von Hausaufgaben normalerweise geleistet werden soll, von anderen Angeboten in der Ganztagsschule ersetzt werden und welche  Angebote könnten das sein?

Das Kerngeschäft von Schule, auch von Ganztagsschule, ist der Unterricht entsprechend der Rahmenpläne. Dieser Unterricht muss in einer ganz anderen Form erfolgen. Die Hauptfunktion, die man früher der Hausaufgabe zugeschrieben hat – also das Vertiefen, das Üben – muss in den Unterricht integriert werden. Da aber vor allem Lerntempi und auch die Wahl der Lernpartner  die Individualisierung ausmachen, sollte es darüber hinaus Zeiten geben, in denen Kinder entsprechend ihrer Bedürfnisse gefördert werden – entweder durch ein vertiefendes Arbeiten am Stoff, am Inhalt und am Wissen oder aber durch Enrichment-Angebote.  Es ist wichtig, den Kindern die Möglichkeit zu geben, über den Rahmenplan hinaus zu lernen und dabei entweder allein vorzugehen – wenn das ihre bevorzugte Art des Lernens ist – oder aber mit anderen gemeinsam, z.B. im Sinne des Schüler-Mentorings.  

Sehen Sie eine Chance und wenn ja welche bietet denn Ganztagsschule mit ihrem Mehr an Zeit auch für den individuellen Lernprozess für die Schüler?

Wenn sich das, was in der Zeit stattfindet, nicht verändert, reicht es nicht aus, lediglich mehr Zeit zur Verfügung zu stellen. Ich sehe zwei Ansatzpunkte: Zum einen müssten Ganztagsschulen mehr an den Interessen, Neigungen und Begabungen der Kinder ansetzen, sowohl in den Angeboten des Unterrichts als auch in den erweiterten Lernangeboten, die über die Pflichtstunden hinausgehen. Zum anderen sollte nicht so stark zwischen den Angeboten und Formaten unterschieden werden: Handelt es sich um eine Arbeitsgemeinschaft, eine individuelle Lernzeit, ist es Unterricht oder wovon sprechen wir nun?! An der Ganztagsschule gibt es Zeiten des Lernens und Zeiten des „Abhängens“ – so würden Kinder es sagen –, Zeiten des Entspannens und Zeiten des  Unbeaufsichtigt-Seins. Es muss Zeiten geben, in denen  sich die Schülerinnen und Schüler mit Gleichaltrigen  austauschen können, ohne dass der Lehrer unmittelbar daneben steht.
 

27.05.2013