Zusammen besser sein

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DKJS/D. Ibovnik

Lernen soll an der Schule in Badenstedt nicht mehr über ein differenziertes Kurssystem gestaltet werden. In den Klassen lernen Schüler mit unterschiedlichem Leistungsvermögen gemeinsam. Das Ziel: Jeder soll auf seinem Niveau und in seiner Geschwindigkeit Fortschritte machen.

Von Britta Kuntoff

Der erste Frost ist da: Die Grünkohlsaison hat angefangen. An der Ecke Badensteder-Plantagenstraße lockt die Gaststätte Zur Eiche Hannovers Hungrige mit Niedersachsens wichtigstem Gemüse, dazu gibt es Pinkel und Bauchspeck, im Angebot steht außerdem die Schlachteplatte. Ein paar Schritte vom Lokal entfernt liegt das Gelände des Bildungszentrums Badenstedt, zu dem die Realschule und die Integrierte Gesamtschule gehören. Handfestes statt Schnickschnack – das  gibt es auch hier: Für die Schüler starken Zusammenhalt und gemeinsames Lernen nach individuellem Niveau und für Lehrer pädagogische Visionen, die sie passgenau in die Tat umsetzen können.

 

Dabei ist die Realschule Badenstedt ein Auslaufmodell. Sobald die heutigen Siebtklässler die Schule im Schuljahr 2014/2015 verlassen haben werden, wird es die Realschule Badenstedt nicht mehr geben. Das klingt hart, ist jedoch innovative Neuerung. Denn seit zwei Jahren wächst eine Integrierte Gesamtschule nach, kurz IGS. Bereits jetzt besuchen sie 267 Kinder, die in fünf fünften und fünf sechsten Klassen unterrichtet werden; zur Realschule gehen 193 Schülerinnen und Schüler. Alle Lehrkräfte der Realschule und auch einige der Hauptschule, die ihren Ort im gleichen Schulgebäude findet, haben sich mit dem Start der IGS vor zwei Jahren an die Gesamtschule versetzen lassen. Derzeit unterrichten 70 Lehrerinnen und Lehrer an der Realschule, der Hauptschule und der IGS. 

Abschied vom dreigliedrigen Schulsystem

Mit einer IGS verabschiedet sich Schule von dem klassischen dreigliedrigen Schulsystem Haupt-, Realschule und Gymnasium. Integration statt Separation. „Wir möchten eine Schule für alle sein, in der alle Kinder gemeinsam lernen“, erklärt Christine Preuß, die stellvertretende Schulleiterin von IGS und Realschule. In Niedersachsen dauert die Grundschulzeit in der Regel vier Schuljahre. Kinder, die danach eine IGS besuchen, können hier einen Hauptschul-, den Realschul- oder den Erweiterten Sekundarabschluss I erreichen. Laut niedersächsischem Schulgesetz teilt sich der Unterricht an einer IGS ab Klasse sieben in Mathematik und Englisch in Kurse nach dem angestrebten Abschluss, ab Schuljahrgang acht auch in Deutsch und ab Klasse neun ebenfalls in den Naturwissenschaften. 

Allerdings: Um zusammen zu lernen, muss eben man zusammen lernen. Und sich nicht in Kurse verteilen. Der Schulleiter beider Schulen, Thomas Bürkner, hat deshalb einen Antrag gestellt, um auf das Kurssystem bis einschließlich Klasse acht verzichten zu können. „Statt dessen setzen wir darauf, innerhalb der Klassengemeinschaft differenzierte Aufgaben zu verteilen“, sagt er, der an seiner Schule am liebsten überhaupt keine Kursaufteilung sehen würde. „Ab Klasse neun führt laut Schulsystem jedoch daran kein Weg vorbei“, meint Thomas Bürkner.

