Gemeinsames Handeln in Kindergarten und Grundschule, darum geht es im Forschungs- und Entwicklungsprojekt ponte, über dessen Intentionen Prof. Dr. Jürgen Zimmer in Heft 5/04 berichtete. Inzwischen sind fast zwei Jahre ins Land gegangen. Wie und wo etablierte sich ponte? Was passiert heute? Und was ist demnächst vorgesehen? Darüber sprach die Redaktion der Zeitschrift „Betrifft KINDER“ mit Frauke Hildebrandt, der Projektleiterin.
Im Juni 2004 fand die „ponte“-Auftakttagung statt, sozusagen die Verlobung. Aus fast allen Bundesländern kamen Bildungsfachleute, darunter auch die damalige Bundesministerin Renate Schmidt, um das Projekt kennen zu lernen und sein Anliegen zu fördern: die Kooperation zwischen Kita und Grundschule, und zwar nicht allein die organisatorische, sondern vor allem die Kooperation vom Bildungsverständnis und den Bildungszielen her. Dabei entstand die Idee, das Projekt überregional anzugehen. Aber der Föderalismus – jedes Bundesland wollte doch lieber selbst was tun – stand dem im Wege, so dass diese Idee sich fürs Erste verflüchtigte.
Wir begannen in Brandenburg und versuchten, die Kooperation der Beteiligten – Kitas, Grundschulen und die Verwaltung – so zu organisieren, dass sich politische Grabenkämpfe vermeiden ließen. Trotzdem gab es anfangs Schwierigkeiten auf allen Ebenen. Nicht nur, dass Erziehungswissenschaftler aus den verschiedenen Regionen unterschiedliche Interessen hatten, obwohl ihre Konzepte sich nur marginal unterschieden – auch die Verwaltungen hatten Mühe. Deutlich zeigte sich der Kontrast zweier Systeme: Zum einen die Schule mit ihren Verwaltungsstrukturen und ihrem Top-down-Modell des Regierens, zum anderen die Kitas mit ihrem Abgrenzungsbedarf. Da gerieten wir mit ponte zeitweise zwischen Mühlsteine. In Cottbus begann dann die Pilotphase, mit sechs Tandems aus zehn Kitas und sechs Schulen.
Der dortige Schulrat sei besonders innovativ, hieß es im Brandenburger Bildungsministerium. Hinzu kam: Das Ministerium war daran interessiert, Projekte dezentral anzulegen, also nicht nur im Raum Potsdam, im Speckgürtel Berlins, sondern auch dort, wo es düster aussieht, weil viele Leute nach wie vor abwandern, Schulen geschlossen werden und pädagogische Neuerungen sich nur langsam durchsetzen.
Anfangs sagte Schulrat Koch: „Du und du, ihr Schulleiterinnen seid toll – schaut mal, ob eure Nachbar-Kitas mitmachen.“ Die Auswahl war also schulseitig dominiert, und manche Kita-Teams bekamen den Eindruck, sie würden von ihren Jugendämtern zu ponte verdonnert, weil sie es nötig hätten, was vielleicht sogar stimmte. Wir mussten dann die Wogen glätten. Jedenfalls: In Cottbus fanden sich drei Tandems zusammen, in Guben, in Lübbenau und in Burg/Werben jeweils eins. Das waren ganz unterschiedliche Verbindungen. Zum Beispiel: In Lübbenau teilen sich die Jenaplan-Schule und die Kita ein Dach, was ihnen den Start erleichterte. Hinzu kam, dass nach dem Jenaplan-Verständnis der Bildungsweg eines Kindes nicht erst in der Grundschule, sondern viel früher beginnt. In anderen Tandems hatte die Kita-Leiterin nicht mal die Telefonnummer des Grundschuldirektors, obwohl beide Einrichtungen in Sichtweite liegen. Man kommunizierte nicht miteinander…
Nein. Außerdem hatten wir mit der Vorstellung zu kämpfen: Projekte sind sinnlos, verpuffen, und es kommt am Ende nichts raus. Hinzu kam das Ost-West-Problem: „Aha, da kommen Leute von der FU mit ihren Bildungsideen aus den siebziger Jahren. Wieder so eine Welle, die uns hier im Osten überschwemmt.“ Am größten war die Angst vor zusätzlicher Arbeit, die am Ende für die Katz ist.
