Dr. Thomas Markert beschäftigt sich an der Technischen Universität Dresden mit dem Bildungs- und Erziehungsangebot von Ganztagsschulen. Beim 4. Transferforum in Düsseldorf sprach er in einem Interview er über die Funktion von Hausaufgaben und darüber, was Ganztagsschule leisten kann.
Redaktion: Welche Funktionen haben Hausaufgaben in der Ganztagsschule?
Dr. Thomas Markert: Die erste Frage wäre, ob sich die Funktionen der Hausaufgaben an einer Ganztagsschule von denen an einer Halbtagsschule überhaupt unterscheiden. Ich denke, dass die Funktionen der Hausaufgaben vielseitig sind und sich nicht ausschließlich auf Bildung und Unterricht beziehen. Das heißt, wenn wir über die Umwandlung von Hausaufgaben zu individuellen Lernzeiten reden, dürfen wir nicht nur die Bearbeitung von Themen in den Blick nehmen. Wir müssen zum Beispiel auch darüber nachdenken, wie Eltern erfahren können, womit sich ihre Kinder in der Schule beschäftigen. Es gibt Eltern, die sich dafür interessieren, was ihr Kind gerade lernt, welche Themen es in der Schule behandelt und wie gut ihr Kind überhaupt mit dem Unterrichtsstoff zurechtkommt. Zugleich werden Hausaufgaben auch von Lehrkräften genutzt, um Eltern, die immer wieder nachfragen und in deren kritischen Blick Lehrer stehen, zu vermitteln, was in der Schule eigentlich getan wird. Wir sind eben immer noch in einer Gesellschaft, in der Schule noch recht traditionell als „Trichterschule“ empfunden wird. Erzieherinnen kontrollieren manchmal in der Hausaufgabenbetreuung nicht nur, ob die Hausaufgaben bearbeitet werden, sondern auch ob sie ordentlich und richtig sind. Sie wollen sich gegenüber den Eltern profilieren. Sie wollen zeigen, dass sie es geschafft haben, die Kinder zu fertigen Hausaufgaben zu erziehen. Es gibt also viel mehr Aufgaben und Funktionen, die Hausaufgaben beinhalten, als nur die reine Stoffverarbeitung.
Wie kann das, was Hausaufgaben leisten sollen, durch andere Angebote in der Ganztagsschule ersetzt werden?
Meiner Meinung nach ist das möglich, wenn hierzu ein Austausch zwischen Lehrerinnen und Lehrern, den pädagogischen Fachkräften, aber auch zwischen den Eltern und den Kindern stattfindet. Auch Schülerinnen und Schüler sollen verstehen, was sie eigentlich tun. Es gibt zahlreiche Angebote, bei denen verschiedene Funktionen aufgenommen werden können. Wichtig ist dabei die Frage, was die Kinder weiterbringt und was sie kompetent macht. Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte müssen Kindern die Möglichkeit geben, ihre eigenen Fragen zu stellen. Dies kann bei Projekten oder individuellen Lernzeiten geschehen. Für die Gestaltung der Formate ist Kreativität und Transparenz gefragt. Dabei müssen sich die Beteiligten von der Denkweise lösen, dass der Lehrer weiß, welche Aufgaben Kinder brauchen. Vielmehr müssen die Aufgaben und Angebote mit den Kindern ausgehandelt werden.
Und was meinen Sie, welche Chance hat die Ganztagsschule mit ihrem Mehr an Zeit insgesamt für den individuellen Lernprozess der Schüler?
Die Ganztagsschule hat eine große Chance, wenn es Lehrkräfte gibt, die entsprechend ausgebildet werden. Wir brauchen Lehrerinnen und Lehrer, die einen individuellen Unterricht praktizieren können und die auch den Eltern vermitteln können, dass Unterrichten heute anders ist.
06.05.2013