Die Pädagogen der Grundschule Schweinfurt haben eine Wahrnehmung dafür, dass ein Teil „ihrer“ Kinder zu Hause aus verschiedenen Gründen nicht optimal gefördert werden kann. Bewegungsmangel und nicht altersgerecht entwickelte Motorik scheinen da noch zu den kleineren Problemen zu gehören. Über ein Drittel der Schülerinnen und Schüler lebt mit nur einem Elternteil und der Schulleiter und seine Mitstreiterinnen wissen um die besonderen, teilweise sehr hohen sozialen und emotionalen Förderbedarfe.
Da die Schülerzahlen zwischen April und Juni 2011 nochmals angestiegen waren, durfte an der Friedrich-Rückert-Grundschule eine weitere Klasse gebildet werden. Dies hat deutlich kleinere Klassenstärken zur Folge: Statt zwei Klassen mit 24 und 27 Kindern gibt es jetzt drei jahrgangskombinierte Klassen in der ersten und zweiten Jahrgangsstufe mit jeweils 17 Kindern. Zusätzlich verfügen diese Klassen über einige Lehrerstunden mehr. 188 Kinder besuchen derzeit die zehn Klassen der Friedrich-Rückert-Grundschule in Schweinfurt. Etwa zwei Drittel davon sind Kinder mit Migrationshintergrund – das hat natürlich Auswirkungen auf die Gestaltung des Schulalltags.
Seit 2007 engagieren sich die Pädagoginnen und Pädagogen durch Beteiligung am „Modellversuch Gebundene Ganztagsgrundschule“ für ganztägiges Lernen und seit dem Schuljahr 2010/11 können die Schülerinnen und Schüler in jeder Jahrgangsstufe eine Ganztagsklasse besuchen.
Friedrich-Rückert-Grundschule Schweinfurt
Die hat für ihr Veränderungsvorhaben im Rahmen der Mitarbeit im Netzwerk Ganztagsschule eine Zielvereinbarung geschlossen.
Die Friedrich-Rückert-Grundschule residiert in einem Haupthaus, das 1854 errichtet wurde, und einem Nebengebäude neueren Ursprungs. Ein großer Pausenhof, ein Spielbereich und ein Platz für Ballspiele gehören zum Schulgelände, das wegen des angrenzenden Bahngleises und einer stark befahrenen Straße von einem hohen Zaun umgeben ist. Ebenfalls im Hauptgebäude untergebracht ist ein Hort, dessen Träger das Haus Marienthal e.V. Schweinfurt ist.
Schule ist ein geschützter Raum
Das gesamte Ensemble könnte dem Flaneur bei flüchtigem Blick wie eine Trutzburg erscheinen. Wer aber hinter den Zaun schaut, merkt schnell: Hier lädt ein Schutzraum ein. Mit ausgeprägter Sensibilität für die so unterschiedlichen Schülerinnen und Schüler trägt das Kollegium zum Wohlfühlen bei. Die Schule ist ein geschützter Raum für freie Bewegung und Entfaltung.
Im Inneren der Schule zeigen die engen Flure den sehr eigenen Charme des Gebäudes. Die Kinder fühlen sich hier behütet, beschützt und gefördert. Genau das ist den Lehrerinnen und Lehrern und den Erzieherinnen wichtig. Sie nehmen die alltäglichen Herausforderungen bewusst an und versuchen, ihren Schülerinnen und Schülern ein Stück Heimat zu bieten.
Nicht nur der hohe Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund bewirkt, dass die Lehrerinnen und Erzieherinnen mit Defiziten in der sprachlichen Entwicklung und im Sozialverhalten konfrontiert sind. Aber, so betont der Schulleiter immer wieder, „unsere Kinder sind unsere Goldstücke“. Diese respektvolle Aufnahme, und Zuwendung nehmen die Kinder gern an – so spüren sie, dass sie willkommen sind.
Eltern beteiligen
An der Friedrich-Rückert-Grundschule weiß man: Um dieses Wohlbefinden weiter zu festigen, bedarf es vieler unterschiedlicher Versuche, sich gegenüber den Ansprüchen der Mütter und Väter „ihrer“ Kinder zu öffnen und auch hier über vielfältige Angebote Nähe zum schulischen Leben und Alltag herzustellen. Über den Elternbeirat und die Schulfeste bringen sich viele Eltern aktiv ins Schulleben ein. Um ihr Interesse an Schulgemeinschaft noch zu fördern, setzt man in der Friedrich-Rückert-Grundschule auf gezielte Elternarbeit. Seit Oktober 2010 berät und begleitet eine Jugendsozialarbeiterin an der Schule Eltern, Kinder und Lehrkräfte bei unterschiedlichen Problemlagen. Sie vermittelt Kontakte, ermöglicht weiterführende Hilfsmaßnahmen und unterstützt Familienangehörige und Lehrkräfte bei der Bewältigung von Konflikten.