Wir haben versucht, dagegen zu steuern, was uns auch gelang. Wir waren präsent, wir waren glaubwürdig, kämpften für das Projekt, und so entstand nach und nach eine Atmosphäre, in der Vertrauen wuchs. Ich meine, mit ihrer Projektskepsis hatten die Leute ja völlig recht, ihre Angst war begründet. Auch wir machten uns Sorgen und fragten uns ständig: Ist das richtig? Können wir das verantworten? Ist die Verteilung der Mittel wirklich sinnvoll? Jedenfalls: Die Beteiligten merkten, dass etwas in Bewegung kommt. Vor allem die Frauen aus den Kitas. Erzieherinnen haben – der Grundschule gegenüber – nach wie vor einen Minderwertigkeitskomplex und das Bedürfnis, auf gleichen Augenhöhe agieren und verhandeln zu können. Sie merkten, dass sie mit ponte zu ihrem Recht kommen können.
Genau genommen haben wir zwei Rollen: Wir moderieren, bringen das inhaltliche Gespräch zu den Bildungszielen in Gang und müssen dabei unparteiisch sein. Andererseits haben wir natürlich eine bestimmte Idee davon, was wir wollen. Nämlich: Wir wollen, dass Kita und Grundschule enger zusammenarbeiten. Wir haben also ein Ziel. Diese beiden Rollen auseinander zu halten und trotzdem glaubwürdig zu sein, das war nicht leicht.
Wir platzten nicht mit unseren Inhalten heraus, mit unserem Bildungsverständnis, denn das schreckt ab, und die Leute bekommen das Gefühl, sie werden belehrt. Da sind sie gebrannte Kinder, weil sie selbst ständig belehren und wissen, dass das nicht funktioniert. Das Gute an ponte ist, dass wir die Schiene der Struktur nutzen und sagen: Die Kooperation muss besser werden. Das ist unstrittig, dem kann sich niemand verschließen, denn jeder weiß: Den Bruch in den Bildungsbiografien der Kinder fabrizieren wir durch die Einschulung selbst, nach der sich die Welt von einem Tag auf den anderen ändert, weil die Kinder einem völlig anderen System mit völlig anderen Anforderungen ausgesetzt sind. Also sagen die Lehrerinnen: „Ja, wir müssen besser wissen, was die Frauen in der Kita machen, und ihnen erklären, wie sie die Kinder vorbereiten sollen, damit sie schulfähig sind und gute Leistungen bringen. Dafür brauen wir Kooperation.“ Da der Begriff „Kooperation“ so weit – um nicht zu sagen: schwammig – ist, kommt man miteinander ins Gespräch, ohne sich gleich in die Haare zu kriegen.
Ja, im Zusammenhang mit früher Bildung war es gerade erst ins gesellschaftliche Bewusstsein gedrungen. Da merkten die Beteiligten: „Oho, wird sind ganz vorn dabei.“ Trotzdem fragten sie sofort: „Müsste man nicht ganz woanders die Schrauben verstellen? Müssten wir nicht viel mehr Stunden haben, um Kooperation…“ Das stimmt, sagten wir. Aber lasst uns mal schauen, was wir gerade hier und mit unseren bescheidenen Mitteln auf die Beine stellen können. Damit waren sie einverstanden. Aber sofort kam das nächste Problem: Sie verfielen in Aktionismus, wollten was tun. Veranstaltungen mit den Kindern organisieren, irgendwelche Events und Aktionen. War ja wunderbar. Aber darum ging es nicht. Es ging nicht um irgendwas Zusätzliches.
