Mit Räumen Lernkultur verändern

Thematische Lerninseln, Selbstlernzentren und Lernwerkstätten – solche neuen oder veränderten Räume können die Routine von Unterricht nachhaltig aufbrechen. Die Orte des Lernens spielen an Ganztagsschule ein wichtige Rolle, bestimmen sie doch die Lernkultur entscheidend mit.

„Während die Personalfragen mit der Schulaufsicht und dem Ministerium zu verhandeln sind, sieht das bei der Raumfrage ganz anders aus. Mein Ansprechpartner ist der Schulträger und damit die Kommune“, fasst ein Schulleiter aus Mecklenburg-Vorpommern die Verantwortlichkeiten zusammen. Will er Räume verändern oder sogar neue schaffen, muss er den Schulträger überzeugen und das geht am besten mit klaren Vorstellungen seitens der Pädagogen. Gerade wenn Schulen und ihre Häuser in die Jahre gekommen sind, ist Phantasie gefragt. Da gilt es notfalls Wände einzureißen, Zwischenböden einzuziehen oder auf unkonventionelle Weise mit Möbeln zu arbeiten. Das wiederum lässt sich nur mit der Kommune bereden. Die ist verantwortlich und hoffentlich zahlungsfähig.

Buch zur Ganztagsschule

Aus der neuen Vielfalt der Verhältnisse resultieren eine Reihe von Organisationsaufgaben und -problemen, aber auch vielfältige Chancen, insbesondere auf pädagogischem Gebiet. 

Ganztagsschule stellt traditionelle Raumstrukturen in Frage

„Keine andere Schulart stellt den Raum so sehr in Frage wie die Ganztagsschule!“, meint der Schulleiter. An seiner Schule wurde der offene Lerntag eingeführt, das wurde erst durch Rhythmisierung möglich. Dafür galt es einen Raum zu schaffen, der vielfältigste Materialien bietet, aber ebenso Stauraum oder besser Parkraum für Lernprodukte, die nicht in 45 Minuten fertig sind. Der Lerntag wurde auch möglich, weil die Schülerzahlen zurückgingen. „Weniger Klassen! Mehr Räume!“ lautet die Formel. Da wurde gar nicht über „Anbau“ und „Neuinvestition“, sondern vielmehr über „Umstrukturierung“ gesprochen.

Der Raum verlor seine „Linearität“. Als erstes wurde die Tafel demontiert und machte großen Regalen Platz und die Wände wurden zu Archiven von Meilensteinplänen, Ideenskizzen, Zeichnungen oder Postern. Tische wurden in Tischgruppen formiert und Korkwände angeschafft. An den Decken fanden Mobiles Platz. So zum Beispiel jene, die im Chemieunterricht entstanden sind: Magnesiumoxid, bestehend aus den Elementen Magnesium und Sauerstoff ist so aufgearbeitet worden, dass Atomanzahl und Massenverhältnisse in ein Mobile übersetzt wurden. Deckenhaken waren gefragt. „Im normalen Klassenraum wäre das undenkbar gewesen“, erzählt der Schulleiter.

Dieser Raum für den offenen Lerntag muss richtiggehend disponiert werden, rechtzeitige Anmeldung und Absprache unter den Lehrern sind gefragt, denn es passen je Woche eben nur fünf Klassen rein. Das wiederum führt dazu, dass auch außerhalb der Schule nach Lernorten und Lernumgebungen gesucht wird. Ein Dauerrenner ist die Ortsbibliothek, da gibt es immer ein Unterkommen, Platz und Material. Bücherlandschaften.

Einmalige räumliche Entwicklungschancen

Zeiten von Konzentration und Entspannung, von Ruhen und Toben lassen sich lernförderlich arrangieren, wenn der ganze Tag von allen Kindern einer Klasse zeitlich flexibel genutzt werden kann. Eine neue Lernkultur wird sich vor allem dort entfalten, wo Lehrerkräfte, Erzieher, Sozialpädagogen und andere pädagogische Fachkräfte nach neuen Arbeitszeitmodellen mit „ihren“ Ganztagsklassen in klar gegliederten räumlichen Einheiten zusammen arbeiten. Material

Nicht nur in der eigenen Schule suchen

Routine ist aber auch an anderen Lernorten zu durchbrechen, denn in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler  spielen die „Hintergründe“ beim Lernen ein wichtige Rolle. „Wenn ich ganz normal Biologie habe und dann für einen Test lerne, dann habe ich meinen Hefter, die Tafel und den Klassenraum im Hinterkopf. Wie ein Bühnenbild. Habe ich ein anderes Fach im gleichen Raum gehabt, dann lerne ich vor demselben Hintergrund. Das ermüdet, finde ich.“ So beschreibt die Achtklässlerin Saskia ihre Situation.
Die Möglichkeiten, andere Lernorte aufzusuchen, sind in Großstädten schier unendlich. Ausstellungen, Museen, die verschiedensten Kultureinrichtungen freuen sich über Anfragen von Schulen. „Das ist wie mit der Computertechnik, die Möglichkeiten sind vielfältig, aber die didaktischen Ideen rar“, erklärt der Schulleiter. Die Lehrkräfte sind auf das Schulhaus fokussiert, obendrein auf das Prinzip der Klassenräume. Routinen zu durchbrechen und alle in Schule Beschäftigen abzuholen, heißt eben auch, stufenweise Neues auszuprobieren.

Beispiele für Veränderungen

Die Veränderung im Raum: Blockunterricht führt zur Einführung vielfältigster Unterrichtsmethoden. 90 Minuten sind lang. Aus diesem Grunde müssen „Selbstlernphasen“ eingeplant werden, damit die verantwortlichen Pädagogen nicht 90 Minuten frontal unterrichten. Kooperative Lernformen sind beste Möglichkeiten. Deshalb dürfen Tische nicht am Boden befestigt sein, sondern müssen verschiebbar sein.

Die Veränderung in der Schule: Wie beschrieben, wird der offene Lerntag eingeführt. Werkstatträume werden etabliert. Ein anderer Weg wäre, so zu rhythmisieren, dass freie Lernzeiten entstehen. In diesem Fall werden „Selbstlernzentren“ benötigt.

Die Veränderung im Schulumfeld: In diesem Fall werden ganze Unterrichtseinheiten in außerschulischen Einrichtungen durchgeführt. Dafür sind verlässliche Absprachen zu treffen.

In allen Veränderungen liegt ein Kern. Der Veränderung von Raumstrukturen geht eine Veränderung von Zeitstrukturen voraus. Sind Raum und Zeit anders konfiguriert, ist entweder eine veränderte Didaktik „schuld“ oder diese verändert sich, nachdem (!) die benannten „Stellschrauben“ verdreht wurden.

23.01.2012