Das „Rucksack-Projekt“
Das sogenannte „Rucksack-Projekt“ wurde im Hort etabliert und läuft in enger Zusammenarbeit mit den Klassenleiterinnen. Eltern erfahren hier wöchentlich, was und vor allem auch wie man mit Kindern lernen muss, damit diese gern zur Schule gehen. Für türkische Mütter wurde unter anderem von einer Lehrerin mit türkischem Migrationshintergrund ein Elterncafé an der Schule initiiert. Und wieder ist es der respektvolle Zugang, der zur Integration einladen soll. Es sind die Taten, die für sich sprechen. Die Lehrerinnen und Lehrer wollen, dass sich die Kinder sagen: „Ich fühle mich angenommen und verstanden“. Diese Öffnung der Schule macht sich bemerkbar, ist im Schulalltag zu spüren.
Dringend notwendig ist bei Vielen die Förderung der Sprachkompetenz. Genauso wichtig, so ist im pädagogischen Konzept der Schule zu lesen, ist den Lehrkräften die Förderung sozialen Lernens. Die Schule arbeitet eng mit den Kindertagesstätten zusammen und führt bereits mit den Kindergartenkindern Deutsch-Vorkurse durch. „Später, in der ersten und zweiten Jahrgangsstufe, lernen unsere Schülerinnen und Schüler in speziell eingerichteten Deutschlerngruppen noch besser Deutsch“, erzählt der Schulleiter mit sichtlichem Stolz. „Unsere Kinder in der ersten und zweiten Jahrgangsstufe, die noch einen besonderen Lernbedarf im Hinblick auf die Sprachkompetenz haben, werden in mehreren Deutschlerngruppen mit insgesamt 24 zusätzlichen wöchentlichen Lehrerstunden gefördert.“
Kooperationsklasse = Klassen mit individuellen Förderbedarf
Kinder mit besonderem Förderbedarf erfahren in einer sogenannten Kooperationsklasse individuelle Hilfen. Die Klassenleiterin wird hier von einem Sonderpädagogen unterstützt. Immer wieder wird deutlich: Hier werden Probleme nicht wegdiskutiert und schaffen schlechte Stimmung, im Gegenteil: Es scheint zur Philosophie der Schule zu gehören, Schwierigkeiten als Chance zu begreifen. Diese Chance besteht darin, die Potenziale zu fördern. So ist das Glas eher immer halb voll als halb leer.
Ein besonderes Highlight an der Friedrich-Rückert-Grundschule sind die Ganztagsklassen. Der Unterricht am Vormittag endet hier für die Schülerinnen und Schüler bis zur 2. Klasse um Viertel nach Zwölf. In der Mittagspause ist den Erzieherinnen oder Lehrkräften wichtig, dass in ruhiger, entspannter Atmosphäre, möglichst frei von Störungen gegessen wird. Dazu tragen auch eingeübte Rituale bei. Es wird darauf geachtet, dass die Kinder noch besser lernen, richtig mit Messer und Gabel umzugehen, sich eigenverantwortlich am Tischdienst zu beteiligen und alle gemeinsam mit dem Essen beginnen.
Zwischen 13:00 und 14:00 Uhr gibt es dann eine pädagogisch gestaltete Pause; zur Auswahl stehen diverse Bewegungsangebote oder auch Kreatives Gestalten. Ein Ruhe- und Leseraum wird ebenfalls gerne genutzt. So ist für die verschiedenen Bedürfnisse der Kinder gut gesorgt. Nach der pädagogischen Pause geht es für die Ganztagsklassen je nach Jahrgangsstufe noch bis 15:30 Uhr oder 16:00 Uhr weiter. Am Nachmittag stehen Übungseinheiten, zum Beispiel in Deutsch und Mathematik, oder Angebote aus den Bereichen Soziales Lernen, Kreatives Gestalten, Musik oder Sport auf dem Programm.
Im Ganztagsbereich spielt auch die Kooperation mit verschiedenen Einrichtungen eine entscheidende Rolle. Durch die Zusammenarbeit mit dem Hort, der Musikschule und einem Schwimmverein kann das Angebot für die Kinder im Sinne einer rhythmisierten Unterrichtsgestaltung sehr gut ergänzt werden.
Kooperation im Umfeld der Schule
Wertvolle Unterstützung erfährt die Schule auch durch den von der evangelischen und katholischen Kirche ermöglichten Einsatz von Religionspädagoginnen überwiegend im Bereich des sozialen und emotionalen Lernens. Ein besonderes Anliegen ist der gesamten Schulfamilie die Gestaltung multireligiöser Schulfeiern, an denen alle Kinder aktiv teilnehmen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit bzw. ihrem Bekenntnis.
In der Reflexion des gemeinsamen Schulalltags erleben Lehrkräfte, Erzieherinnen und sonderpädagogisches Personal Synergien, die manchmal auch aus den unterschiedlichen Berufsbildern und Zielstellungen resultieren. Besonders wichtig ist der Schulleitung und dem Kollegium, den erzieherischen und unterrichtlichen Herausforderungen im Team zu begegnen, gemeinsam das bestehende pädagogische Konzept der Schule zu evaluieren und abschließend zu überarbeiten.
Zusammengefasst wird an der Friedrich-Rückert-Grundschule das Ziel verfolgt, trotz deutlich zu Tage tretender Problembereiche auf der Basis von gegenseitigem Respekt gegenüber sozialem Status, Können und Religion eine entspannte Lernatmosphäre zu schaffen, die es den Kindern ermöglicht, strukturiert, mit Freude und möglichst erfolgreich zu lernen.