Unser Projektziel war, das Verständnis davon zu befördern, was Menschen tun, wenn sie sich mit Kindern befassen. Genau genommen: Es überhaupt erst mal ins Bewusstsein zu bringen. Oder wenn es schon da ist, dazu beizutragen, dass es sich klärt und sich – was Kita und Grundschule betrifft – annähert.
Dieses Tun, das plötzlich ausbrach, ist natürlich richtig und wichtig, aber wenn es nicht vorher durchdacht und hinterher nachbereitet wird, bleibt es Episode. Das Leben in Kita und Grundschule besteht ohnehin aus ganz viel Aktion. Dies kumulativ noch zu verstärken war nicht unser Ziel. Also zogen wir nach einem Dreivierteljahr die Bremse und sagten: Schön, dass ihr zusammen Theaterstücke aufführt, wunderbar, dass ihr jetzt einem gemeinsamen Kinderchor habt, toll, dass im Projekt „Sonne, Mond und Sterne“ Kita, Grundschule und sogar das Gymnasium zusammenarbeiten. Aber das ist es nicht, was fehlt. Vielleicht ist weniger sogar mehr. Lasst uns erst mal reden. Und zwar über die ganz alltägliche Praxis und eure Erfahrungen damit. Lasst uns die einzelnen Schritte, die ihr täglich tut, auf etwas Allgemeines und Grundsätzliches hin befragen.
Dafür gab es bei manchen Beteiligten Verständnis: „Genau! Nicht noch mehr mit den Kindern machen, sondern zur Ruhe kommen und überlegen, was wir eigentlich tun, wo wir Prioritäten setzen und was wir verändern müssen. Nie haben wir Zeit, mal über solche Grundfragen zu diskutieren, weil wir ständig mit Vollpower für die Kinder organisieren.“
Ja, diese Spaltung zwischen Theorie und Praxis ärgert mich schon lange. Meine feste Überzeugung ist, dass man für junge Kindern nichts Besseres tun kann, als ihnen Erwachsene an die Seite zu stellen, die einigermaßen mit sich im Reinen sind, sich reflektieren und sich auch selbst mal ein paar Fragen stellen. Nichts ist wichtiger für die Kinder, denn sie sind noch viel mehr Produkt der Atmosphäre, die von den Erwachsenen ausgeht, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt. Kommt man in eine Kita, sieht man sofort an den Räumen und am Verhalten der Kinder, wie das Team arbeitet, was für ein Verständnis die Leute von ihrem Beruf haben. Man sieht, ob Kinder die Dinge, die sie benutzen wollen, auch erreichen können. Man sieht, ob sie sich intensiv mit dem beschäftigen, was sie interessiert, oder ob alle den gleichen Baum ausschneiden, während die Erzieherinnen miteinander plaudern. Diese Milieus, die in den Einrichtungen herrschen, sind extrem prägend für Kinder. Das weiß jeder. Am effektivsten kann man solche Zustände ändern, wenn man mit den Pädagoginnen arbeitet und nicht ein Projekt für die Kinder macht. Deswegen gibt es übrigens auch keine schicken ponte-Fotos mit Kindern. Wir arbeiten mit Erwachsenen.
Die Erzieherinnen und Lehrerinnen waren wahnsinnig engagiert, aber Reden empfanden manche von ihnen nicht als Tun, sondern als sinnloses Quatschen. Reden blieb anekdotisch, Erfahrungen wurden nicht interpretiert, nicht gebündelt und nicht auf eine zugrunde liegende Regel hin durchforstet. Deswegen erlebten die Pädagoginnen es als wirkungs- und sinnlos. Etwa so: Was soll sich denn ändern, wenn wir jetzt reden? Wir machen doch nichts, verschieben keinen Schrank… An diesem Problem sind wir dran. Das ist natürlich eine schwierige Aufgabe, denn man muss als Moderatorin wirklich einen Funken ins Gespräch bringen, aus dem Gefühl heraus, dass es sinnvoll ist.