Stärkere profitieren von Schwächeren

Die Schülerschaft einer IGS ist bunt. Sie reicht vom Förderkind bis zum Schüler, der am Gymnasium keine Probleme hätte. Eine breite Spannweite an Leistungsvermögen. Und jeder soll dort abgeholt werden, wo er steht. Individuelles Lernen nach Wochenplänen, in Gruppen- oder Partnerarbeit gehört schon an der Realschule längst zum Schulalltag. „An der IGS gibt es diese Lernformen ganz selbstverständlich. Denn so lernen Schüler überhaupt zu lernen. Je eigenständiger sie lernen, desto mehr Wissen bleibt auch hängen“, berichtet Christine Preuß und ist überzeugt, dass in einer bunten Schülerschaft große Chancen stecken. „Die Leistungsstarken- und die –schwächeren profitieren voneinander.“ 

Realschule und IGS sind offene Ganztagsschulen, Schulzeit ist von 8.15h bis 15.40h. Bis zum Mittagessen finden drei Blöcke zu je 90 Minuten Unterricht statt, dazwischen liegen zwei Mal zwanzig Minuten Pause. Für die Realschüler sind die letzten beiden Stunden eines Schultages bis auf den Freitag für eine AG wie zum Beispiel Volleyball oder Zirkus vorgesehen. Einen Nachmittag nehmen alle Realschüler an einer Klassen-AG teil. Im Mittelpunkt steht dabei ein Sozialtraining. „Die Schüler sollen zu einer Gruppe zusammenwachsen, in der jeder integriert ist“, beschreibt Sozialpädagoge Thomas Heine den Hintergrund dieser Klassen-AGs. 

Miteinander und mittendrin

Überhaupt steht bei Realschule wie IGS das Miteinander mittendrin. Darum dreht sich fast alles: Während der Hausaufgaben-AG helfen unter der Aufsicht einer Lehrkraft ältere Schüler den jüngeren. So genannte Buddies, Schüler der Klassenstufe 9, betreuen eine fünfte Klasse bei allen Planungen und sind Ansprechpartner bei Problemen. Zwei Mädchen aus der neunten und zehnten Klasse beispielsweise leiten die Tanz-AG. Sie haben sich mit einem Lehrer zusammen die Choreografie überlegt und den Unterricht geplant. Für die Übungsleiterlizenz fehlt dann nur noch eine Theorie-Prüfung. Dennis, 14, und Abu, 12, sind in einer AG ausgebildete Schulsanitäter: „Immer, wenn jemanden hier zum Beispiel schlecht wird, ruft man uns über unser Diensthandy aus dem Unterricht. Dann kommen wir, und bleiben bei dem Kranken. Wir helfen gern“, beteuern beide Siebtklässler. 

Schüler für Schüler

„Das Prinzip Schüler für Schüler schafft gutes Klima – und das ist die Basis für erfolgreiches Lernen“, glaubt Christine Preuß, die darauf und auf die Profile genannten Angebote besonders stolz ist. Profilarbeit ist projektorientiert. Während die in der Realschule eher berufsorientierenden Charakter hat, besuchen einige der IGS-Schüler einmal die Woche innerhalb ihres Profils das Sprengel-Museum und lassen sich von der Kunst zu einem eigenen Theaterstück inspirieren.

Der Sinn für Schönheit steckt ebenfalls im Projekt, an dem die Schule innerhalb des Netzwerkes Lernkultur arbeitet: Die breiten Flure, die großen Räume, der Hof, all das soll wohnlicher werden und die Schule zu einem Lebensraum wandeln. Das Farbkonzept steht und die Umsetzung ist geplant. Vielleicht gelingt es, demnächst flexible Schulmöbel auszuprobieren. 

Wir sind in Niedersachsen. Das Pferd gehört zum Landeswappen. Fast ist es da überflüssig zu erwähnen, dass die Reit- und Voltigier-AG dieser Schule zu den beliebtesten gehört. Hoch zu Ross sitzt hier allerdings sonst keiner: Um eine neue Schule auf die Beine zu stellen, müssen alle gemeinsam anpacken. 

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www.ganztaegig-lernen.de

DKJS 2018