Über den Schulhof hinaus

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DKJS/D. Ibovnik

„Integrierte Bildungslandschaften“ – dies ist ein sperriger und schillernder Begriff, der sich nicht auf Anhieb erschließt – besonders, weil er in so vielen Variationen und Kontexten verwendet wird: Lokale Bildungsplanung, Regionale Bildungsplanung, Integrierte Bildungsplanung, Lernen in Nachbarschaften, Lokale Bildungspartnerschaften …, um nur einige zu nennen. Vielleicht sind die verschiedenen Bezeichnungen auch als ein Hinweis darauf zu lesen, um welch ein hochkomplexes Thema es sich handelt, das sich nicht so leicht „auf einen Nenner“ bringen lässt.

Thematisches Netzwerk „Integrierte Bildungslandschaften“
… Bildungschancen gemeinsam verwirklichen

Und was bedeutet das für Schulen?

Für Schulen und Schulträger ist die Debatte um Integrierte Bildungslandschaften noch verhältnismäßig neu; in anderen Zusammenhängen ist bereits mehr darüber nachgedacht worden (Jugendarbeit, Stadtentwicklung, zivilgesellschaftliche Akteure). Für uns als Serviceagenturen „Ganztägig lernen“, deren Auftrag im Rahmen des Programms „Ideen für mehr! Ganztägig lernen.“ die Unterstützung von Ganztagsschulen ist, liegt der Fokus infolgedessen auf der Frage, welche Relevanz dieses Thema eigentlich für das System Schule im Allgemeinen und Ganztagsschule im Besonderen hat.

Deutlich ist:

Schulen sind die einzigen Einrichtungen, die alle Kinder und Jugendlichen einer Region erreichen – und außerdem sind Ganztagsschulen derzeit der Ort, an dem die Zukunft von Bildung neu gedacht, diskutiert und erprobt wird. Bislang pflegte das System Schule eher wenig Sozialraum- oder Lebensweltorientierung, auch wenn Schulen sich vielerorts verstärkt zu ihrem Umfeld hin öffnen.

Schule ist also auf der einen Seite der zentrale verpflichtende, verbindende Raum und zugleich oftmals immer noch isolierte „Insel“ am Rande der gesellschaftlichen Entwicklungen und der Lebenswirklichkeiten. Gerade Ganztagsschulen sind aufgefordert, Öffnung nach außen und verstärkte Kooperationen mit außerschulischen Partnern in ihr Alltagsgeschäft zu integrieren. Sie sind damit prädestiniert, Teil einer Bildungslandschaft zu sein. Die in Zeiten verknappter Ressourcen der öffentlichen Hand notwendige Suche nach Synergien betrifft immer mehrere, bislang eigenständige und voneinander unabhängige Systeme (Stichworte: Ent-Säulung der Unterstützungssysteme und Hinwendung zu einem ressourcenorientierten, ganzheitlichen Bildungsbegriff ). Damit gewinnt die zunächst so abstrakt anmutende Integrierte Bildungsplanung konkrete Bedeutung für die einzelne Schule und ihre etwaigen Partner.

Verantwortungsübernahme im Sozialraum

Welche unterschiedlichen Ansätze es mittlerweile gibt, ließ sich auf dem Ganztagsschulkongress in beeindruckender Vielfalt erkunden. Gemeinsam ist ihnen: Eine Ganztagsschule ist beteiligt, der jeweilige Schulträger, eine weitere Schule, die Jugendhilfe, sozialräumliche Einrichtungen oder die Wirtschaft sind als Partner dabei; und es entsteht überall ein „Mehrwert“. Dieser Mehrwert, der den Begriff der „Bildungslandschaft“ von der Summe von Kooperationen abgrenzt, steht in den einzelnen Projektbeschreibungen im Mittelpunkt. Gegenüber durchaus auch begrüßenswerten „einfachen“ Kooperationsbeziehungen besteht er in der Mehrdimensionalität der Vernetzung und dem Grad der Verbindlichkeit sowie dem Ausmaß an Verantwortungsübernahme im Sozialraum.

Integrierte Bildungslandschaften

Internationale Beispiele und Stand der deutschen Diskussion

Ulrike Baumheier, Günter Warsewa

In der Tradition des deutschen Bildungswesens haben sich die Schulen (mitsamt den zugehörigen Behörden, Lehrerbildungseinrichtungen, Beratungs- und Fachdiensten etc.) zu einem geschlossenen System entwickelt, das ausschließlich darauf hin konstruiert ist, in konzentrierter Form Bildung im Sinne von Wissen zu vermitteln. Alternativen, die durchaus in vielfacher Form und mit unterschiedlichen inhaltlichen Zielen und Schwerpunkten ausprobiert wurden, haben sich gegenüber dieser dominierenden Systemlogik bis heute nicht entscheidend durchsetzen können. Dies war solange kein gravierendes Problem, wie sich die Vorstellung halten konnte, dass das Schulsystem seine gesellschaftliche Aufgabe mehr oder weniger zufrieden stellend erfülle.