Sie bestehen aus zwei, drei Lehrerinnen – wenn wir Glück haben, ist auch jemand aus der Schulleitung dabei – und vier, fünf Erzieherinnen aus meist zwei Kitas.
Ein Thema ist „Vorbereitung und Nachbereitung von Projekten“. Da werden Sachen behandelt, die sowieso anstehen, und nicht etwas Neues. Aber die Teilnehmerinnen gucken genauer hin, was sie eigentlich machen und merken: Darüber müssen wir vorher sprechen. Und hinterher. Wenn die Erzieherinnen in der Grundschule waren, fragen wir: Was fandet ihr wie? Zum Teil wird noch ausschließlich frontal unterrichtet, und es gelten völlig andere Bewertungsmaßstäbe als in der Kita. Gerade was die Eigenaktivität der Kinder und das Individuelle anbelangt, sind Kitas oft weiter. Das müssen die Erzieherinnen in solchen Gesprächen dann ausdrücken. Da hatten wir schon haarige Situationen, denn die Lehrerinnen fühlten sich angegriffen. Das waren sie ja auch.
Unser Hauptpunkt, den wir uns immer vergegenwärtigen, ist: Alle arbeiten nach bestem Wissen und Gewissen, wollen das Beste für die Kinder, jede und jeder. Wir wiederholen das geradezu gebetsmühlenartig.
Das Erste ist also: Gemeinsame Aktionen vor- und nachbereiten. Dann: Hospitationen vorbereiten, nachbereiten und begleiten. Wir fragen: Welche Bildungsgrundsätze habt ihr? Was ist bei euch eigentlich Bildungsziel? Natürlich haben alle Beteiligten Konzeptionen, doch sie kennen nur die eigenen Papiere. Die Kita weiß nicht, nach welchen Plänen die Grundschule arbeitet, und umgekehrt ist es genau so. Aber alle kennen das Vokabular, das man heutzutage benutzt, das in den Papieren auftauchen muss. Wir fragen also: Was heißt das konkret? Da kommen sie ins Stolpern, auch Lehrerinnen. Das Wenigste ist wirklich verstanden, und umgesetzt ist kaum etwas. Kann ja auch nicht, denn die Umsetzung hängt mit dem Verständnis zusammen.
Wenn wir von der Veränderung des Bildungsverständnisses reden, dann heißt das nicht: neue Vokabeln benutzen. Verständnis zeigt sich im Handeln. Nur am Handeln kann man erkennen, ob jemand etwas verstanden hat, nicht an dem, was er sagt. Sprechen ist also sehr häufig nicht wirklich ein Indiz. Kurz: Wir sind nicht auf Zitate aus den Bildungsplänen scharf, sondern wollen wissen, was die Erzieherinnen und Lehrerinnen denken. Zum Beispiel: Welche Fähigkeiten müssen Kinder in 30 Jahren haben? Worauf kommt es an?
