Leitziel der Grundschule am Lemmchen in Mainz ist eine demokratische Lern- und Schulkultur. Die Kinder bringen ihre Anliegen über klasseninterne und -übergreifende Themen ein, besprechen diese und finden Lösungen, die demokratisch nach dem Mehrheitsprinzip beschlossen werden. Die Zeit dafür haben sie während des wöchentlich stattfindenden Klassenrats. Neben gemeinsamen Vorhaben werden im Klassenrat auch die Klassenregeln aufgestellt, Konflikte gelöst und die Planung von Unterrichtsprojekten angebahnt. Dabei werden die Kinder von den Klassenleitern unterstützt, wobei eine selbstständige Durchführung des Klassenrats ohne die Unterstützung eines Erwachsenen im vierten Schuljahr angestrebt wird.
Für einen erfolgreichen und zielführenden Ablauf des Klassenrats bedarf es bestimmter Kompetenzen – sogenannten Demokratiebausteinen –, die zweimal im Schuljahr an Projekt- bzw. Demokratietagen eingeübt werden:
Ø Ich-Stärkung
Ø Konfliktlösungsstrategien
Ø Anliegen und Beschlüsse formulieren
Ø Informationen aufnehmen, notieren, weitergeben und festhalten
Ø Kommunikation-Diskussion-Kommunikation
Ø Politisch-theoretisches Hintergrundwissen
Stein auf Stein zu kompetentem demokratischem Handeln
Ein Baustein wird von der ersten bis zur vierten Klasse immer wieder aufgenommen: Die Ich-Stärkung. Mit diesem Baustein werden den Kindern über Geschichten und kleine Arbeitsaufträge Wege aufgezeigt, wie sie Selbstwahrnehmung, Empathie und Selbstbewusstsein erlangen können. Diese Eigenschaften sollen es den Kindern erleichtern, auf andere zuzugehen, Unterschiede zu akzeptieren und anzuerkennen, dass es auch andere Meinungen neben der eigenen gibt. Die Ich-Stärkung bildet quasi die Basis gelungener Kommunikation.
Vor allem in den ersten Schuljahren wird der Klassenrat hauptsächlich dazu genutzt, Konflikte zu lösen. Dadurch entsteht die Diskrepanz, einerseits diese Konflikte ernst zu nehmen, andererseits die Zeit des Klassenrats zu nutzen, um klassen- und schulinterne Themen zu besprechen. Hier setzt der Demokratiebaustein der Konfliktlösungsstrategien an. Durch das Erlernen der „Giraffensprache“ soll die beschriebene Diskrepanz aufgehoben werden.
Die „Giraffensprache“ zielt darauf ab, Konflikte zunehmend selbstständig, zeitnah und sachlich zu lösen – auch außerhalb des Klassenrats. Zunächst stellen die beteiligten Kinder den Konflikt dar und verdeutlichen das sie Störende darin. Im nächsten Schritt artikulieren sie ihre eigenen Gefühle, was dem Gegenüber die Gelegenheit zur Empathie liefert. Schließlich treffen die Beteiligten verbindliche Vereinbarungen.
Über die „Giraffensprache“ lernen die Kinder neben der gewaltfreien Lösung von Konflikten, eine bestimmte Situation sachlich zu verbalisieren, aber auch ihre Gefühle zu äußern. Sie reflektieren das eigene Verhalten sowie das der anderen, was letztendlich zu einem besseren Verständnis füreinander führt – eine wichtige Voraussetzung für ein friedliches Miteinander.
Beim dritten Demokratiebaustein geht es darum, Anliegen und Beschlüsse (zu) formulieren. Um den Kindern zu verdeutlichen, dass der Ablauf des Klassenrats nach einer bestimmten, ritualisierten Struktur aufgebaut ist, werden zu Beginn Anliegen formuliert, die im Klassenrat besprochen werden sollen. Dazu müssen die Kinder ein Gespür dafür entwickeln, welche Themen relevant sein könnten und diese benennen.
Der Gesprächsverlauf, insbesondere aber die Ergebnisse des Klassenrats werden von den Kindern in einem Protokoll festgehalten: Informationen aufnehmen, notieren, weitergeben und festhalten. Hierzu brauchen die Kinder Merkfähigkeit, Strukturiertheit und die Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Durch verschiedene, kindgerechte Übungen wird dies in diesem Baustein angebahnt.
Der fünfte Demokratiebaustein nimmt den Bereich Kommunikation-Diskussion-Moderation ins Visier. Während des Klassenrats wird in dem Sinne kommuniziert, dass je nach Thema unterschiedliche Sichtweisen und Argumente zur Diskussion gestellt werden. Bei der Arbeit an diesem Demokratiebaustein geht es darum, andere Meinungen zu akzeptieren und zu respektieren, aber zuallererst anzuerkennen, dass es unterschiedliche Meinungen überhaupt gibt. Die Kinder lernen, Argumente sachlich zu behandeln und sich an Gesprächs- und Diskussionsregeln zu halten. Einen besonderen Schwerpunkt nimmt bei diesem Baustein auch das Moderieren ein. Die Kinder lernen nach und nach, den Klassenrat zu eröffnen und zu beenden und möglichst zielführend die Diskussion zu leiten. Zu Anfang gibt die Lehrkraft hierzu konkrete sprachliche Vorgaben in Form von Satzfloskeln an die Kinder weiter, die diese nach und nach erlernen und im Laufe der (Grund)schulzeit immer selbstständiger anwenden.
Der Klassenrat – Baustein einer demokratischen Schulkultur
Beim Klassenrat handelt es sich um weit mehr als nur die Planung der nächsten Klassenaktivität. Hier lernen die Schülerinnen und Schüler von Anfang an die Aspekte einer demokratisch gedachten Schulkultur kennen: Meinungsfreiheit, Mitbestimmung und Partizipation. Sie erleben, dass sie aktiv das Schulgeschehen mitgestalten können und erhalten die Möglichkeit, in vielen Bereichen des „Lebensraums Schule“ ihre Ideen einzubringen, im Unterricht, in den AGs und in den offenen Räumen des Ganztagsangebots. So entsteht ein hoher Grad der Identifikation mit der eigenen Schule. Die Kinder erfahren Selbstwirksamkeit und stärken ihr Selbstbewusstsein.
Der Klassenrat der Grundschule ist ein wichtiger Baustein in der ganzheitlichen Demokratiebildung der Kinder. Er schafft die Basis für ein demokratisches Grundverständnis und Handeln und fördert eine friedliche Gemeinschaft innerhalb und außerhalb der Schule. Denn sie lernen hierbei Kompetenzen, die nicht nur für das Zusammenleben in der Schulgemeinschaft, sondern auch darüber hinaus von hoher Bedeutung sind: Toleranz, Kommunikation und Mut, zur eigenen Meinung zu stehen.