Als Quereinsteiger an einer Ganztagsschule
Tobias Herz, Campus Rütli, Berlin: Über den Seiteneinstieg als Lehrkraft an einer Ganztagsschule kann Tobias Herz berichten. Er ist Quereinsteiger am Campus Rütli in Berlin.
Moderation: Nicola Andresen, LiGa – Lernen im Ganztag und Melanie Peter, Serviceagentur Ganztägig lernen Sachsen-Anhalt
Der Salon 3 bestand aus drei Inputvorträgen und einer gemeinsamen Abschlussrunde, in der sich die Beteiligten darüber austauschten, was sich aus ihrer Sicht bewährt hat, bei welchen Themen es weiterer Gesprächsbedarf gibt und was in Zukunft in der Zusammenarbeit mit Seiteneinsteigern zu beachten ist.
Ulla Widmer-Rockstroh ist Grundschullehrerin in Berlin und ehemalige Fachreferentin für Inklusion im Grundschulverband e.V.. Sie begann mit ihrem Beitrag aus der Sicht der Grundschulen und deren Fachkräftebedarf. Sie wies darauf hin, wie komplex die Anforderungen an das Lehrpersonal seien. So erfordere es nicht nur ein Studium, Fortbildungen und Fachdidaktik, sondern auch ein hohes Maß an Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit. Hinzu kämen sonderpädagogische Kenntnisse, die Fähigkeit, das eigenen Tun und die eigene Haltung zu reflektieren, empathisch zu sein und ein deutliches Interesse an der schulischen Arbeit zu zeigen. Außerdem müsse man mittlerweile auch über ein umfassendes Wissen über das Bildungssystem, über Bildungslandschaften und in der Kulturpolitik verfügen. Aufgrund des bereits bestehenden Fachkräftemangels, seien Seiteneinsteiger absolut notwendig, allerdings müssten deren Rahmenbedingungen angepasst werden. So müssten Seiteneinsteiger deutlich weniger Wochenstunden unterrichten, sie sollten eine intensive Begleitung und ein hochwertiges Mentoring erhalten. Außerdem ist der Anfangsunterricht in Grundschulen für Seiteneinsteiger nicht zu empfehlen, so Widmer-Rockstroh, ebenso wenig sollten sie als Springer, Vertretungslehrer oder Förderlehrer eingesetzt werden.
An diesen Vortrag schloss sich der Beitrag von Joana Poloschek, Serviceagentur Ganztägig lernen Schleswig-Holstein und Christin Hönemann, Koordination Schulsozialarbeit Kreis Herzogtum Lauenburg, Schleswig-Holstein an. Da die Nachmittagsbetreuung kein Teil der Ausbildung sei, wiesen sie zu Beginn daraufhin, dass alle, die an einer Ganztagsschule arbeiten, quasi Seiteneinsteiger seien. Um von dem ständigen Vergleich Lehrkräfte vs. Betreuungspersonal weg zu kommen, schlugen sie vor, gleiche Rahmenbedingungen für das gesamte Personal an Ganztagsschulen zu schaffen – so in Bezug auf Ausbildung, Teammeetings, Mentoringprogramme, in der systematischen und kontinuierlichen Betreuung bis hin zur Bezahlung. Um Seiteneinsteiger als pädagogische Fachkräfte für den Ganztag zu qualifizieren und mit „Grundhandwerkszeug“ fit für die Ganztagsschule zu machen, bieten seit 2017 die Landesvolkshochschulen in Schleswig-Holstein mit der Serviceagentur Ganztägig lernen den Zertifikatskurs „Qualifizierung pädagogischer Mitarbeiter/innen an Ganztagsschulen“ an. Die Kurse beinhalten alles rund um das Arbeitsfeld Ganztagsschule so zum Beispiel Vermittlung von Kommunikationsstrategien, Konfliktbewältigung, Pädagogik und Lernen. Im Wesentlichen geht es tatsächlich oft darum, dass die Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer lernen sich selbst und ihr Tun zu reflektieren und über das was sie tun, ihr Selbstbewusstsein zu steigern. Zukünftig wäre es erstrebenswert, wenn es zu einer stärkeren Verortung der Ganztagsschulkoordinatoren bei der Jugendhilfe käme, die als Schnittstelle zwischen der Schule und dem Jugendamt fungieren. Dabei müssen die Themen der Jugendhilfe wie Lebens- und Sozialraumorientierung, die Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Kinder sowie Partizipation stärker in den Blick genommen werden.
Der dritte Beitrag rundete den Salon mit einem Erfahrungs- und Praxisbericht von Tobias Herz ab. Er ist Quereinsteiger am Campus Rütli in Berlin. Er verwies darauf, dass man sich häufig als Seiteneinsteiger zunächst als Außenseiter fühle. Deshalb sei die frühe Einbindung in das System Schule und die Unterstützung der Schulleitung absolut notwendig. Mentoringprogramme sind eine große Hilfe, wenn darum geht, in den Schulalltag zu finden, sich zu orientieren und die Abläufe kennenzulernen. Natürlich sei es häufig auch „learning by doing“, so Herz, aber gerade die Unterstützung durch andere Lehrkräfte, die in ihrer Freizeit Seiteneinsteigern zu verschiedenen Themen wie Elternabende, Kommunikation, Behördenfragen etc. ihre Hilfe anböten, sei besonders wertvoll.
In der Abschlussrunde wurden verschiedene Aspekte der Vortragenden nochmals zusammengefasst und vertieft. So war man sich einig, dass die Verzahnung von Unterricht und Nachmittagsbetreuung als eine gemeinsame Aufgabe der Schulleitung und Ganztagsschulkoordinatoren angesehen werden müsse. Darüber hinaus richtete die Gruppe auch einen Appell an Schulleitungen und Schulaufsicht, nämlich die Zusammenarbeit von Seiteneinsteigern und erfahrenen Lehrkräften im Unterricht zu ermöglichen. Auch hierfür braucht es ausreichend Ressourcen, Zeit und Räume für Begegnungen. Einig war man sich auch darin, dass Mentoring hilfreich ist und begleitend zu einer vorbereitenden Qualifizierung, gepaart mit einem hohen Maß ein Eigenengagement, einen guten Start gewährleisten könnte. Die Anerkennung und Wertschätzung von Seiteneinsteigern würde erleichtert werden, würden deren Studieninhalte und Berufserfahrungen stärker im Zentrum stehen. Dies würde auch verhindern, dass Quereinsteiger nur als „Aushilfslehrkräfte“ gesehen würden. Seiten- und Quereinsteiger müssten selbstverständlich als Teil des multiprofessionellen Teams gelten und gemeinsame Projekte initiieren können.