„Na ja, Kompetenzen“, sagt eine. Und eine andere: „Offener Unterricht und so – die Kinder müssen später auch dann und dann im Betrieb sein, zuverlässig und diszipliniert. Sie müssen sich da hinsetzen, und dann muss das klappen.“ Jetzt können wir diskutieren: Was bedeutet das? Was meinst du damit? Sich selbst disziplinieren? Wie kommt man da hin? Wenn die Leute Tacheles reden, und das ist unser Ziel, dann sagen wir: Ja, wenn ihr das so und so meint – was glaubt ihr, wie Menschen lernen, sich selbst zu disziplinieren? Muss man sie zwingen? Oder wie stellt ihr euch das vor? Und siehe da, nun werden Grundfragen diskutiert: Wie war denn das bei mir? Warum kann ich früh um Fünf aufstehen und mich halbwegs disziplinieren? Woran liegt das? Wir besprechen die Vor- und Nachbereitung von Aktionen und von Hospitationen, die Konzepte der jeweiligen Einrichtungen. Dabei dominieren immer Fragen zur Rolle der Pädagoginnen und Pädagogen und zur Eigenaktivität der Kinder. Also Fragen wie: Was ist überhaupt meine Aufgabe? An einer in der Hospitation beobachteten Situation wird das diskutiert. Zum Beispiel: Ein Kind fragt etwas, die Lehrerin antwortet, das Kind fragt weiter – und irgendwann ist die Lehrerin genervt. Da schlagen die Erzieherinnen vor: „Sehen Sie mal, es sitzen doch alle miteinander am Tisch. Vielleicht könnten die Kinder das Problem erst mal untereinander regeln…“ Ich habe festgestellt, dass über die Antwort auf die Frage, was man als Lehrerin oder Erzieherin zu tun hat, große Unsicherheit besteht. Die Angst davor, etwas aus den Händen zu geben und den Kindern eigene Potenziale zuzutrauen, kommt bei allen Themen durch.
Ja. Im ersten Jahr ging das los, und es entstand ein starker Kontakt zwischen Kitas und Grundschulen. Nun sind wir dabei, ihn zu stabilisieren und in einen Rhythmus zu bringen, damit die Tandems sich mehr Zeit zum Reflektieren nehmen können. Außerdem veranstalten wir drei Workshops im Jahr, auf denen Inputs vermittelt werden und praktisch geübt wird.
Kürzlich ging es um das Thema „Sinn und Unsinn von Beobachtung und Dokumentation“. Damit sind vor allem die Kitas, aber auch die Grundschulen jetzt ständig konfrontiert. Viele Erzieherinnen und Lehrerinnen wissen nicht, wieso sie beobachten und dokumentieren sollen. Sie sehen darin eine Art Modewelle, die aufkommt und wieder abflaut. Deshalb wollten wir einen Einblick vermitteln: Was ist der Sinn der Sache? Wie kann man vorgehen? Der Workshop lieferte Inputs zu „Beobachtung und Dokumentation von Bildungsprozessen“ in der Kita und im Primarbereich. Ein Praxisteil schloss sich an, in dem Beobachten und Dokumentieren geübt wurde. Dabei kam heraus, wie unterschiedlich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beobachten, wie verschieden sie ein und dieselbe Situation interpretieren. Hinterher stellten einige Teilnehmerinnen fest: „Um Gottes willen! Wir müssen unbedingt darüber sprechen, was wir bei den Kindern wahrzunehmen meinen und gleich mit unserem Interpretationsmuster überziehen…“ Das war sehr wirkungsvoll.
Wir hatten auch einen Workshops mit Dr. Donata Elschenbroich vom Deutschen Jugendinstitut und Prof. Dr. Brunhilde Marquardt-Mau von der Universität Bremen. Donata Elschenbroich zeigte ihren Film „Die Befragung der Welt – Kinder als Naturforscher“. Am Nachmittag konnten die Erzieherinnen und Lehrerinnen selbst experimentieren. Dabei ging es nicht darum, ein Experiment aufzubauen, um es später mit den Kindern nachzuvollziehen, sondern sie experimentierten wirklich selbst. Zum Beispiel zur Wasserdurchlässigkeit von Stoffen. Über zehn verschiedene Stoffe sollten sie Hypothesen aufstellen, welcher Stoff das meiste Wasser aufnimmt und welcher gar keins. Das war faszinierend. Anfangs hatte ich den Eindruck, die meisten denken: Ach, das wissen wir schon. Na gut, tun wir mal so, als ob wir eine Frage hätten… Dabei wissen wir Erwachsenen fast überhaupt nichts über Naturwissenschaften! Wieso fliegen Flugzeuge? Keine Ahnung… Also eine echte Frage, mit der man sich befassen und mit den Kindern zusammen etwas herausfinden kann.
