Herr Steinert (Bundeselternratsvorsitzender): Von einer guten Ganztagsschule erwarte ich, dass zu Hause keine Hausaufgaben mehr gemacht werden müssen. Dass man zu Hause mal Vokabeln oder Lesen übt, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Das ist aber nicht als Hausaufgabe an sich zu verstehen, sondern als Einüben von Kulturtechniken.
Doch auch Angebote zur Persönlichkeitsentwicklung und -stärkung können dazugehören oder besondere Lerngelegenheiten, besondere Aktivitäten wie Ausflüge und Projekte. Das Lernen an Ganztagsschulen beschränkt sich also nicht auf unterrichtsergänzende Stoffvermittlung, sondern geht darüber hinaus.
Ganztagsschulen ermöglichen Schülerinnen und Schülern ein ganzheitliches Lernen.
Ganztagsschulen bieten besondere Möglichkeiten des Lernens, besonders um Sachverhalte über einen längeren Zeitraum zu erkunden und zu verstehen.
Hausaufgaben werden vor allem in der Ganztagsschule zu Übungsaufgaben, die in der Schule erledigt werden können.
Ganztagsschulen, die pädagogisch gut gestaltet sind, verbinden Unterricht und Angebote. Sie haben ein pädagogisches Konzept für alle schulischen Lernund Lebensbereiche. Verschiedene Bereiche des Schullebens müssen dabei berücksichtigt und miteinander verknüpft werden. Die folgende Abbildung verdeutlicht das umfassende pädagogische Programm einer Ganztagsschule. Alle diese Formen stehen miteinander in Verbindung. Eltern können nachfragen, mit welchen Ansätzen die Schule ihrer Wahl arbeitet.
Abbildung: Planungsbereiche in einer pädagogisch gestalteten Ganztagsschule
Unterricht und Angebote sollten aufeinander bezogen sein Besonders die Abstimmung zwischen Hausaufgabenbetreuung und Unterricht oder die Abstimmung der Förderkonzepte mit dem unterrichtlichen Bereich stellen eine solche Querverbindung dar. Beispiel: An Uwes Schule kann er nachmittags vertiefen, was er vormittags gelernt hat. Wenn zum Beispiel das Thema „Säugetiere“ im Biologieunterricht behandelt wird, werden in dem Nachmittagsangebot Tierbeobachtungen an einem nahe gelegenen See, Bauernhof oder Zoo gemacht.
Unterschiedliche Leistungsstärken können gezielt gefördert werden
Eine Schule muss auf die Situation ihrer Schülerinnen und Schüler gute pädagogische Antworten finden. Eine gute Ganztagsschule hat ein pädagogisches Konzept entwickelt, das die Diagnose von Begabungspotenzialen, Lernentwicklung und Lernproblemen beinhaltet, um so Talententwicklung und intensive Lernförderung im Unterricht, aber auch in den außerunterrichtlichen Angeboten praktizieren zu können. Die individuelle Förderung der Lernenden steht im Vordergrund. Dies muss im pädagogischen Konzept verankert sein und bei Personalentwicklungsmaßnahmen, zum Beispiel Fortbildungen der Lehrkräfte, berücksichtigt werden.
Umsetzung von pädagogischen Konzepten zur sozialen Erziehung Gibt es viele Schülerinnen und Schüler, die lernen müssen, mit Konflikten umzugehen, muss die Ganztagsschule auch hierfür ein pädagogisches Konzept entwickeln. Es müssen Regeln festgelegt und vereinbart werden, die im Unterricht wie in den Angeboten gelten, die in den Pausen ebenso Relevanz haben wie während der Freizeitangebote. Es ist wichtig, Lernangebote zu konzipieren, in denen Schülerinnen und Schüler positiv erleben können, dass es sinnvoll ist, Konflikte friedlich zu lösen. Damit dies gelingt, müssen alle Menschen in der Ganztagsschule – die Mitarbeitenden des Vormittags und des Nachmittags – über das pädagogische Konzept informiert sein und an einem Strang ziehen.
Beispiel
Paul benutzt bei der kleinsten Auseinandersetzung seine Fäuste: „Ich kann mich nicht von jedem beleidigen lassen. Da muss ich erst einmal dafür sorgen, dass die mich mit Respekt behandeln.“ Paul stärkt sein Selbstbewusstsein mit Körperkraft. Das Lernen bereitet ihm im Moment große Schwierigkeiten. Besonders Deutsch und Mathematik sind ihm verhasst. Das einzige Fach, das er liebt, ist Sport.
Beispiel
Anna Lena geht in die erste Klasse und langweilt sich häufig im Unterricht. Das macht sie unzufrieden und im Umgang schwierig. Sie konnte bereits bei der Einschulung lesen, und Rechenaufgaben wie Multiplizieren und Dividieren beherrscht sie schon jetzt und ist somit allen Mitschülerinnen und Mitschülern weit voraus.
Lernchancen in Ganztagsschulen
Ganztägig arbeitende Schulen können ihren Schülerinnen und Schülern andere Möglichkeiten des Lernens eröffnen:
Es gibt mehr Zeit zum Lernen,
Inhalte können vertiefter behandelt werden,
Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern können besser in den Lernprozess integriert werden,
individuelle Lernwege und -interessen können stärker berücksichtigt werden,
offene Unterrichtsformen und veränderte Formen des Lernens und Lehrens
können verstärkt angewendet werden
Hausaufgaben werden zu Übungsaufgaben
Die Hausaufgabenbetreuung und deren Organisation geben einen guten Anhaltspunkt dafür, ob die Schule ein durchdachtes pädagogisches und organisatorisches Konzept hat. Die Gestaltung des Raumes, der Einsatz des Personals und die Organisation der Zeit beeinflussen die Qualität der Hausaufgabenbetreuung. In Bildungskonzepten gebundener Ganztagsschulen sind Hausaufgaben häufig nicht mehr zu finden. Durch den anderen Umgang mit Zeit haben die Schülerinnen und Schüler hier die Möglichkeit, über den Tag ihre Kenntnisse durch Übungsaufgaben zu vertiefen. Im Idealfall fallen die Hausaufgaben als Aufgaben für zu Hause weg und werden in der Schule bereits vollständig be- und erarbeitet, wo auch direkt Rückfragen an Lehr- oder Erziehungspersonal gestellt werden können. Das Schulprogramm einer Schule gibt häufig
Auskunft über das Konzept der Schule über Sinn, Zweck und Umfang der Hausaufgaben. Die Hausaufgabenbetreuung an offenen Ganztagsschulen liegt überwiegend am Nachmittag und wird häufig von pädagogischen Kräften durchgeführt, die nicht im Vormittag arbeiten. Wichtig ist in diesem Bereich, dass die Personen, die die Hausaufgaben betreuen, nicht ständig wechseln und sich mit dem Lehrpersonal und gegebenenfalls mit den Eltern in Verbindung setzen, wenn es Schwierigkeiten bei einzelnen Schülern und Schülerinnen gibt.
Von: Katrin Höhmann, Ilse Kamski, Thomas Schnetzer