Funktionsdefizite

Seit einigen Jahren ist jedoch unübersehbar, dass das deutsche Schulsystem seine Aufgabe nicht mehr erfüllt, dass das Bildungsniveau der Absolvent/innen im internationalen Maßstab unzureichend ist, dass zu viele Schulabbrecher produziert werden und dass das Schulsystem als ein harter Mechanismus der sozialen Selektion und Polarisierung wirkt. Diese Funktionsdefizite erscheinen umso dramatischer, als Bildung und Wissen mit dem Übergang in die Wissens- und Informationsgesellschaft zur bedeutendsten Produktivkraft werden.

Bildungsauftrag sinnvoll erfüllen

Der grundlegende Wandel von Wirtschaft und Arbeitswelt ist dabei nur eine der Ursachen, die in jene vielfältigen neuen und gravierenden Herausforderungen einmünden, auf die das Schulsystem bislang keine Antwort gefunden hat: Nur wenn diese neuen Aufgaben, wie z. B. die Förderung einer stabilen Persönlichkeitsentwicklung oder die Vermittlung von sozialen Kompetenzen und sozialer Integration, als Kernaufgaben der Schule begriffen werden, wird sich auch der Bildungsauftrag wieder sinnvoll erfüllen lassen.

Umorientierungen

Zu sozialer Integration von Personen oder sozialen Gruppen kann freilich nur eine Institution beitragen, die selbst gesellschaftlich integriert, offen für unterschiedliche Einflüsse und Entwicklungen und in der Lage ist, angemessen auf diese zu reagieren. Das bedeutet, dass das Schulsystem eben nicht mehr als ein geschlossenes System funktionieren kann; die damit notwendig werdenden Umorientierungen auf der Ebene der einzelnen Schulen werden zur Zeit vor allem durch zwei Trends begünstigt:

  • Seit ca. 25 Jahren sind mit verschiedenen Formen der kleinteiligen Stadtentwicklungspolitik, mit Quartiersmanagement, aktivierenden, mobilisierenden, beteiligenden und vernetzenden Initiativen auf lokaler Ebene viele positive Erfahrungen gemacht worden und vielerorts hat sich daraus eine funktionierende Quartierspolitik entwickelt, die nicht zuletzt auf der guten Zusammenarbeit diverser Institutionen vor Ort basiert. Allzu häufig sind bislang gerade die Schulen kein aktiver Teil jener lokalen Verantwortungsgemeinschaften, jedoch mehren sich in letzter Zeit die Hinweise, dass Schulen von sich aus oder aufgrund von deutlichen Anforderungen aus ihrem Umfeld auf diese Entwicklung reagieren und sich zunehmend auf quartiersbezogene Kooperationen einlassen.
     
  • Der zweite Trend, der eine Öffnung von Schulen für ihre Umwelt begünstigt, ist die politisch forcierte und voranschreitende Einrichtung von Ganztagsschulen. Ganztagsschulen verfügen im Verhältnis zu den klassischen Halbtagsschulen in sehr viel größerem Umfang über die Ressourcen „Zeit“ und „Kompetenzen“. Ohne die Verfügbarkeit von ausreichend Zeit und den erforderlichen professionellen Kompetenzen ist die notwendige Öffnung für neue Aufgaben und für neue Kooperationen überhaupt nicht denkbar. Erfolgreiche Beispiele für derartige Entwicklungen lassen sich aus zahlreichen anderen Ländern anführen und unabhängig davon, ob diese Netzwerke „Extended Schools“ (Großbritannien), „Vensterscholen“ (Niederlande), „Community Knowledge Centers“ (USA) oder eben „Integrierte Bildungslandschaften“ genannt werden, bleibt immer „die Schule“, wie auch die anderen beteiligten Einrichtungen, durchaus als eigenständiges Element erhalten, das aber in ein stadtteil- oder quartiersorientiertes Netzwerk eingebunden ist. Wie und unter welchen Bedingungen solche Netzwerke erfolgreich aufgebaut und auf Dauer organisiert und betrieben werden können, lässt sich insbesondere an noch relativ jungen Beispielen in den Niederlanden und Großbritannien studieren.

Aus der Publikationsreihe der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung im Rahmen von „Ideen für mehr! Ganztägig lernen.“

 

Datum: 30.07.2008
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