Der dritte Workshop widmete sich dem Thema „Wege in die Schriftkultur“. Es ging ums Vorlesen, um die Übergänge zum Selber-Lesen, um Malen, Kritzeln, Beschriften, Schreiben und um den Übergang zum Schreibunterricht in der Schule.
Ein grundlegender Gedanke in der Organisationsentwicklung ist: Man kann in Systeme nur eingreifen oder sie verändern, wenn man vor Ort ist, wenn man Theorie und Praxis zusammenbringt. Aber wir können die Universität nicht vor Ort platzieren. Deshalb favorisieren wir das Moderatoren-Modell. Wenn Moderatoren nicht einfach nur Überbringer der Botschaft der Uni, also der Theorie sind, sondern mit Wissenschaftlern die Dinge entwickeln, die sie als Bedarf aus der Praxis zurückgemeldet haben, und sie danach mit den Leuten aus der Praxis passfähig machen, wenn also gemeinsames Entwickeln stattfindet, dann gibt es die Chance, dass Veränderungen sich vollziehen und langfristig wirken. Nur dann. Das ist der strukturelle Hintergrund für unsere Bemühungen, ein Moderatoren-System aufzubauen. Unsere Moderatorinnen arbeiten in verschiedenen Arbeitskreisen. Ein Mal im Monat sind sie vier Stunden in der Uni, und alle vier Wochen findet ein Arbeitskreis mit der Verwaltung in Cottbus statt, an dem die Moderatorinnen, Vertreter des Jugendamts, der Schulrat und ich als Projektleiterin teilnehmen. In diesem Kreis diskutieren wir, wie die Verwaltung pädagogische Entwicklungsarbeit unterstützen kann. Das gehört nämlich dazu. Und schließlich gibt es die Tandem-Treffen mit den Moderatorinnen. Diese Struktur, ein ziemlich engmaschiges Netz, hat sich im letzten Jahr herauskristallisiert und etabliert. Jetzt sind wir dabei, die Schul- und Kitaleitungen zu integrieren, denn wenn Inhalte in den Teams verankert werden sollen, braucht man die Leitungen. Auch die Projektleitung kann nicht lediglich delegieren, sondern muss immer wieder dabei sein. Das ist extrem wichtig, schon atmosphärisch.
Unsere Idee ist, dass nicht nur Strukturen und Themen eine Rolle spielen, sondern auch wichtig ist: Welcher Mensch sitzt mit den Leuten am Tisch? Wer ist die Moderatorin? Wer die Projektleiterin? Was haben sie für eine Ausstrahlung? Was für eine Atmosphäre entsteht zwischen den Beteiligten? Wenn man in einen Raum kommt und die Atmosphäre spürt, die dort herrscht – das hat eine viel größere Realität als alles, was thematisch besprochen werden kann, denn es wird durch die Atmosphäre eingefärbt. Übrigens gilt das nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder. Die Atmosphäre hängt von einzelnen Menschen und ihren Haltungen ab, von der Authentizität und Wahrhaftigkeit, die die Menschen abstrahlen. Sind sie dazu imstande, können sie viel verändern. Sind sie das nicht, ist jede Investition verschenkt. Es ist meine feste Überzeugung, dass es von den einzelnen Leuten abhängt, ob etwas gelingt oder nicht. Wenn man in einem großen Kreis nur zwei Leute hat, die Atmosphäre schaffen können, reicht es schon. Wo es im Ansatz vorhanden ist, muss man es bestärken. Aber leider – ich kenne so gut wie kein System, in dem so etwas bestärkt wird.
Seit kurzem steht fest, dass das Projekt in Sachsen stattfinden wird. Auch in Berlin und im Saarland werden wir in diesem Frühjahr mit jeweils vier Tandems starten. Wir sind also dabei, die Idee in die Breite zu tragen, und müssen sehen, wie wir die verschiedenen regionalen Interessen bündeln.
Von Frauke Hildebrand und Prof. Dr. Jörg Ramseger
Datum: 28.03.2007
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