Alessandro Gaudiano: Schule ist eines der wichtigsten Themen für die Italienische Botschaft, denn Bildung ist eines der größten Probleme der Italiener in Deutschland. Die italienischen Einwanderer gelten als sehr gut integriert. Wenn man sich aber die Bildungsergebnisse der italienischen Kinder und Jugendlichen anschaut, stellt man fest, dass die schulische Integration noch nicht so gelungen ist, wie sie sein sollte. Die PISA-Studien haben festgestellt, dass die Migranten generell schlechter abschneiden als die Deutschen, das trifft leider auch auf die italienischen Schulkinder zu und hat negative Konsequenzen für ihre berufliche Bildung. Während die Väter und Großväter der italienischen Kinder auch mit geringer Bildung Arbeit finden konnten, verlangt der heutige Arbeitsmarkt eine immer höhere Qualifizierung. Wenn die nicht gelingt, ist die soziale und ökonomische Integration der Italiener in Deutschland gefährdet.
Alessandro Gaudiano: Ein Blick auf die Daten ist beunruhigend. Nur 14 Prozent der italienischen Kinder besuchen das Gymnasium, bei den Deutschen sind es 42 Prozent. 48 Prozent der italienischen Schülerinnen und Schüler besuchen die Hauptschule, viele von ihnen schaffen dort keinen Abschluss. Unter den deutschen Kindern sind es 17 Prozent, die die Hauptschule besuchen. Doppelt so viele italienische wie deutsche Kinder kommen auf die Sonderschule (8,6 Prozent). Diese Zahlen sind über Jahre stabil geblieben. Erst in letzter Zeit sehen wir kleine Anzeichen, dass sich der Schulerfolg der italienischen Kinder und Jugendlichen verbessert. Aber wir sind immer noch weit entfernt von einem guten Ergebnis.
Alessandro Gaudiano: Wir sind überzeugt, dass Ganztagsschulen eine große Chance bieten, die besonderen sprachlichen Schwierigkeiten der italienischen Schüler zu berücksichtigen. Ein Ansatz der Ganztagsschulen ist es, die vielfältigen Möglichkeiten individueller Förderung zu nutzen. Wir halten das für sehr viel versprechend und wollen deshalb verstärkt Kooperationen und Partnerschaften mit Ganztagsschulen aufbauen, die einen hohen Anteil italienischer Schüler haben.
Alessandro Gaudiano: Seit Jahren arbeiten wir eng mit Kulturministerien und Schulleitern in vielen Bundesländern zusammen. Dabei fördert der italienische Staat Bildungsangebote an – entweder durch Lehrkräfte, die aus Italien entsandt werden oder durch die Beauftragung freier Träger. Das sind in erster Linie Sprachkurse, aber auch Förderunterricht in Fächern, in denen italienische Kinder besondere Schwierigkeiten haben, Deutsch, Mathematik und manchmal auch Englisch. Der italienische Staat investiert hierfür 14 Millionen Euro jährlich.
Alessandro Gaudiano: Früher liefen diese Kurse oft parallel zum schulischen Leben, manchmal auch zu Hause bei den Kindern. Wir glauben jedoch, dass es eine große Bereicherung für die Schülerinnen und Schüler wäre, wenn wir unser Angebot stärker in den Schulalttag integrieren könnten. Wichtig ist uns auch, dass wir ein unmittelbares Feedback von den Schulen über den Nutzen unseres Angebots bekommen. Je enger wir mit der Schule zusammenarbeiten, desto besser können wir den Erfolg der Kinder unterstützten.
Rossana Porrata-Jürs: Es ist ganz wichtig, dass die anderen Kinder in der Schule etwas davon mitbekommen oder mit einbezogen werden. Das weckt ihr Interesse am Italienischen und erhöht die Wertschätzung für die italienischen Mitschülerinnen und Mitschüler. Zum Beispiel bringen wir sie mit kleinen Theaterstücken zum Staunen, die deutschen Kinder werden wach und merken: Es gibt auch italienische Kinder hier, die etwas Tolles können.
Rossana Porrata-Jürs: Die Rhythmisierung in Ganztagsschulen kommt unserem Angebot sehr entgegen. In Ganztagsschulen wird darauf geachtet, dass es über den ganzen Tag einen guten Wechsel von Unterricht, Entspannung, konstruktiver Freizeit und konzentriertem Lernen gibt. Wenn die italienischen Kinder in diesem Rahmen ihre Kurse besuchen, sind sie viel motivierter. Zudem ermöglicht die Ganztagsschule, die Kinder individuell zu fördern, die Sprachprobleme haben.
Rossana Porrata-Jürs: Wer seine Muttersprache gut beherrscht, kann auch andere Sprachen besser lernen. Die Kinder erfahren eine Stärkung ihrer Identität, wenn sie mit anderen Kindern zusammen Italienisch lernen. 40 Prozent der italienischen Kinder haben die deutsche Staatsangehörigkeit, zumeist, weil ein Elternteil deutsch ist, für sie ist Italienisch nicht ihre Muttersprache, aber doch ein wichtiger Teil ihrer Identität. Schüler, die an unseren Angeboten teilnehmen, bekommen auch einen entsprechenden Vermerk im Zeugnis. Und das kann die Erwartungshaltung von deutschen Lehrern verändern. Häufig werden italienische Kinder als schwache Schüler eingeordnet. Da ist es eine wichtige Erfahrung auch für Lehrerinnen und Lehrer, wenn dann eine Italienisch-Lehrerin erzählt, was diese Kinder alles können.
Alessandro Gaudiano: Wir sind generell an einer langfristigen Zusammenarbeit mit Schulen interessiert. Wir möchten, dass sich unser Beitrag über Jahre zu einem festen Bestandteil des schulischen Angebots entwickelt.
Alessandro Gaudiano: Wir richten unser Angebot an den Bedürfnissen von Schulen aus und haben an verschiedenen Standorten unterschiedliche Projekte initiiert. Vom Tandemunterricht über Italienischunterricht mit der ganzen Klasse bis hin zur Partnerschaft von mehreren Schulen, die gemeinsam eine ganze Palette unseres Angebots nutzen, ist vieles möglich. Über den täglichen Schulalltag hinaus lassen sich Partnerschaften mit italienischen Schulen aufbauen. Die Kapazitäten sind da. Wenn man miteinander ins Gespräch kommt, kann man gemeinsam herausfinden, was am besten passt.
Alessandro Gaudiano: Ganztagsschulen, die mindestens 12 italienische Schüler/innen haben, können sich an die Schulabteilungen der italienischen Konsulate und der Botschaft wenden. Eine Liste mit Anlaufstellen in ganz Deutschland finden Sie im hier.
Das Interview wurde am 19. Dezember 2006 geführt.
Fotos: Christine Plaß
Datum: 14.01.2007
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